Herr Grünberg, Ihr neues Buch heißt »Der jüdische Messias«. Worum geht es darin?
Die Geschichte spielt in Basel. Es geht es um zwei junge Männer, Xavier und Awrommele. Xavier ist Großenkel eines ziemlich wichtigen Nazis, Awrommele ist Sohn eines Rabbiners. Als junger Mann, als Teenager eigentlich, empfindet Xavier den Drang, sich mit den Juden zu beschäftigen. Er kennt persönlich keine Juden, weiß aber, was alles im Zweiten Weltkrieg geschehen ist und wie seine Familie daran beteiligt war. So sagt er sich: Ich werde die Juden trösten, versucht, mit jüdischen Vereinigungen in Kontakt zu kommen, und lernt dabei Awrommele kennen. Es entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden. Ich will noch nicht alles verraten, nur so viel: Xavier konvertiert, er wird auch Jude, geht nach Israel, wird dort Politiker und bleibt mit Awrommele zusammen. Die Freundschaft geht weiter als nur reine Freundschaft, es wird eine homoerotische Beziehung.
Das klingt nach einem Schelmenroman?
Das ist das Buch sicher auch. Es ist für mich vor allem ein politischer Roman, aber ein politischer Roman ohne den Schelmenromanteil ist oft unerträglich humorlos, fast so, als ob man sich vom Genre Roman entferne und Richtung Sachbuch ginge. Das will ich nicht für mich oder die Figuren. Ich glaube, dass jeder gute Roman in gewisser Hinsicht auch eine Satire ist. In Der jüdische Messias ist der Satireanteil vielleicht etwas größer als in anderen meiner Romane.
Haben Sie deswegen so viele Slapstick-Momente eingebaut?
Slapstick war immer schon wichtig in meinen Büchern. Geändert hat sich, wie ich Slapstick verwende. In diesem Buch ging es für mich auch um Gewalt. Ich mag keine unmotivierte Gewalt, die eigentlich nur dem Entertainment gilt. Andererseits wollte ich die Gewaltszenen auch nicht so schreiben, dass man nicht mehr weiterlesen kann. Dafür brauchte ich eine gewisse Ironie und eine gewisse Distanz. Das war für mich eine der Funktionen des Slapsticks.
Für deutsche Leser ist der Roman harte Kost. Sie legen Ihrer Figur die Worte in den Mund: »Die Juden sind die Feinde des Glücks«.
Es ist eine Paraphrase, in Mein Kampf steht irgendwo so ein Satz. Xavier hat Mein Kampf gelesen, er will das Buch ins Jiddische übersetzen, und Awrommele ist ihm dabei behilflich. Zur Frage der harten Kost: Es ist kein Wunder, dass der Diogenes Verlag so lange gezögert hat, das Buch, das 2004 auf Niederländisch erschienen ist, auf Deutsch herauszubringen. Aber ich glaube, dass, wenn man sich wirklich noch mit dieser Vergangenheit beschäftigen will, man das nicht nur durch das Raster der politischen Korrektheit tun darf. Man sollte sich auch die Freiheit nehmen, mit dem politisch Korrekten zu spielen. Damit sage ich nicht, dass alles erlaubt ist. Aber wenn man es gut macht – in einem Roman oder in einem Spielfilm –, ist, glaube ich, viel erlaubt.
Es geht in dem Roman im Grunde auch um die Wahrnehmung Israels und der Juden, bei der zwischen beiden nicht immer unterschieden wird.
Ich finde es unheimlich interessant, wie zum Beispiel eine Israel-Debatte Leute dazu bringt, nicht nur Aussagen über Israel zu machen, was ich völlig okay finde, aber dass dabei häufig zwischen Israel und den Juden nicht sehr klar unterschieden wird. Einerseits gibt es die politische Korrektheit und andererseits den Nahen Osten. Dann gelten plötzlich völlig andere Spielregeln. Einmal war ich in der Türkei, und meine Übersetzerin sprach über den jüdischen Geheimdienst. Ich fragte mich die ganze Zeit, was sie eigentlich meinte. Es hat bei mir wirklich drei Minuten gedauert, bis ich begriffen hatte, dass sie den Mossad meint. Aber auch wenn man an die Debatte über die Gedichte von Günter Grass denkt – nicht nur in Deutschland, sondern auch außerhalb –, ist das für mich ein Beweis, dass mein Buch, obwohl es bereits 2004 geschrieben wurde, noch immer aktuell ist.
