Geschichte

Mit der Mafia für Zion

Vor der US-Steuerbehörde nach Israel geflohen: Gangster Meyer Lansky (1902–1983) im August 1971 auf dem Ölberg in Jerusalem Foto: Getty Images

Zu den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der israelischen Unabhängigkeit im vergangenen Jahr versammelte sich viel Prominenz aus dem In- und Ausland auf dem Herzlberg in Jerusalem. Unter ihnen war auch der 95-jährige Amos Bar-Jochai. Mit seinem weißen Seeräuberschnurrbart und silbrigen Haar hatte er Tränen in den Augen, als er die jungen Soldaten bei der Eröffnungszeremonie sah. »Unglaublich, die Entwicklung unseres kleinen Landes seit 1948,« sagte er stolz.

Amos wurde 1923 in Südafrika als Alfred Landsmann geboren. Im Alter von zwölf Jahren wanderte er mit seiner Familie nach Palästina aus. Seine Familie gehörte zu den Gründern des Kibbuz Ein Gev am See Genezareth. 1944 wurde er Mitglied des Palmach, einer Kampfeinheit der Hagana, die ein Vorläufer der israelischen Armee war. Unter dem legendären Kommandanten Jigal Allon sollte Amos schnell zum Offizier aufsteigen.

Frank Sinatra übergab Teddy Kollek in New York eine Million Dollar für Waffen.

Als die Jewish Agency, die vorstaatliche israelische Regierung unter der Leitung von David Ben Gurion, 1945 ein illegales Waffenbeschaffungs- und -schmuggelnetzwerk unter der Leitung von Reuven Dafni in den USA aufbaute, gehörte Amos zu seinem Team. »Zu Dafni schauten wir alle auf. Er kämpfte in der jüdischen Brigade der britischen Armee gegen die Nazis in Nordafrika und sprang im Jahr 1944 als Fallschirmjäger hinter feindlichen Linien in Jugoslawien ab, um sich den Partisanen anzuschließen,« erzählt er.

ANONYM In der Operation, in die Hunderte von Amerikanern aus allen Lebensbereichen involviert waren, gab es eine Gruppe, die anonym blieb: die »Kosher Nostra« – die jüdische Mafia in Nordamerika.

Das Zentrum des Waffenschmuggelbetriebs war eine gemietete Zweizimmer­suite im Hotel Fourteen in der New Yorker East 60th Street. Teddy Kollek, der später der populäre langjährige Bürgermeister von Jerusalem wurde, leitete die täglichen Operationen und beaufsichtigte, wer dort alles ein- und ausging. Darunter war auch Frank Sinatra, der als Sänger im Hotel auftrat und zu einem wichtigen Unterstützer Israels wurde. Er traf sich mehrmals mit Kollek und spendete eine Million Dollar, um Waffen für den jungen jüdischen Staat zu kaufen.

Zu dieser Zeit hielt die US-Regierung ein Waffenembargo gegen Israel und den Nahen Osten aufrecht, doch Ägypten und weitere arabische Staaten fanden einen Weg, das Embargo zu umgehen. Ein weiterer Emissär, Yehuda Arazi, erfuhr, dass die Mafia den Hafen von New York kontrollierte, und wandte sich an den Gangsterboss Meyer Lansky. Ihn bat er, Waffen auf Schiffe nach Israel zu bringen. Lansky kontaktiere sofort Albert Anastasia und Joe Adonis von der verbündeten italienischen Mafia, die viele Häfen sowie deren Gewerkschaft an der amerikanischen Ostküste kontrollierte. Sie halfen israelischen Agenten dabei, die für den jüdischen Staat gekauften Waffen zu verbergen und die illegalen Lieferungen militärischer Ausrüstung auf die Schiffe Richtung Haifa zu verladen.

PANAMA Zwei Jahre vor seinem Tod im Jahr 2003 erzählte Dafni in einem Interview mit dem israelischen Fernsehen von seinen Treffen mit den verschiedenen Mafiosi, von denen einer Sam Key in Miami war: »Als ich sein Büro betrat, empfing mich eine etwas ältere jüdische Person. Er hatte irgendetwas Finsteres an sich, rauchte eine Zigarre, redete aber gleich Tacheles. Nach einigen Minuten versprach er, mir zu helfen, und kontaktierte den Präsidenten von Panama. Von da an wurden alle unsere Schiffe, die Waffen nach Israel brachten, in dem lateinamerikanischen Land registriert, und alle fuhren unter der panamaischen Flagge, was eine große Hilfe für uns war.«

Reuven Dafni wurde vom FBI überwacht, als er sich mit Bugsy Siegel und Lucky Luciano traf.

Dafni, der später unter anderem als israelischer Konsul in New York und als Botschafter in Indien tätig war, wurde bis zu seiner Abreise die ganze Zeit über vom FBI überwacht. Trotzdem traf er sich weiter mit finsteren Gestalten aus der amerikanischen Unterwelt, wie dem »Boss der Bosse,« Charles »Lucky« Luciano, oder auch dem berüchtigten Benjamin »Bugsy« Siegel, die Israel finanziell unterstützten.

