Er hat es wieder getan und ist damit wie sein Romanheld, der Zürcher Rabbiner Gabriel Klein, ein »Wiederholungstäter«: Alfred Bodenheimer, eigentlich ein seriöser Professor für Literatur- und Religionswissenschaften an der Universität Basel, legt seinen zweiten Krimi mit dem Titel Das Ende vom Lied vor.
Wie im Erstling Kains Opfer ermittelt (der erfundene) Rabbiner Gabriel Klein, im Hauptberuf geistiges Oberhaupt der (real existierenden) Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ), in seinem näheren Umfeld in einem Mordfall, der dem ebenso gewieften wie unorthodoxen Ermittler alles abverlangt.
spektakulär In Das Ende vom Lied ist das Umfeld dabei jedoch so nahe wie nur möglich: Seine eigene Ehefrau Rivka steht nämlich unter Mordverdacht und wird nach ihrer Rückkehr aus London spektakulär am Flughafen von der Zürcher Polizei festgenommen und verhört. Rivka Klein war offenkundig eifersüchtig auf eine Frau namens Carmen Singer im Umfeld des Rabbiners – und ließ das andere auch wissen. Zumindest diejenigen, die in einem Zürcher Café an einem bestimmten Nachmittag entsprechende Sätze mitbekommen hatten.
Wichtig wird das alles nämlich, weil Carmen Singer kurz danach im gleich daneben liegenden Bahnhof vor einen Zug gestoßen wird und stirbt. Singer, so stellt sich heraus, war aber nicht nur Opfer, sondern auch Täterin: Sie stellte Rabbiner Klein, in den sie verliebt war, nach, stalkte ihn und drängte sich so stark in sein Privatleben, dass der Rabbiner jeden Kontakt zu ihr abbrechen musste.
Natürlich hat Rabbiner Klein schon allein deshalb allen Grund, den wahren Täter oder die wahre Täterin zu finden. Und schießt mit seinem halachischen Scharfsinn und seiner kriminalistischen Neugier dabei – wie schon im ersten Buch – oft so stark übers Ziel hinaus, dass er von der wackeren Zürcher Kommissarin Bänziger zurückgepfiffen werden muss.
gemeindeleben Rabbiner Klein darf auch in seinem zweiten Fall den Frust darüber nicht zuletzt an seiner Umwelt, sprich: den Verantwortlichen seiner Gemeinde, auslassen. Vor allem der neue, junge und sehr motivierte Präsident der Synagogen-Kommission als hauptsächlicher Widersacher Kleins kann davon ein Lied singen. Ihn lässt Klein regelmäßig ins Leere laufen und zeigt ihm so, wer der eigentliche Chef im Ring ist.
In solchen Episoden erweist sich Bodenheimer als brillanter Beobachter der Zürcher Szene, die sich wohl auch auf andere Gemeinden übertragen lässt. Er zeigt mit einem durchaus liebevollen Blick, dass die porträtierte ICZ im eigenen Land zwar eine Großgemeinde ist, im Vergleich zu größeren Ländern aber eben auch nur eine Art mondänes »Schtetl«.
Ein »Schtetl«, in dem man sich genau kennt, samt der eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten, in dem die Gemeindemitglieder sich zudem ihrer Vergangenheit bewusst sind: »Vor so langer Zeit hatten Juden schon hier gelebt, dachte er, mitten in der Stadt, und doch waren sie immer Junkies der Gesellschaft gewesen, mittendrin und doch am Rand, die horrende Sondersteuern zahlten und zuweilen hastig die Koffer packten, um dem Mob oder den Behörden zu entkommen, die sie trotz alledem nicht mehr aushalten mochten.«
Mit solchen Sätzen, die dem Kriminalroman Tiefe geben, packt Alfred Bodenheimer seine Leser. Mehr vermutlich sogar als mit dem eigentlichen Kriminalfall, der gegen Ende einigermaßen konstruiert wirkt – und deshalb auch nicht völlig überzeugen kann.
Alfred Bodenheimer: »Das Ende vom Lied«. Nagel & Kimche, Zürich 2015, 208 S., 18,90 €