Bis zu diesem Jahr hatte jeder für die großen Freudenfeuer zum Lag BaOmer-Fest seine eigene Hitlerpuppe gebastelt, sie an einem Holzpfosten aufgehängt und ihr beim Verbrennen zugesehen, während wir das Lied sangen: »Hitler ist tot, seine Frau hat die Pest, die Kinder weinen vor Not, die Juden feiern ein Freudenfest.«
Normalerweise wurden die Puppen aus Papier und Karton gemacht. Dieses Jahr verkündete Alisa, die Lehrerin, dass jede Klasse im Kunstunterricht gemeinsam eine Hitlerpuppe basteln und die Klasse mit der besten Puppe irgendeinen Preis gewinnen würde. Wir könnten Stroh, Holz, sogar Plastik benutzen, uns ganz von der Fantasie leiten lassen, »wohin sie euch trägt«, wie Alisa sagte. Ich nahm mir sofort vor, alles zu tun, was ich konnte, damit wir gewinnen. Ich wollte, dass Alisa sich freut, dass sie mich mehr beachten würde. Bisher sank meine Hand jedes Mal, wenn ich mich melden wollte, wieder nach unten, und wenn sie mich am Ende doch aufrief, kam ein Wortsalat heraus, und ich lief rot an. Aber bei kreativen Aufgaben war ich besser. Ich spürte, das war meine Chance.
Schnurrbart Deshalb meldete ich mich am Ende der Stunde sofort freiwillig, Material zu sammeln und es am nächsten Tag mitzubringen. Alisa freute sich, wenn sie auch etwas kurz angebunden und sachlich war. Sie wollte einfach schnell ins Lehrerzimmer zum Kaffeetrinken. Ich war nicht beleidigt, fing nur an zu überlegen, wo ich Stroh und Stoff für das Gesicht herkriegen könnte, Knöpfe für die Augen, und der Schnurrbart, der wichtigste Teil – woraus genau ich den Schnurrbart machen sollte? Ich hatte das Gefühl, dass mein Gehirn brannte, als sei es voller bunter Kerzen. Sofort nach dem Klingeln rannte ich nach Hause und aß ein aufgewärmtes Fertigschnitzel mit Pommes, dann öffnete ich den großen Schrank auf dem Balkon und fing an, Schachteln mit Stoffen, Nähgarn, Klebstoff und allem möglichen anderen Kram herauszuholen.
Bis meine Mutter mich sah und losbrüllte: »Was machst du denn da? Bist du noch ganz richtig im Kopf? Räum das sofort wieder weg!« Ich erklärte ihr, dass das wichtig für die Schule sei, dass die Lehrerin Alisa mir eine Aufgabe gegeben habe, und das stimmte meine Mutter ein wenig milder. Ziemlich schnell fanden wir fast alles, was wir brauchten. Ich freute mich so, dass ich sie umarmte. Das machte sie ein bisschen verlegen, aber sie umarmte mich auch. Bis sie beschloss, dass es jetzt mal genug sei, ich sei ja schon groß.
Am nächsten Tag kam ich schon vor der ersten Stunde. Die Kinder in der Klasse warfen mir abfällige Blicke zu, besonders Aaron, der seine zwei Freunde mit dem Ellbogen anstieß, während er ein widerliches Grinsen aufsetzte. »Was ist?«, schnauzte ich ihn an – was ihn nur dazu brachte, noch breiter zu grinsen. Er sagte nichts, aber ich spürte seinen Spott bis in die Fingerspitzen brennen.
Dann ging er an dem großen Sack mit den Stoffen und dem anderen Zubehör vorbei, versetzte ihm einen so festen Schlag, dass er fast umkippte, und sagte: »Du bastelst dir daheim garantiert selbst Barbiepuppen, was?« Seine Freunde platzten fast vor Lachen. Ich wollte gerade etwas erwidern, da liefen sie schon aus dem Klassenzimmer. Ein paar Mädchen blieben noch da. Ich wusste nicht, was sie fühlten oder dachten. Aber da war irgendein Raunen hinter mir, und einen Moment später sah ich etwas in Kalanits Blick, das ich nicht deuten konnte.