Doch auch die rechtszionistische paramilitärische Untergrundorganisation »Irgun Zwai Leumi« betrieb ein Waffenschmuggelnetzwerk in den USA, und mehrere ihrer Mitglieder kontaktierten dort verschiedene jüdische Gemeinden und Wohlfahrtsorganisationen, um bei dem Aufbau einer jüdischen Armee im Kampf gegen die Araber zu helfen. Einige von ihnen bekamen ebenfalls Unterstützung von der amerikanischen Mafia.

»Ich war sehr jung damals und idealistisch,« erzählt Jakov Efraty. Der heute 96-Jährige traf sich in Baltimore, Philadelphia, Las Vegas und Los Angeles mit jüdischen und italienischen Gangstern. Jakov, der als Waisenkind auf einem illegalen Schiff nach Palästina kam, verlor seine gesamte Familie im Holocaust. »Für mich war immer klar, dass wir Juden nie wieder wehrlos sein dürfen, und für das Überleben Israels hätte ich mich auch mit dem Teufel getroffen,« sagt er weiter.

LOYALITÄT »Ich kam auch öfters mit Mickey Cohen zusammen, der den Ruf hatte, besonders brutal zu sein. Nachdem er von der zionistischen Idee überzeugt wurde, war für ihn der Sieg Israels im Unabhängigkeitskrieg die wichtigste Priorität. Er organisierte eine Spendenaktion für den Irgun und überzeugte führende jüdische Unterweltfiguren von Kalifornien bis Las Vegas, Hunderttausende Dollars zu sammeln, um damit Waffen zu kaufen, die sofort nach Israel verschifft werden sollten.«

Einige Gangster wollten ihren schlechten Ruf in den jüdischen Gemeinden loswerden.

Die meisten jüdischen Gangster waren bereit, Israel zu helfen. Einige taten dies aus jüdischer Loyalität heraus. Eine Enkelin von Meyer Lansky, die in Tel Aviv lebt, sagt, dass ihr Großvater sich sehr für die Unterstützung Israels im Unabhängigkeitskrieg einsetzte. Einer der Gründe war, so erzählt sie, dass er sehr von der zionistischen Idee überzeugt war und ständig davon sprach, dass »das Land unserer Vorväter nicht von den Arabern ausgelöscht werden darf«.

Andere Mafiosi sahen sich, fast schon im biblischen Sinne, als Verteidiger der Juden. Es war Teil ihres Selbstbildes. Andere wiederum wollten sich Respekt verschaffen, damit ihre Kinder nicht stigmatisiert werden. Amos Bar-Jochai glaubt, dass dies in New York einige Gangster motiviert hat, der Hagana zu helfen. »Abner Zwillman hatte eine Tochter im heiratsfähigen Alter, die aber wegen der Tätigkeit ihres Vaters Schwierigkeiten hatte, einen jüdischen Mann zu finden. Ich denke, er hat uns geholfen, weil es für ihn eine Möglichkeit war, sich in der jüdischen Gemeinde einen guten Namen zu machen.«

Vielleicht kann die Hilfe für Israel als eine späte Version der Tradition des jüdischen Gangsters gesehen werden, der seine Nachbarschaft vor Antisemiten schützt. »Nach dem Zweiten Weltkrieg repräsentierte der jüdische Staat symbolisch das jüdische Viertel«, sagt Amos Bar-Jochai. »Und Israel gegen seine Feinde zu helfen, kam für die jüdischen Gangster der Pflicht gleich, ihr Volk immer gegen alle Judenhasser zu unterstützen.«

Haushaltslage im Land Berlin

Topographie des Terrors befürchtet Einschränkungen

Stiftungsdirektorin Andrea Riedle sieht vor allem die Bildungsarbeit gefährdet

 26.12.2024

Rezension

Fortsetzung eines politischen Tagebuchs

In seinem neuen Buch setzt sich Saul Friedländer für die Zweistaatenlösung ein – eine Vision für die Zeit nach dem 7. Oktober ist allerdings nur wenig greifbar

von Till Schmidt  26.12.2024

Medien

Antisemitische Aggression belastet jüdische Journalisten

JJJ-Vorsitzender Lorenz Beckhardt fordert differenzierte und solidarische Berichterstattung über Jüdinnen und Juden

 26.12.2024

Rezension

Ich-Erzählerin mit böser Wunde

Warum Monika Marons schmaler Band »Die Katze« auch von Verbitterung zeugt

von Katrin Diehl  25.12.2024

Bräuche

»Hauptsache Pferd und Kuh«

Wladimir Kaminer über seine neue Sendung, skurrile Traditionen in Europa und das Drecksschweinfest in Sachsen-Anhalt

von Nicole Dreyfus  25.12.2024

Dessau

Was bleibt

Am Anhaltinischen Theater setzt Carolin Millner die Geschichte der Familie Cohn in Szene – das Stück wird Anfang Januar erneut gespielt

von Joachim Lange  25.12.2024

Kolumne

Aus der Schule des anarchischen Humors in Minsk

»Nackte Kanone« und »Kukly«: Was mich gegen die Vergötzung von Macht und Machthabern immunisierte

von Eugen El  24.12.2024

Rezension

Die Schönheit von David, Josef, Ruth und Esther

Ein Sammelband bietet Einblicke in die queere jüdische Subkultur im Kaiserreich und der Weimarer Republik

von Sabine Schereck  24.12.2024

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 19. Dezember bis zum 2. Januar

 23.12.2024