Mr. Allen, in dieser Woche läuft Ihr neuer Film »Irrational Man« in den deutschen Kinos an. Joaquin Phoenix spielt darin einen verwirrten College-Professor, der Mord moralisch vertretbar findet. Haben Sie schon einmal daran gedacht, jemanden umzubringen?
Natürlich! Unter gewissen Umständen ist ein Mord durchaus vertretbar. Wenn Sie wüssten, dass jemand einen Anschlag auf eine Schule plant, um dort 500 Kinder zu erschießen, dann würden Sie ihn doch vorher töten, das wäre moralisch zu rechtfertigen, oder nicht? Ein anderes Beispiel: Hätte man Hitler getötet, wäre die Welt ein besserer Ort geworden, meinen Sie nicht?
»Irrational Man« ist Ihr 50. Film. Was treibt Sie immer wieder an?
Ich beginne jeden Film mit dem Ziel, etwas Großartiges zu schaffen. Wenn ich dann sehe, was ich gemacht habe, ist es immer wieder eine Enttäuschung, denn kein Film ist das Werk, das man sich erträumt hatte. Ich sehe darin eine Million Fehler. Interessanterweise ist es genau das, was einen am Laufen hält. Man hat einen Film gemacht und versagt. Also will man einen neuen machen.
Wie viele sollen es noch werden?
Das hängt von meiner Gesundheit ab. Bisher hatte ich Glück. Ich stamme aus einer jüdischen Familie, in der man sehr, sehr alt wird. Mein Vater wurde 100, meine Mutter 95. Ich fühle mich noch immer sehr fit und halte volle Arbeitstage durch. Aber ich bin sicher, ich werde eines Tages aufwachen und keine Energie mehr in mir spüren. Dann ist es vorbei.
Noch ist es nicht so weit. Und nach wie vor reißen sich alle Hollywood-Stars darum, in einem Allen-Film mitzuspielen ...
... das ist völlig absurd. Ich verstehe das nicht.
Wieso nicht?
Allein schon das Casting – schrecklich! Sie betreten einen Raum, in dem 15 andere Menschen sind, die mindestens so gut sind wie Sie. Aber Sie wollen diesen Job so sehr haben, dass Sie sich freiwillig in diese erniedrigende Situation begeben, in der Sie von einem Blatt ablesen und Ihnen drei Leute zuhören. Also, ich bitte Sie, das ist doch fürchterlich, oder? Meine Schauspieler tun mir richtig leid. Ich gehe deshalb fast nie zu den Castings.
Wie besetzen Sie dann Ihre Filme?
Meine Casting-Experten zeigen mir im Vorfeld Filmausschnitte, um die Arbeit der Schauspieler beurteilen zu können. Ich selbst mache mir nichts daraus, ob ich die Schauspieler persönlich treffe. Am liebsten würde ich sie nur aufgrund des Videos besetzen und nicht in echt sehen müssen. Wir schütteln uns die Hände und haben uns in Wahrheit nichts zu sagen.
Haben Sie gar keine Freunde unter den Schauspielern?
Nein, ich engagiere Vollprofis. Sie haben ihr eigenes Leben und ich meines. Sie kommen, stellen sich vor die Kamera und machen, was ich sage. Hier endet die Zusammenarbeit. Mehr brauche ich nicht für mein kleines Glück.
Mit dem Regisseur und Schauspieler sprach Matthias Greuling.