Laut Karl Kraus heißt »ein Feuilleton schreiben, auf einer Glatze Locken drehen«. Im Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« war vergangenen Samstag eine wahre Lockenpracht zu bewundern. Als Haarstylistin fungierte Ayelet Gundar-Goshen, eine Tel Aviver Schriftstellerin und Psychologin, der es dort gelang, zwei völlig unzusammenhängende Phänomene zu einem journalistischen Frisurgesamtkunstwerk zu formen.
Sie erinnern sich vielleicht an die israelische Mondsonde »Beresheet«, die am 11. April beim Aufprall auf den Erdtrabanten in ihre Einzelteile zersplitterte. Das ist die erste Komponente. Die zweite ist der Konflikt mit den Palästinensern. Auf den ersten Blick hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Doch Ayelet Gundar-Goshen sieht das anders. Sie erkennt einen Kausalzusammenhang: »Ich wage hier eine Hypothese«, schreibt sie, die Sonde Beresheet»ist nicht wegen eines Problems mit den Antriebsparametern auf dem Mond zerschellt, sondern aufgrund eines anderen Maßstabs – dem des moralischen Anrechts«.
Die Schriftstellerin klingt, als wohnte sie im ultraorthodoxen Viertel Bnei Brak.
Denn: »Ein Staat, der meint, zwanzig Prozent seiner Bürger nicht als gleichberechtigt betrachten zu müssen, ein Staat, der nicht für die gleichberechtigte Existenz all seiner Bürger auf dem kleinen Fleck Erde, der ihm gegeben ist, kämpft, ein Staat, der sich nicht um Frieden mit seinen Nachbarn bemüht, sondern sie unter Besatzung hält – solch ein Staat hat (noch) nicht das Recht, auf den Mond zu gelangen. Bevor wir das Firmament berühren, zwischen den Himmelskörpern wandeln, haben wir noch ein paar Dinge hier auf unserer nahöstlichen Erde zu regeln.«
SÄKULAR Ayelet Gundar-Goshen ist, vermute ich, eine säkulare Israelin, die mit religiöser Mystik nichts am Hut hat. Hier allerdings klingt sie fast, als wohnte sie im ultraorthodoxen Viertel Bnei Brak. In deren frommen Jeschiwot wird das Scheitern der israelischen Mondmission wahrscheinlich auch als Strafe Gottes erklärt worden sein, wenn auch nicht wegen der Palästinenser, sondern als Konsequenz des notorisch sündigen Treibens der Tel Aviver Nachbarn.
Die moralische Logik – keine Mondlandung ohne Frieden und Gerechtigkeit – wird auch mutmaßlich nur wenige Landsleute der Schriftstellerin überzeugen. Ayelet Gundar-Goshen hätte lebensnaher, sozialpolitisch argumentieren sollen.
MONDPREISE Zum Beispiel: Ein Staat, der seinen Bürgern keinen bezahlbaren Wohnraum sichern kann, hat nicht das Recht, auf den Mond zu gelangen. Das würden 80 Prozent der Israelis sofort unterschreiben. Oder: Ein Staat, in dem man auf der Autobahn ständig im Stau steht … Ein Staat, in dem es durchschnittlich acht Jahre braucht, eine Baugenehmigung zu bekommen… Nicht zu vergessen, ein Staat, in dessen Supermärkten es fast nur einlagiges Klopapier zu kaufen gibt, und das zu (pardon!) Mondpreisen. Aber das wäre für das Feuilleton der FAZ wohl zu banal.
Denn, auch das wusste bereits Karl Kraus: »Die Zeitungen haben zum Leben annähernd dasselbe Verhältnis wie die Kartenaufschlägerinnen zur Metaphysik.«