Er war ein echter Berliner, 1928 in Friedenau geboren als Sohn gutbürgerlicher Eltern, traditionsbewusst, hochmusikalisch. Hellmut Stern besuchte die 4. Jüdische Volksschule. Seine Eltern wollten den einzigen Sohn vor antisemitischen Angriffen bewahren.
»Das Judentum spielte dabei gar keine Rolle«, erzählte Stern seinem Freund David Dambitsch. »Wir waren wirklich Deutsche. Ich kann mich auch nicht entsinnen, jemals anders gedacht zu haben. Und selbst in der Zeit des Exils, als ich doch schon erwachsen wurde, habe ich mich trotzdem immer als Deutscher gefühlt. Ich bin so geboren.«
HUNGER Hellmut Sterns Eltern, durch die Nazis verarmte Musiklehrer, verließen mit ihrem einzigen Kind Deutschland nach der Pogromnacht. Ein zerstörtes Klavier auf der Straße hat Hellmut nie vergessen. In Harbin in China geigte er auf Marktplätzen, um ein bisschen Geld zu verdienen. Die Familie hungerte.
Nach dem Krieg in Israel half ihm Isaac Stern zum Engagement beim Israel Philharmonic Orchestra. Hellmut Stern lernte in dieser Zeit auch Daniel Barenboim kennen. Für Barenboim war Stern immer ein Geiger, dessen Haltung eine deutschjüdische im besten Sinne war.
Seit 1961 saß er 34 Jahre lang am Pult der Berliner Philharmoniker.
»Respekt für Kultur, Respekt für das Denken. Respekt für den Geist, ich glaube, das ist es, was Hellmut betrachtet hat als das, was Deutsche und Juden gemeinsam haben oder haben müssen«, beschreibt Barenboim Sterns Haltung. »Er war altdeutscher Musiker im besten Sinne des Wortes. Er hat an eine notwendige musikalische Disziplin geglaubt. Musik ist nicht nur eine Frage der Begabung oder des Fühlens, sondern sie hat eine moralische, ethische Basis, nach der man bestimmte Dinge nicht tut.«
HATIKVA Stern galt als charakterlich besonders aufrecht, ab 1961 saß er am ersten Pult der Berliner Philharmoniker, für 34 Jahre. Er wurde auch ihr Orchestervorstand, und zwar ein kämpferischer, der Herbert von Karajan achtete, ihm aber auch Paroli bot, wo es notwendig schien.
Sterns Traum war, das Orchester nach Israel zu führen. Unter dem ehemaligen NSDAP-Mitglied Karajan war dies unmöglich. Dann starb Karajan, und 1990 ging Sterns Traum in Erfüllung – eine Reise, die zu den Höhepunkten seines Lebens zählte.
»Wir waren frei und konnten uns die Dirigenten aussuchen. Selbstverständlich wählten wir Barenboim. Mehta war Hausherr in Israel, das war natürlich ein Glücksgefühl mit den beiden. Wir hatten eine wunderbare Zeit dort, und wir sahen viele Taschentücher während der Konzerte.« Als Zugabe nach Schubert und Beethoven spielten die Philharmoniker die israelische Nationalhymne, die Hatikva.
DISKUSSION Daniel Barenboim erinnert sich mit großer Freude an diese Reise: »Es wäre für Hellmut ein unvollendetes Kapitel seines Lebens geblieben, wenn die Berliner Philharmoniker nicht nach Israel gefahren wären. Er hat alle seine Fähigkeiten eingesetzt: menschliche, künstlerische, politische, diplomatische, sogar seine Mischung aus israelischer Chuzpe und Berliner Schnauze, alles hat er zusammengetan, um unwiderstehlich zu sein.«
Nach seiner aktiven Zeit als Musiker besuchte Stern Hunderte von Schulklassen, um aufzuklären über Faschismus und Diktatur. Er bezeichnete sich gern als Berufszeitzeugen. Stern war sich nicht zu schade, sogar mit Neonazis zu diskutieren, voller Engagement. Sie seien durchaus beeindruckt gewesen, hätten aber zum Schluss oft gemeint: »Dich meinen wir nicht als Juden. Du bist okay. Aber die anderen!«
Mit Hellmut Stern ist einer der letzten Repräsentanten einer deutschjüdischen Kultur gegangen, die so nie wiederkehren kann.