Herr Feidman, Sie sind am 25. März 85 Jahre alt geworden. Am 3. Oktober zeigt das ZDF eine Gala für Sie aus dem Jüdischen Museum Berlin. Wie haben Sie Ihren eigentlichen Geburtstag verbracht?
Ach, das Alter. 85 ist doch nur eine Zahl. Ich fühle mich nicht alt. Ich fühle meine Seele. Jeder Mensch hat seine Seele, und das Leben ist Seele.
Freuen Sie sich denn über die Gala?
Ich schätze das sehr. Denn warum sollte man auf den nächsten 25. März warten? Was ist schon das Alter? Ich bin gesund, mal von den Knien abgesehen, aber das ist ja keine Krankheit. Für mich ist eines wichtig: Ich habe meine innere Stimme, und der Atem holt sie nach außen. Ich übe, diese innere Stimme nach draußen zu bringen, dann entsteht Musik.
Ich würde gern mit Ihnen über Ihre Klarinette sprechen.
(Feidman ruft seiner Frau Ora Bat Chaim zu: »Ora, wo ist meine Klarinette? Ich hoffe, du hast sie nicht »›verkoyft‹«.)
Warum haben Sie eigentlich angefangen, Klarinette zu spielen?
Weil mein Vater Klarinettist war. Ich bin die vierte Generation. Als ich – was weiß ich – vier Jahre alt war, ging mein Vater einmal weg. Ich nahm die Klarinette und versuchte zu spielen. Eines Tages kam er dahinter. Er war nie wütend darüber. Die Klarinette wurde zu meiner Sprache. Ob ich mit Ihnen spreche oder Ihnen etwas auf der Klarinette vorspiele: Das ist für mich das Gleiche.
Und die Klappen auf der Klarinette sind Ihr Alphabet?
Bravo, so habe ich das noch nie gehört, aber ja. Hören Sie. (Er spielt ein langsames Stück.) Das ist Liebe. Ich bin kein Priester, kein Rabbiner. Was Liebe ist, hat mich die Musik gelehrt.
Haben Sie je darüber nachgedacht, ein anderes Instrument zu spielen?
Nein. Das ist mir genug. Ein Instrument ist ein Medium, kein Mittel zum Zweck. Egal, ob man Gitarre, Flöte oder etwas anderes spielt, man bringt seine Seele zum Ausdruck.
Wenn Sie spielen, schließen Sie Ihre Augen.
Um ganz bei meiner Seele zu sein. Ich kann auch mit offenen Augen spielen, aber das ist nicht dasselbe. Ich schließe sie, um bei meinem Instrument zu sein.
Sie sind auch nah bei Ihren Zuhörern. Wenn Sie Konzerte geben, dann gehen Sie auch schon mal in das Publikum hinein.
Immer! Um einfach das System »Ich kaufe ein Ticket, setze mich hin, sehe den Künstler auf der Bühne und gehe wieder« zu unterbrechen. Denn auch zwischen Publikum und Künstler gibt es eine Seelenverbindung. Und die Menschen verstehen das. Ich fange auch bei großen Konzerten prinzipiell mit etwas ganz anderem an.
Wie finden die Leute das?
Das ist sehr speziell. Nicht jeder reagiert darauf. Ich spreche viel von der Seele, aber genau das ist der Punkt: Es ist ein Gespräch von Seele zu Seele. ich kann nicht einfach nur hereinkommen und auf eine Bühne gehen, wenn Leute vor mir sitzen. Das ist dumm.
Wir sprechen Englisch miteinander, aber Sie sprechen zwischendrin auch etwas Jiddisch, etwas Deutsch.
I like Deutsch.
Warum?
Ich bin in Deutschland als Jude zu Hause. Ich habe einen Traum, wie ein berühmter Gentleman mal sagte. Dass Musik Freundschaften entstehen lassen kann. Durch Musik kommen wir uns nahe.
Mit dem Klarinettisten sprach Katrin Richter. Das ZDF zeigt die Geburtstagsmatinee am 3. Oktober um 13.10 Uhr.