Kulturkolumne

Meine Verwandten, die Trump-Wähler

Warum Hollywood endlich das Leben meiner Tanten und Onkel verfilmen muss

von Eugen El  17.02.2025 18:07 Uhr

Foto: Getty Images/iStockphoto

Warum Hollywood endlich das Leben meiner Tanten und Onkel verfilmen muss

von Eugen El  17.02.2025 18:07 Uhr

Es war ein eigenartiges Gefühl. Als die amerikanische Westküste jüngst über mehrere Wochen hinweg von heftigen Bränden heimgesucht wurde, musste ich beim Anblick der Bilder verwüsteter Straßenzüge und niedergebrannter Häuser in Pacific Palisades, Pasadena und anderen Orten rund um Los Angeles an einen Hollywood-Katastrophenfilm denken. Spätestens als ich las, Hollywood Hills müsse evakuiert werden, überschrieb die unbarmherzige Realität des Klimawandels die von der kalifornischen Traumfabrik filmisch vorweggenommene Apokalypse.

Dabei wirkt Los Angeles auch in ruhigeren Zeiten wie eine einzige Filmkulisse. Fährt man über eine gewöhnliche, hügelig-kurvige Landstraße, so stellt sich irgendwann heraus, dass es der Mulholland Drive ist, nach dem der kürzlich verstorbene Filmkünstler David Lynch einen 2001 geschaffenen, zu Kultstatus gelangten Film benannte.

An Restaurant-Nebentischen sprechen alle von Drehbüchern und Filmrollen

Blickt man von dem Park rund um die Sternwarte Griffith Observatory hinunter auf das schier endlose Straßenraster des Großraums L.A., so fühlt man sich sogleich in das magische Filmmusical La La Land mit Emma Stone und Ryan Gosling von 2016 versetzt, und schon summt man den eingängigen Titelsong City of Stars. Und dass sich sämtliche Gespräche an Restaurant-Nebentischen um gerade gepitchte Drehbücher, lukrative Filmrollen und hochfliegende Hollywood-Karrierepläne drehen, konnte ich bei meinem Los-Angeles-Besuch vor knapp zehn Jahren persönlich erfahren.

Zum Essen führten uns meine Onkel und Tanten aus, die seit etwa 40 Jahren in West Hollywood, einer an Beverly Hills und Hollywood angrenzenden, von L.A. umschlossenen Gemeinde leben. Sie waren aufrichtig begeistert, mit mir erstmals seit ihrer Auswanderung aus der Sowjetunion in den 80er-Jahren einen der jüngeren Abkömmlinge unserer weitverzweigten Familie zu treffen.

Als eine der Tanten irgendwann ein Foto von der Hochzeit meiner Großeltern väterlicherseits im sowjetischen Belarus der 50er-Jahre herauskramte, verschwammen für mich mit einem Mal die Grenzen von Zeit und Raum. Überhaupt führen meine kalifornischen Verwandten ein eigentümliches Leben inmitten des ultraliberalen West Hollywood, dessen offizielles Stadtwappen die Regenbogenfahne ist.

Meine kalifornischen Verwandten schauen russisches Staatsfernsehen

Sie sind schon 2016 bekennende Trump-Wähler gewesen, sie schauen russisches Staatsfernsehen – und beklagen sich über die überhöhten Theaterpreise im Leningrad der 80er-Jahre, als wäre die Zeit seit ihrer abenteuerlichen, über Wien und Rom führenden Flucht irgendwie stehen geblieben.

In seinem Roman Zwischenstationen hat der Schriftsteller Vladimir Vertlib dieser Generation sowjetisch-jüdischer Auswanderer ein feinfühliges literarisches Denkmal gesetzt. In Ermangelung von Deutschkenntnissen werden meine kalifornischen Onkel und Tanten Vertlibs Glanzstück leider nicht wertschätzen können.

Daher hoffe ich inständig, dass ihre unglaubliche Lebensreise vom westlichen Rand des Sowjetimperiums vor die Tore der Traumfabrik der westlichen Welt eines Tages verfilmt wird. Hollywood darf diese Geschichte nicht ignorieren!

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