Er ruft nachts um drei bei seiner Ex-Frau an und provoziert ihren neuen Mann mit der Frage: »Was mache ich jetzt mit diesem Berg von Aktfotos?« Er produziert die 30. Staffel einer seichten kanadischen Seifenoper und seine Produktionsgesellschaft heißt »Totally Unnecessary Productions« – Absolut unnötige Produktionen. Er raucht Kette, säuft und kann die Finger nicht von den Frauen lassen. Außerdem hat Barney Panofsky Alzheimer und ist in einen obskuren alten Mordfall verwickelt. Aber so schnell umhauen lässt er sich nicht.
lebemann Paul Giamatti verkörpert in Richard Lewis Film Barney’s Version, der diese Woche in die deutschen Kinos kommt, diesen Barney Panofsky als sinnlichen Genießer, politisch unkorrektes Großmaul, liebenden Vater und zumindest in dritter Ehe halbwegs treuen Ehemann. Halbwegs: Giamatti, der für seine Darstellung den Golden Globe gewann, ist mit seiner breiten Nase, dem sichtbaren Bauch und den kurzen Beinen alles andere als ein Beau. Trotzdem verführt er als Barney erfolgreich Frauen mit seiner Mischung aus Hartnäckigkeit und Größenwahn.
Der Film beginnt mit einem Todesfall. Barneys bester Freund ist vor 30 Jahren in einem See bei Montreal ertrunken. Ein Mord, meint der damals zuständige Polizist, dem dafür aber die Beweise fehlen. Ein Unfall, lautet Barneys Version. In langen Rückblenden umspannt seine Sicht der Dinge 30 Jahre seines Lebens.
In den wilden 70er-Jahren strandet er in Rom, lebt ein Leben der Bohème und heiratet die labile Clara, die er vermeintlich geschwängert hat. Schon bei der Hochzeit erfährt Barney, dass Clara nicht die Schickse mit den blauen Augen ist, für die sie sich ausgibt. Sie heißt mit Nachnamen nicht, wie behauptet, Chambers sondern in Wirklichkeit Chanofsky.
Und das ist nur der Beginn einer Ehekatastrophe, die mit Barneys Flucht zurück nach Kanada endet. Dort lässt die nächste Ehe nicht lange auf sich warten. Die zweite Mrs. Panofsky ist das, was man eine jüdische Prinzessin nennt, ein verwöhntes Gör aus reichem Hause.
Dass das nicht gut gehen kann, wird schon klar, als Barneys Vater Izzy, ein pensionierter Cop, bei der Hochzeit mit schlüpfrigen Witzen für einen Skandal sorgt und Barney sich zum ersten Mal in seinem Leben wirklich verliebt: dummerweise nicht in seine soeben angetraute Ehefrau, sondern in einen weiblichen Hochzeitsgast. Miriam heißt die Frau seiner Begierde, die in New York lebt und die er fortan wöchentlich mit Blumensträußen belästigt.
vater-sohn-verhältnis Bis dahin ist Barney’s Version nur die Geschichte vom Aufstieg eines Lebemannes, der seinen Erfolg und die vielen schönen Frauen nicht wirklich verdient hat. Aber von dem Moment an, da der Held mit aller Kraft um Miriam kämpft und das Scheitern seiner zweiten Ehe herbeisehnt, lernt man einen neuen Barney kennen.
In einer wunderbaren kurzen Sequenz, die aus einem Kameraschwenk über Familienfotos besteht, rafft der Film die Zeit, zeigt einen Familienalltag mit Ehegattin Nummer drei und zwei Kindern, eine Harmonie, die man Barney nie zugetraut hätte. Aber Glück ist relativ und zeitlich begrenzt. Miriam wird es nicht ewig mit Barney aushalten.
Nach dem gleichnamigen Roman von Mordecai Richler, dem 2001 verstorbenen kanadischen Autor, dem der Film auch gewidmet ist, hat Regisseur Richard J. Lewis eine hinreißende Tragikomödie gedreht. Richler, hierzulande viel zu wenig bekannt, war so etwas wie der kanadische Philip Roth, nur komischer, weil ohne die intellektuellen Prätentionen des Amerikaners.
Statt selbstzweifelnder Akademiker sind Richlers Helden ellbogenstarke Aufsteiger aus dem jüdischen Kleinbürgertum. Auch im Film wird dieses Milieu porträtiert. Besonders berührend und komisch sind die Szenen zwischen Vater und Sohn. Dustin Hoffman spielt Panofsky senior als ehemaligen Streifenpolizisten mit leicht prolliger Ausstrahlung, großem Herzen und einer fatalen Lust auf alles Weibliche: Er stirbt bei einem Bordellbesuch.
prall Hoffman, inzwischen 71, spielt jetzt im Alter verstärkt jüdische Charaktere, die er mit seiner ganzen prallen Schauspielkunst und seinem Charme ausfüllt. Denn natürlich ist Barney’s Version auch ein Film über jüdische Identitäten, der unaufdringlich, aber deutlich, die Differenzen zwischen Arm und Reich, offenen und subtilen Rassismus sowie das ewige jüdische Zweifeln und Suchen thematisiert.
Das cineastisch Raffinierte an diesem Film mit seiner Rückblendenstruktur sind die schönen Metaphern und überraschenden Wendungen. So wird Barney beim Zwiebelschneiden von Miriam einmal belehrt, er müsse die Zwiebel vorher in das Tiefkühlfach legen. Aber ein Barney Panofsky friert seine Gefühle nicht ein.
Er lacht und weint, säuft, lässt sich gehen. Und wie bei einer Zwiebel treten immer neue Facetten seiner Persönlichkeit zutage, so wie auch der Film beschwingt zwischen den Genres Komödie, Krimi und Melodrama wechselt. Barney’s Version ist pralles Kino, das stets aus dem Vollen schöpft.