Wuligers Woche

Menasse und die Folgen

Ein kommunalpolitisches Drama

von Michael Wuliger  10.01.2019 11:58 Uhr

Brunnen vor dem Rathaus in Würselen. Auch hier könnte der Einakter spielen. Foto: dpa

Ein kommunalpolitisches Drama

von Michael Wuliger  10.01.2019 11:58 Uhr

Rathaus einer mittleren deutschen Großstadt vorige Woche. Krisensitzung.

Oberbürgermeister: »Die Planung für den Festakt zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar ist ja wohl im Eimer. Wessen Idee war das überhaupt, diesen Menasse als Redner einzuladen?«

Kulturdezernent: »Das war ich, gebe ich zu. Aber woher sollte ich wissen, dass der Mann Zitate frei erfunden hat? Und das Thema seiner Rede war wirklich spitze: ›Von Auschwitz nach Brüssel. Warum wir Europa brauchen‹.«

Oberbürgermeister: »Passte auch zum Auftakt des Europawahlkampfs. Unser Spitzenkandidat hatte sich schon als Ehrengast angekündigt. Wie stehe ich jetzt in der Partei da?« (Schaut zum Kulturdezernenten) »Wir brauchen rasch einen anderen Redner. Wer käme infrage?«

Kulturdezernent: »Schwierig, schwierig. Die meisten Spitzenleute sind schon ausgebucht. Die Auswahl ist nicht so groß. Es muss ja jemand Jüdisches sein.«

Pressesprecher: »Unbedingt. Sonst heißt es wieder: ›Warum kommt kein Vertreter der Opfer zu Wort?‹ Was ist mit diesem Professor, der öfter im TV auftritt?«

Kulturdezernent: »Den hatten wir vor zwei Jahren schon mal angefragt. Aber der wollte 10.000 Euro Honorar.«

Stadtkämmerer: »Kommt gar nicht infrage!«

Kulturdezernent: »Billiger käme diese Autorin, die voriges Jahr ihr Roman­debüt veröffentlicht hat. Die ist noch jung. Dann könnten wir dem Festakt auch eine optimistische Note geben. ›Eine neue Generation blickt nach vorn‹ oder so.«

Oberbürgermeister: »Nein, keine Schriftsteller. Die eine Pleite reicht mir.« (überlegt) »Wir brauchen ja nicht unbedingt Leute von außerhalb zu holen. Es gibt doch eine Jüdische Gemeinde in der Stadt. Lassen wir den Rabbi reden. Dann hat der Festakt auch einen kommunalen Bezug. Ist vermutlich auch kostenlos.«

Pressesprecher: »Ich habe den Rabbiner mal kennengelernt. Der ist Israeli und spricht grauenhaft schlechtes Deutsch.«

Oberbürgermeister: »Dann nehmen wir eben den Gemeindevorsitzenden.«

Stadtkämmerer: »Besser nicht. Der hat gerade eine Steuergeschichte am Hals.«

Oberbürgermeister: »Ohne Redner können wir keinen Festakt machen. Kein Schoa-Gedenken geht aber auch nicht.«

Pressesprecher: »Auf keinen Fall. Ich sehe schon die Schlagzeilen in der Presse: ›Geschichtsvergessene Stadt!‹«

Kulturdezernent: »Es gäbe noch eine andere Möglichkeit. Wir haben doch diese israelische Partnerstadt. Statt eines Festakts hier reisen wir mit einer Delegation zum Gedenktag dorthin. Unter dem Motto: ›Die Vergangenheit verpflichtet uns auch heute‹.«

Oberbürgermeister: »Das klingt gut. Was für ein Wochentag ist der 27. Januar?«

Pressesprecher: »Sonntag.«

Oberbürgermeister: »Dann reisen wir schon am Mittwoch an. Wie sind die Temperaturen dort um die Zeit?«

Pressesprecher (schaut auf sein Handy): »Um die 15 Grad und sonnig.«

Oberbürgermeister: »Prima. So kommen wir mal ein paar Tage aus dem Winterwetter raus. So hätten wir’s gleich planen sollen. Ich bin diesem Menasse jetzt richtig dankbar.«

Netflix-Serie

Balsam für Dating-Geplagte? Serienhit mit verliebtem Rabbiner

»Nobody Wants This« sorgt derzeit für besonderen Gesprächsstoff

von Gregor Tholl  23.10.2024

Herta Müller

»Das Wort ›Märtyrer‹ verachtet das Leben schlechthin«

Die Literaturnobelpreisträgerin wurde mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

von Herta Müller  23.10.2024

Essay

Die gestohlene Zeit

Der Krieg zerstört nicht nur Leben, sondern auch die Möglichkeit, die Zukunft zu planen, schreibt der Autor Benjamin Balint aus Jerusalem anlässlich des Feiertags Simchat Tora

von Benjamin Balint  23.10.2024

Dokumentation

»Eine Welt ohne Herta Müllers kompromisslose Literatur ist unvorstellbar«

Herta Müller ist mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis ausgezeichnet worden. Lesen Sie hier die Laudatio von Josef Joffe

von Josef Joffe  23.10.2024

Literatur

Leichtfüßiges von der Insel

Francesca Segals Tierärztin auf »Tuga«

von Frank Keil  21.10.2024

Berlin

Jüdisches Museum zeigt Oppenheimers »Weintraubs Syncopators«

Es ist ein Gemälde der Musiker der in der Weimarer Republik berühmten Jazzband gleichen Namens

 21.10.2024

Europa-Tournee

Lenny Kravitz gibt fünf Konzerte in Deutschland

Der Vorverkauf beginnt am Mittwoch, den 22. Oktober

 21.10.2024

Geistesgeschichte

Entwurzelte Denker

Steven Aschheim zeigt, wie jüdische Intellektuelle den Herausforderungen des 20. Jahrhunderts begegneten

von Jakob Hessing  21.10.2024

Heideroman

Wie ein Märchen von Wölfen, Hexe und Großmutter

Markus Thielemann erzählt von den Sorgen eines Schäfers

von Tobias Kühn  21.10.2024