Warum hat niemand auf Ronen Eidelman gehört? Dann hätten wir jetzt den Thüringen-Schlamassel nicht. Eidelman, ein israelischer Künstler, hatte vor zwölf Jahren die geniale Idee, das Land der Klöße und Bratwürste zum zweiten jüdischen Staat neben Israel zu erklären.
»Medinat Weimar« sollte die neue Nation heißen. »Ob jüdisches Trauma, deutsche Schuld, Nahostkonflikt, ostdeutsche Depression oder andere Weltprobleme – Medinat Weimar löst alle Lösung (sic) auf einmal«, versprach der Israeli und forderte die einst vertriebenen Juden auf: »Kommt zurück – jetzt ist es sicher.«
Freiheit Anders als im Nahen Osten sollte diese Rückkehr aber nicht auf Kosten der indigenen Bevölkerung gehen. Schließlich, so der Staatsgründer in spe, sei Thüringen dünn besiedelt und biete Platz für alle. Zumal in Eidelmans Konzept Judentum nicht an Abstammung und Religion gebunden war. Mit Heinrich Heine definierte er »das Jüdische als Liebe zur Freiheit und zur guten Küche«. In Medinat Weimar sollte jeder Jude sein, dem danach war.
Leider fand diese Vision wenig Anklang. Im Gegenteil. Deutschnationale waren empört, die israelische Botschaft und die Jüdische Landesgemeinde Thüringen befremdet. Eidelmans Projekt blieb unverwirklicht. Der Künstler zog sich enttäuscht zurück und lebt jetzt in Jerusalem.
Charme Schade. Die Idee hatte ihren Charme, vor allem im Licht der aktuellen Ereignisse. Björn Höcke zum Beispiel hätte bestimmt nicht in einem jüdischen Thüringen leben wollen. Er wäre als Lehrer in Hessen geblieben. Bodo Ramelow hätte seine Gewerkschaftskarriere bei Verdi in Marburg fortgesetzt. Thomas Kemmerich würde weiter in Aachen wohnen und wäre nie Ministerpräsident geworden. Für den Posten hatte Staatsgründer Eidelman Daniel Cohn-Bendit ausersehen.
Dafür hätten andere den Weg in das Land gefunden. Ronen Eidelmans dezidiert nichtzionistischer jüdischer Staat wäre ein Magnet für Tausende junger, linker Israelis geworden. Statt in Berlin-Friedrichshain herumzuhängen, würden sie jetzt in Gera, Greiz und Sömmerda leben, wo die WG-Zimmer billiger wären.
Liad Hussein Kantorowicz dürfte ihre Performance »Pussy« (Motto: »Können wir unsere Pussies einsetzen, um uns der gegenwärtigen Weltordnung zu widersetzen?) auf der Wartburg aufführen und dort, wie weiland Martin Luther, das herrschende System infrage stellen. Für hiesige Israelkritiker wäre Medinat Weimar ein Gegenmodell zum Zionismus, der jüdische Staat, wie er sein sollte: friedlich, multikulturell und deutschsprachig.
Möchtegernjuden Auch die vielen deutschen Möchtegernjuden würden in einem jüdischen Thüringen ihre Heimat finden. Sie müssten sich nicht mehr nur auf Facebook virtuell als »Avi Shloimele« oder »Tiqvah Bat Zion« tummeln; zwischen Kyffhäuserkreis und Altenburger Land könnten sie ihre Konversionsneurose real ausagieren.
Medinat Weimar – das wäre die Erfüllung von Helmut Kohls Prophezeiung 1990 gewesen: »Keinem wird es schlechter gehen – aber vielen besser.« Man hätte auf Ronen Eidelman hören sollen.