Dies ist die Geschichte einer so wunderbaren wie unwahrscheinlichen Freundschaft. Die beiden israelischen Psychologen, die 1979 mit ihrer gemeinsam entwickelten Neuen Erwartungstheorie (Prospect Theory) die Wirtschaftswissenschaften revolutionieren sollten, hätten unterschiedlicher nicht sein können.
Daniel Kahneman, 1934 geboren, der die Schoa als Kind im französischen Versteck überlebte, war unsicher, schüchtern und pessimistisch; Amos Tversky, geborener Israeli, hingegen selbstbewusst, laut und unbeirrbarer Optimist. Keiner ihrer Kollegen an der Hebräischen Universität Jerusalem konnte nachvollziehen, warum diese beiden gegensätzlichen Charaktere so unzertrennlich schienen. Doch wenn sie sich stunden-, tage-, ja, wochenlang in ihrem Büro einschlossen, kamen sie gemeinsam auf geniale Ideen, die sie allein wohl nicht gehabt hätten.
Risiken Beiden gemeinsam war, dass sie sich schnell langweilten. So auch mit ihrem Fachgebiet, der akademischen Psychologie. Die geläufigen Theorien menschlichen Verhaltens schienen ihnen wenig damit zu tun haben, wie Menschen sich im wirklichen Leben tatsächlich verhalten. Kahneman und Tversky stellten bald fest, dass Menschen lange nicht so rational entscheiden, wie es die Sozial- und vor allem die Wirtschaftswissenschaften behaupten und wie sie es vor allem von sich selbst glauben. So sind sie grundsätzlich unfähig, Risiken und statistische Wahrscheinlichkeiten korrekt einzuschätzen.
Auch Experten wie Ärzte, Juristen oder Historiker, die sich viel auf ihr Fachwissen einbilden, urteilen in der Regel nach ihrem »Bauchgefühl« – und das führt systematisch in die Irre. In zufälligen Ereignissen suchen wir nach Mustern, wo keine sind, wir verallgemeinern unzulässig, ziehen voreilige Schlüsse und überschätzen grundsätzlich unsere Gewinnchancen im Lotto.
Daniel Kahneman und Amos Tversky räumten auf mit dem Mythos vom »homo oeconomicus«; auch in finanziellen Transaktionen agieren wir nicht als nüchterne Nutzenmaximierer, wir sind auch hier von Emotionen geleitet wie dem Gefühl für Fairness, Risikoscheu und der Furcht vor Verlusten. »Wenn wir Entscheidungen treffen, streben wir nicht danach, den Nutzen zu maximieren«, fasst der Autor dieser Doppelbiografie, der amerikanische Wirtschaftsjournalist Michael Lewis, die Erkenntnisse der beiden zusammen. »Wir streben danach, das Bedauern zu minimieren.«
Anekdoten 2002 wurde Daniel Kahneman für die gemeinsamen Forschungen, die die Grundlage der Verhaltensökonomik legten, mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet; Amos Tversky konnte ihn nicht mehr entgegennehmen, er war bereits 1996 an Hautkrebs verstorben.
Michael Lewis hat die Geschichte der Freundschaft zwischen Kahneman und Tversky auf sehr unterhaltsame Weise aufgeschrieben. Lewis, der zuvor schon Bücher über die Wall Street, Glücksspiel und Football veröffentlicht hat, erzählt die Biografien der beiden Psychologen, lässt sie selbst sowie Ehefrauen und Weggefährten ausführlich zu Wort kommen, webt Anekdoten und Zusammenfassungen der wichtigsten Aufsätze und Experimente seiner Protagonisten in die Erzählung ein.
Lewis gelingt es dabei hervorragend, einem die beiden israelischen Ausnahmegenies menschlich näherzubringen. Wer allerdings mehr über die Theorien des Denkens und der Entscheidungsfindung erfahren will, die Daniel Kahneman und Amos Tversky entwickelt haben, der ist immer noch mit Kahnemans Buch Thinking, Fast and Slow von 2011 (deutsch: Schnelles Denken, Langsames Denken, 2012) am besten bedient. Es ist für Laien ebenso gut lesbar, steigt aber wesentlich tiefer in die Materie ein.
Michael Lewis: »Aus der Welt. Grenzen der Entscheidung oder Eine Freundschaft, die unser Denken verändert hat«. Übersetzt von Jürgen Neubauer und Sebastian Vogel. Campus, Frankfurt/M. 2017, 359 S., 24,95 €