Abdul Hadi Palazzi sitzt in einer Kaffeebar an der Piazza des jüdischen Viertels von Rom, knapp hundert Meter von jener Stelle entfernt, von der aus am 16. Oktober 1943 eintausend römische Juden in die Vernichtungslager deportiert wurden. Palazzi ist eine imposante Erscheinung: grauer Vollbart, kräftige Statur.
Er ist Imam – und ein engagierter Anhänger Israels. Palazzi trinkt einen Schluck von seinem Cappuccino und runzelt die Stirn: »Zionist sein hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Es ist doch ungerecht, dass dem einen Volk jene Rechte abgesprochen werden, die man allen anderen Völkern auf der Welt zugesteht!«
schriftgelehrter Geboren wurde Abdul Hadi Palazzi als Massimo Palazzi, ganz in der Nähe des römischen Ghettos, auf der Tiberinsel. Seine Mutter war eine syrische Muslima, der Vater italienischer Katholik. Und da der Vater die Mutter liebte, trat er zum Islam über. Im Gegensatz zu vielen Konvertiten war Palazzi senior jedoch kein übereifriger Bekehrter. »Meine Eltern waren völlig säkular eingestellt«, erzählt der Sohn. »Eine religiöse Erziehung habe ich zu Hause nicht erhalten. Und damals, in den 50er-Jahren, gab es keine muslimischen Schulen in Rom. Also ging ich auf eine ganz gewöhnliche staatliche Schule.«
Das Interesse am Islam erwachte in Palazzi erst während seines Philosophiestudiums, das er 1984 in Rom abschloss. An der renommierten Al-Azhar-as-Sharif-Universität in Kairo erhielt er die Erlaubnis, islamisches Recht und Koranauslegung zu unterrichten. Drei Jahre später promovierte er am Islamischen Institut in Neapel, das unter der Aufsicht des damaligen saudischen Großmuftis stand. Seit 1987 ist Palazzi Imam für die muslimische Gemeinschaft in Italien.
Er weiß also sehr genau, wovon er spricht, wenn er auf seinen Vortragsreisen immer wieder betont, dass das Recht des jüdischen Volkes auf seine historische Heimat auch im Koran verankert ist. Die Rückkehr des jüdischen Volkes, so Palazzi, sei dort bereits angekündigt worden. Wer sich gegen den Zionismus stelle, lehne sich folglich gegen den göttlichen Willen auf.
siedlerfreund Ungewöhnliche Töne für einen islamischen Scheich. Da ist es erstaunlich, dass es zwar vereinzelte Drohungen, doch nie eine Fatwa gegen den zionistischen Imam gegeben hat, der weiter Generalsekretär der Italienischen Muslimischen Versammlung und Direktor des Kulturinstituts der italienischen Muslime ist. Die Erklärung ist einfach: Palazzi argumentiert stets streng auf der Grundlage des Koran. Und wenn viele andere Islamgelehrte seinen Schriftauslegungen auch nicht zustimmen, so ist seine theologische Autorität doch unbestritten.
Zudem steht Palazzi mit seinen Ansichten in der muslimischen Welt nicht alleine da. »Es ist gar nicht schwer, islamische Gelehrte zu finden, die ähnlich wie ich denken«, sagt er, lehnt sich entspannt zurück und lächelt. »Salman Farid, der Mufti von Tatarstan, hat zum Beispiel vor einigen Jahren eine Fatwa für den Frieden zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn erlassen. Nicht zu vergessen Umair Ahmed Ilyasi, der Vorsitzende der indischen Imame.
Dessen Organisation ist wirklich sehr einflussreich.« In der Tat: Umair Ahmed Ilyasi vertritt 500.000 Imame in Indien, die wiederum rund 40 Prozent der weltweit lebenden Muslime betreuen. Entsprechend Gewicht hatte daher Ilyasis Israel-Besuch, den der indische Imam auf Einladung des American Jewish Committee unternommen hatte. Auch Palazzi wird immer wieder nach Israel eingeladen. Dort hört man seine Ansichten gern. Der Scheich bedauert die Räumung der Siedlungen in Gaza, lehnt eine Preisgabe der Westbank ab und meint, dass Jerusalem die ungeteilte Hauptstadt Israels bleiben solle.
Den Anspruch der Palästinenser, ein eigenes Volk zu sein, findet er fragwürdig. »Die werden doch erst seit 1967 als Volk betrachtet«, winkt Palazzi ab. »Und die meisten Palästinenser besitzen ohnehin die jordanische Staatsbürgerschaft.« Freunde macht man sich mit solchen Äußerungen nicht. Aber auch wenn Palästinenser im Internet gegen den international anerkannten Korangelehrten wüten – Palazzi ficht das nicht an. Angefangen beim legendären Emir Feisal von Jordanien weiß er sich in der Tradition einer langen Reihe muslimischer Sympathisanten des Zionismus.
vorsicht: saudis Natürlich ist Palazzi bewusst, dass seine Auslegung des Koran unter den Arabern nicht mehrheitsfähig ist. Auch die Revolte in der arabischen Welt werde daran wenig ändern, glaubt er. Im Gegenteil: »Sollte es freie Wahlen in Tunesien geben«, warnt der Imam, »dann werden sich die Muslimbrüder und andere salafistische Gruppen finanzielle Unterstützung aus Saudi-Arabien, Kuweit oder den Emiraten sichern. Mit Ausnahme vielleicht Marokkos wird dies überall in Nordafrika geschehen.
Die Saudis kontrollieren das Geschehen dort ja bereits. Und kein Mensch scheint das zu bemerken. Das Hauptproblem ist die Partnerschaft der Saudis mit den USA!« Auf Saudi-Arabien ist Scheich Palazzi schlecht zu sprechen. »Das Land wird von einem Diktator auf Lebenszeit regiert!«, knurrt er. »Dort ist die Sklaverei immer noch legal, und Frauen werden ihre elementarsten Grundrechte vorenthalten.
Außerdem ist Saudi-Arabien der größte Finanzier von Terrororga- nisationen wie etwa der Hamas. Und Al-Qaida? Ist eine Schöpfung des saudischen Geheimdienstes!« Deshalb lehnt Palazzi auch den aktuellen Waffendeal der deutschen Regierung mit den Saudis ab: »An ein solches Land Panzer zu liefern, bedeutet schlicht und einfach, eine Diktatur in ihrem Krieg gegen Demokratie und Menschenrechte zu unterstützen!«
Wenn Imam Palazzi nicht gerade Vorlesungen vor seinen Studenten hält oder sich auf Reisen um die Welt für die zionistische Botschaft des Korans starkmacht, steht er italienischen Muslimen im mühsamen Alltag mit seinem Rat als Schriftgelehrter bei. »Meistens«, erzählt er, »geht es da um sehr komplizierte Fragen zu sehr einfachen Sachverhalten. So schrieb mir ein junger Mann: ›Mein älterer Bruder hat mir gesagt, dass ich beim Sex mit meiner Ehefrau einen Hut tragen soll.
Dies, so versicherte er mir, habe er den Schriften entnommen.‹ Ich habe dem jungen Mann mitgeteilt, dass die Anweisung ›sich bedeckt zu halten‹ lediglich bedeutet, dass man so etwas nicht an einem öffentlichen Ort macht. Das ist alles. Der junge Mann antwortete mir: ›Aber wie soll ich das meinem älteren Bruder beibringen? Er macht das doch schon seit zehn Jahren so!‹« Es wartet noch viel Arbeit auf Scheich Abdul Hadi Palazzi.