Kraftvoll hämmert sie auf die Tasten des Cembalos. Ihre Hände, krumm wie Vogelkrallen, klettern flink über die schwarz-weiße Klaviatur – und lassen dabei wunderschöne Musik erklingen. Das Eisena- cher Bachhaus widmet der polnisch-jüdischen Pianistin Wanda Landowska zurzeit eine Sonderstausstellung.
In einem der beiden Räume läuft in Endlosschleife ein kurzer Film aus den 50er-Jahren, in dem Landowska dem amerikanischen Fernsehpublikum von ihrem Cembalo erzählt: »Darf ich Ihnen meinen besten Freund und Begleiter vorstellen, mein Baby, mein Ein und Alles, die Liebe meines Lebens«, sagt sie in polnisch gefärbtem Englisch. Landowska war davon besessen, dieses Instrument, das sie als 17-Jährige zum ersten Mal im Berliner Musikinstrumentenmuseum sah, zu neuem Leben zu erwecken.
diva »Aber natürlich war es nicht so, dass sie nur die Alte Musik propagieren wollte. Ihr ging es auch um sich selbst«, sagt Martin Elste. Der Berliner Musikwissenschaftler hat im vergangenen Jahr das Buch Die Dame mit dem Cembalo herausgegeben und an der Eisenacher Ausstellung mitgearbeitet. »Wanda Landowska war die Instrumentaldiva schlechthin«, so Elste. Sie habe es verstanden, sich selbst zu inszenieren.
Bei dem Pariser Klavierbauer Pleyel ließ sie sich um 1900 nach eigenen Vorstellungen einige Cembali bauen. Musiker heute schmunzeln über die monströsen Instrumente und den metallenen Ton, doch die Landowska war nicht von ihrer Überzeugung abzubringen, sie habe den Klang der Bachzeit wiederentdeckt.
Viele Fotos zeigen sie im bodenlangen Gewand. Bei ihren Konzerten soll sie mit Tippelschritten die Bühne betreten und sich ganz langsam dem Cembalo genähert haben. Ihre Kurzsichtigkeit und das Schuhwerk ließen sie nicht schneller gehen. Unter dem wallenden Kleid trug sie Gymnastikschuhe, mit denen sie, von den Augen des Publikums unentdeckt, sieben Pedale bediente, die den Klang veränderten.
Die Eisenacher Ausstellung zeigt ein Originalpaar grüner Samtschläppchen aus dem Nachlass der Musikerin. »Wir haben uns von ihrer Selbstdarstellung inspirieren lassen«, sagt Bachhaus-Direktor Jörg Hansen. So ist einer der beiden Räume als Landowskas Wohnzimmer gestaltet: in der Mitte ein Pleyel-Flügel, an den Wänden eine Vielzahl von Fotos und Kupferstichen der Künstlerin, die sich gern mit Bildern umgab, die entweder sie selbst zeigten oder den von ihr vergötterten Johann Sebastian Bach.
bach Im Jahr 1879 wird Wanda Landowska in Warschau in eine assimilierte jüdische Familie geboren. Der Vater ist Rechtsanwalt, die Mutter Englisch-Übersetzerin. Die Eltern sind ehrgeizig, und so erhält die kleine Wanda bereits ab ihrem vierten Lebensjahr Klavierunterricht. Bei aller Wertschätzung für den polnischen Komponisten Frederic Chopin verliebt sie sich sehr bald in Johann Sebastian Bach, die Alte Musik und das Cembalo. Nach ihrem Studium am Warschauer Konservatorium geht sie nach Berlin, später nach Paris.
Um für sich und ihr Projekt zu werben, nimmt sie große Anstrengungen auf sich, reist mit ihrem Instrument quer durch Europa. Sie spielt vor dem Mediziner und Organisten Albert Schweitzer und dem Pariser Bildhauer Auguste Rodin. Zweimal fährt sie sogar nach Russland, um dem großen russischen Schriftsteller Leo Tolstoi auf seinem Landgut Jasnaja Poljana vorzuspielen. In Felle verpackt, wird ihr Cembalo auf einem Pferdeschlitten durch den russischen Winter gezogen. Zurück in Paris, schreibt sie in einer Musikzeitschrift begeistert von ihrer Reise und verschickt an Freunde und Kritiker Fotografien, die sie mit Tolstoi zeigen. Böse Zungen behaupten allerdings, der Schriftsteller sei vor Freude durchs Haus gehüpft, als die Dame mit dem Cembalo endlich abgereist war. Wie der Besuch tatsächlich verlief, weiß niemand.
verschollen Im Jahr 1925 gründete Wanda Landowska in Saint-Leu-la-Forêt bei Paris die École de Musique Ancienne, wo sie alljährlich Sommerkurse abhielt. Als die Deutsche Wehrmacht im Frühjahr 1940 in Frankreich einfiel, flüchtete Landowska in den unbesetzten Teil des Landes. Ihre wertvolle Bibliothek und ihre Sammlung alter Instrumente musste sie zurücklassen. Der NS-«Sonderstab Musik« des Reichsleiters Alfred Rosenberg beschlagnahmte neben rund 10.000 Büchern und Noten ein Klavier sowie vier Cembali und ließ sie in Spezialkisten verpackt nach Berlin schicken. Manches tauchte später auf Versteigerungen auf, anderes ist bis heute verschollen.
Im November 1941 gelang es der Landowska, mithilfe des Emergency Rescue Committees des Journalisten Varian Fry in die USA auszuwandern. Dort setzte sie ihre Karriere als Bachinterpretin fort und starb 1959 in Lakeville, Connecticut.
Was ist geblieben von Wanda Landowska, fragt die Eisenacher Ausstellung zum Schluss – und gibt die Antwort: Sie verteidigte das als altertümlich betrachtete Cembalo und setzte die Renaissance dieses Instruments in Gang. Dass das Cembalo, das lange Zeit vergessen war, im 20. Jahrhundert in den Konzertbetrieb zurückfand, ist vor allem ihr zu verdanken.
Die Ausstellung »Erinnerungen an Wanda Landowska« ist noch bis zum 13. November im Bachhaus Eisenach, Frauenplan 21, zu sehen. www.bachhaus.de
Martin Elste (Hrsg.): Die Dame mit dem Cembalo. Wanda Landowska und die Alte Musik. Schott, Mainz 2010, 190 S., 39,95 €