Redezeit

»Mit der traditionellen Vorstellung brechen«

Hanna Rosin Foto: Nina Subin

Frau Rosin, dieser Tage erscheint in Deutschland Ihr neues Buch »Das Ende der Männer«. Wie wörtlich ist das gemeint?
Präziser hätte es sicherlich heißen müssen »Das Ende der männlichen Bevorzugung«. Es mag Männer geben, die den Buchtitel wörtlich verstehen. Sie sehen keine Perspektive, finden keinen Job, und die Frauen in ihrer Umgebung kommen als potenzielle Ehefrauen nicht infrage. In einigen Teilen der Gesellschaft gibt es tatsächlich eine Männlichkeitskrise. Aber bei anderen ist angekommen, dass die männliche Führung, die oft mit sexueller Belästigung von Frauen einhergeht, vorbei ist. Sie gehört in eine Zeit, die hinter uns liegt.

Der Untertitel Ihres Buches heißt »Und der Aufstieg der Frauen«. Es gibt also Besiegte und Sieger.
Man könnte tatsächlich den Eindruck haben, alle Männer fühlen sich als Loser. Aber wer das Buch zu Ende liest, merkt, dass ich von einer Welt erzähle, in der die Menschen nicht in starren Rollen verhaftet sind: Männer verletzen ihre Männlichkeit nicht, wenn sie Zeit mit ihren Kindern verbringen, Krankenpfleger werden oder andere Dinge tun, die lange als unmännlich galten. Wir müssen dahin kommen, dass Frauen keine Nachteile erleiden, wenn sie aggressiv oder dominant sind.

Wie kamen Sie darauf, so ein Buch zu schreiben?
Ich bin Feministin, aber keine ideologische. In erster Linie bin ich Reporterin. Ich habe viel über politischen Feminismus gelesen und wollte herausfinden, wie er sich heute zeigt. Mir ist aufgefallen, dass sich in Beziehungen zwischen Männern und Frauen vieles verändert hat. Dabei geht es überhaupt nicht um Politik, sondern um ganz elementare Dinge wie: Wer ist der Herr im Haus, wie verliebt man sich? Innerhalb von Beziehungen gibt es erstmals einen tiefen Wandel – ganz unabhängig von wirtschaftlichen Veränderungen, die früher manchmal zu solchen Veränderungen führten. Ich glaube, da ist etwas viel Tieferes geschehen.

Sie sind seit Jahren verheiratet. Wie hat Ihr Mann auf das Buch reagiert?
Durchaus positiv! Manche haben sich gefragt, wer mag der Mann sein, dessen Frau ein Buch mit so einem Titel schreibt. Aber das hat meinen Mann nicht gestört. Um ihn geht es ja auch nicht in dem Buch.

Wie stellen Sie sich den modernen Mann vor?
Natürlich sollte er nicht wie eine Frau sein. Ich habe in meinem Buch das Konzept von Plastikfrauen und Pappmännern entworfen. Frauen haben keine Angst davor, etwas zu tun, was üblicherweise Männer tun. Sie haben zum Beispiel Jobs angenommen, die als männlich gelten. Männer haben da großen Nachholbedarf. Manche Männer würden lieber sterben als einen typischen Frauenjob anzunehmen. Aber sie müssen sich öffnen und mit der traditionellen Vorstellung von dem brechen, was es heißt, ein Mann zu sein.

Sie haben einen vier- und einen neunjährigen Sohn. Wie vermitteln Sie ihnen, eines Tages moderne Männer zu sein?
Mein älterer Sohn hasst den Titel des Buches und sagt mir fast jeden Tag, wie gemein er das findet. Ich versuche, ihm zu erklären, dass ich mir für ihn eine Welt wünsche, in der er viel mehr Möglichkeiten hat. Es kann sein, dass er sich in eine Frau verliebt, die mehr Geld verdient als er, oder dass er eines Tages vielleicht beschließt, nur noch vier Tage pro Woche zu arbeiten und am fünften Tag mit seinen Kindern auf den Spielplatz geht. Ich wünsche ihm, dass so etwas ganz normal ist und dass niemand denkt, er sei krank, schwach oder arbeitslos.

Sie haben auch eine Tochter. Wie schlagen sich die Thesen Ihres Buches in der Erziehung nieder?
Ich versuche, meiner Tochter zu vermitteln, nicht schüchtern zu sein, sondern, wenn es darauf ankommt, zu verhandeln. Wenn ihr jemand eines Tages einen Job anbietet, dann soll sie – so wie Männer das tun – über die Höhe des Gehalts und die Bedingungen verhandeln. Und bei meinem neunjährigen Sohn geht es mir in der Erziehung um Dinge, über die er nicht von Natur aus verfügt. Er muss lernen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und die Bedürfnisse seiner Mitmenschen mehr im Blick zu haben. Das wird ihm helfen, als Erwachsener im Leben gut zurechtzukommen.

Wir haben in Deutschland gerade eine Sexismus-Debatte. Eine Journalistin wirft einem Politiker sexuelle Belästigung vor. Was sagen Sie dazu?
In den USA hatten wir so eine Debatte in den 90ern. Das ging damals sogar so weit, dass man unsicher war, ob das Flirten am Arbeitsplatz etwas Kriminelles ist. Der aktuelle Fall hier in Deutschland erscheint mir sehr interessant: Der Mann hatte keine Macht über die Frau, wie das ja für die klassische Situation sexueller Belästigung typisch ist. Und die Frau zahlte es ihm heim, indem sie den Vorfall öffentlich machte. Das ist sehr interessant, so etwas wäre vor 20 Jahren nicht möglich gewesen. Es hat seitdem große Veränderungen gegeben. Die Reaktion der jungen Journalistin ist zukunftsweisend.

Mit der amerikanischen Journalistin und Buchautorin sprach Tobias Kühn.

Hanna Rosin: »Das Ende der Männer. Und der Aufstieg der Frauen«. Berlin Verlag, Berlin 2013, 400 S., 19,99 Euro

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025