Wie definieren Sie sich selbst in Bezug auf Israel?
Ich bin kein Israeli, ich bin Jude, wenn auch nicht religiös. Für mich heißt das nicht: Ich bin Jude, also bin ich auch verantwortlich für das, was die israelische Politik macht. Dieser Unterschied ist für mich nicht immer klein.
Ihr jüdischer Protagonist ist ein unsympathischer Mensch. Ein Tabubruch?
Kann ein Jude unsympathisch sein? Was ist das für eine Frage!? Das ist doch Wahnsinn! Sicher kann er das sein. Er kann auch ein Faschist sein. Die Behauptung, ein Jude könne kein Faschist sein, ist reiner Antisemitismus! Oder Philosemitismus. Philosemitismus und Antisemitismus sind ja nicht so weit voneinander entfernt. Man sieht nicht mehr das Individuum, man sieht nur noch: Er ist Jude und darum so oder so. Das hat mich fasziniert, wie schwierig es noch immer ist – so viele Jahre nach dem Krieg – unbefangen über Juden zu reden. Ein normales Verhältnis zum Judentum gibt es eigentlich nicht. Ich glaube, man könnte mit einem gewissen Publikum leichter über Sex reden als über dieses Thema.
Wie viel von Ihrem eigenen Erleben ist in das Buch eingeflossen?
Ich bin sehr religiös aufgewachsen. Vieles von dem, was ich schreibe, kenne ich aus meiner eigenen Vergangenheit. Etwa Rabbinerfamilien wie die, in der Awrommele aufwächst. Ich war ziemlich häufig bei solchen Familien in der Schweiz zu Besuch. Ich bin auch sehr oft in Israel gewesen, weil meine Schwester dort in einer Siedlung lebt. Sie ist acht Jahre älter als ich und sehr religiös.
Hat sie das Buch gelesen?
Nein, dieses Buch nicht, glaube ich. Nein.
Wie würde sie es wohl finden?
Ach, da gibt es immer wieder diese Vorwürfe des jüdischen Selbsthasses. In Diskussionen hab ich das öfter erlebt. Aber über Politik und Religion spreche ich nicht mehr mit meiner Schwester, es bringt uns nichts. Sie bleibt ja meine Schwester, wir brauchen nicht unbedingt ein gutes Verhältnis, aber wir müssen ja hin und wieder doch über unsere Mutter reden und solche Sachen. Das finde ich wichtiger, als mich in derartigen Diskussionen zu verlieren. Meine Schwester hat ein Weltbild, das sich stark von meinem unterscheidet. Gerade, weil sie meine Schwester ist, ist das für mich so schwierig. Es wäre einfacher, wenn sie jemand wäre, die nicht zu meiner Familie gehört, aber weil wir beide zusammen aufgewachsen sind, irritieren mich viele Sachen mehr bei ihr als bei einem Fremden.
Arnon Grünberg: »Der jüdische Messias«. Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten. Diogenes, Zürich 2013. 637 S., 24,90 €
Arnon Grünberg wurde 1971 in Amsterdam als Sohn zweier Schoa-Überlebender geboren. Sein Vater stammte ursprünglich aus Berlin. Seit 1994 hat Grünberg – teils unter dem Pseudonym Marek van der Jagt – 23 Bücher veröffentlicht, vor allem Romane, aber auch Essay- und Gedichtbände. Zweimal wurde er mit dem niederländischen AKO-Literaturpreis ausgezeichnet. Grünberg schreibt auch Kolumnen in Zeitungen und Zeitschriften, betreibt einen Blog und hat als Reporter aus dem Irakkrieg berichtet.
Eine Videoversion des Gesprächs finden Sie auf http://interview-lounge.tv/arnon-grunberg-spricht-uber-der-judische-messias/