Der frühere britische Premierminister Tony Blair nennt ihn einen »intellektuellen Giganten« – Rabbiner Jonathan Sacks wird dieser Bezeichnung in vielerlei Hinsicht gerecht. Ob als Gelehrter, Redner oder Preisträger für eines seiner zahlreichen Bücher, der langjährige britische Oberrabbiner ist ein gefragter Gesprächspartner.
Der gebürtige Londoner lehrt »Jüdisches Denken« an der New York University sowie Recht, Ethik und Bibelwissenschaft am King’s College in London. Er setzt sich ebenso für die stärkere Beteiligung des Judentums am öffentlichen Leben ein wie für interreligiösen Dialog. Sacks scheut sich nicht, Themen wie religiöse Gewalt, Menschenrechte oder Antisemitismus anzusprechen, etwa als Redner beim Hildesheimer-Vortrag 2015 in Berlin sowie 2016 vor dem EU-Parlament in Brüssel.
Jonathan Sacks’ Stimme wird gehört. Nicht nur auf Veranstaltungen, im Radio oder TV, sondern auch in sozialen Medien wie Facebook und auf YouTube. Dabei bedient sich der Rabbiner jetzt auch eines eher ungewöhnlichen Formats: In kurzen Videoclips im Comicstil nimmt er mit einfachen, aber aussagekräftigen Zeichnungen und dazugehörigen Kommentaren Stellung zu aktuellen Fragen. Mit nachhaltiger Wirkung: So wurde etwa sein Clip »Why am I a Jew?« (Warum bin ich ein Jude?) seit 2015 rund 200.000-mal aufgerufen.
argumente Sein jüngstes Comic-Video gilt der BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions). Sacks veröffentlichte es Ende Februar. Innerhalb einer Woche hatte es bereits mehr als 40.000 Klicks. Mit dem so simplen wie faktenreichen Comic will der jüdische Gelehrte eine eindringliche Botschaft vermitteln: BDS ist gefährlich.
Denn unter der Oberfläche sei die Kampagne ein Versuch, Israel zu delegitimieren – um es schließlich zu vernichten. Kein Jude und kein Humanist könne dabei tatenlos zusehen, begründet Sacks den Clip. Anlass für das Comic-Video ist die »Israeli Apartheid Week«, die dieser Tage weltweit in Form von Kundgebungen und Universitätsveranstaltungen stattfindet. Dabei schade die BDS-Kampagne genau denjenigen, denen sie vermeintlich helfen will, erklärt Sacks.
»Ich unterstütze das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat, ebenso wie das Recht der palästinensischen Kinder auf ein Leben in Würde und Hoffnung. Doch BDS wird nichts davon erreichen.« Denn dazu müsste die Bewegung einer Frage standhalten: »Vertritt BDS die Menschenrechte für alle Menschen, oder gelten sie nur für einige, für andere hingegen nicht?«
mutation Das könne BDS nicht. »Wenn es der Bewegung wirklich um Menschenrechte ginge, würden ihre Unterstützer gegen deren Verfall in anderen Ländern des Nahen Ostens, Afrikas und anderen Regionen der Welt protestieren – Syrien, Iran, Somalia, Jemen, Libyen. Sie würden ebenso gegen die IS-Barbarei aufbegehren wie auch gegen Menschenrechtsverstöße der Hamas in Gaza«, argumentiert der Rabbiner.
Warum ausgerechnet »die einzige effektive Demokratie im Nahen Osten im Fokus der Aufmerksamkeit« steht, liegt für Sacks auf der Hand: BDS sei »weniger eine Kampagne für Menschenrechte als vielmehr gegen Israels bloßes Existenzrecht«.
Damit stehe BDS in einer Reihe mit früheren Versuchen, Israel zu zerstören, ob militärisch, politisch, psychologisch oder – wie im aktuellen Fall – moralisch. Weil Israel der einzige jüdische Staat der Welt ist, und der einzige Staat auf der Welt, dessen Existenzrecht ständig herausgefordert wird, sei die Kampagne gegen ihn, so Sacks’ Fazit, »offenbar die neueste Mutation des ältesten Hassgefühls der Welt: Antisemitismus«.