Seitenscheitel Alisa war sehr zufrieden mit den ganzen Utensilien, die ich mitgebracht hatte, hörte weder Aarons Schnauben noch das Prusten danach. Alisa zeichnete einen Entwurf an die Tafel und verteilte Gruppenaufgaben. Ich war mit Kalanit, Ofira und einem schweigsamen Jungen namens Rami in einer Gruppe. Natürlich übernahm ich die Leitung. Unsere Aufgabe war das Gesicht. »Der allerwichtigste Teil«, wie Alisa sagte, wobei sie mich ansah, und ich spürte, wie die Kraft in meinem Körper wuchs. Alisa hatte sich rechtzeitig um ein gutes SchwarzWeiß-Bild von Hitler gekümmert, das kürbisförmige Gesicht, die Frisur mit dem Seitenscheitel, und vor allem der komische, fast viereckige Schnurrbart, der wie ein Fußvorleger aussah.
»Am wichtigsten ist, dass ihr versucht, den Blick wiederzugeben, denn der Blick ist das Allerwichtigste, der Blick entscheidet am Ende, ob ihr gute Arbeit geleistet habt«, sagte Alisa. Kalanit wirkte, als würde sie jeden Moment einschlafen. »Wie macht man einen Blick?«, fragte ich Alisa, die mich anzulächeln schien. Sicher war ich mir nicht. »Tja, genau darum geht es, das ist nicht leicht.«
Ich spürte mich beflügelt, während ich anfing, am Gesicht zu arbeiten. Ofira half mir ein bisschen, bis sie müde wurde. Rami wollte zwar helfen, schaffte es aber nicht, auch nur irgendwas zu machen. Kalanit gähnte und schaute nicht in meine Richtung, warf nur ab und zu einen Blick nach hinten zu den anderen. Der Kopf und die Haare waren ziemlich schnell gemacht. Ich war so auf die Arbeit konzentriert, dass ich völlig vergaß, dass ich im Klassenzimmer war und das Feuer schon am selben Abend stattfinden würde. Ich hatte nur noch die Puppe vor Augen, und ich bastelte den besten und genausten und beeindruckendsten Schnurrbart.
Garn Ich war dermaßen konzentriert, dass ich die Pausenklingel überhörte, nicht merkte, wie die Zeit verging, dass Alisa hinaus ging und wieder hereinkam und alles andere – ab einem gewissen Stadium begannen Hitlers Bild und die Puppe, sich miteinander zu vermischen. Ich platzierte Augenknöpfe und entfernte sie wieder, suchte andere und Garn für die Augenbrauen, etwas für die Gesichtsform, betonte sie und machte es wieder rückgängig, bis ich schließlich kraftlos am Tisch zusammensank und endlich merkte, dass der Unterricht schon aus war und sich alle im Hof zerstreut hatten oder nach Hause gegangen waren.
Ich sah die Puppe an, sie glich ihm aufs Haar, wie mir schien, fast schaudererregend. Und der Schnurrbart war fantastisch, führte exakt die Nase fort, büchste nirgends seitlich aus, vollkommen zentriert. Ich fand, dass man das Harmonie nennen konnte, wie die Teile einander ergänzten und zusammen eine perfekte Lumpenpuppe ergaben. Nachdem ich die Verantwortung übernommen hatte, war es meine Aufgabe, den Kopf mit dem Rest des Körpers zu verbinden. Ich nahm einen langen Pa-pierstreifen, schmierte ihn mit Kleber ein und dann auch den Körper – eine geistlose Vogelscheuche, doch das war nicht der wichtige Teil –, so viel wie möglich, damit das Ganze perfekt würde.
Mein Herz klopfte heftig. Ich hob die Puppe hoch, wie ein Baby, damit sie nicht auseinanderfiel, denn der Kleber war noch feucht. Ich ging zum Lehrerzimmer in der Hoffnung, dass Alisa da sei. Doch es war völlig leer. Also ging ich nach Hause, setzte die Puppe dort auf dem Sofa ab. »Siehst du? Sie schaut wirklich genauso aus, nicht wahr?« Meine Mutter verzog das Gesicht. »Nimm das da weg, ich will Hitler nicht in meinem Wohnzimmer, ja?«
Ich brachte Hitler in mein Zimmer und setzte ihn auf das Regal zwischen die Spider-Man-Heftchen, die Schulbücher und das Barmizwa-Gebetbuch, aber er rutschte ab. Sein Körper war kraftlos und nicht stabil genug. Mir blieb keine Wahl. Ich legte ihn ins Bett, legte sogar seinen Kopf aufs Kissen und breitete eine Decke über ihn. Ich dachte, so würde auch der Kleber besser wirken.
Kleber Am Abend war der Klebstoff ganz getrocknet. Ich schaute die Puppe an und war davon überzeugt, dass sie einfach perfekt war. Alisa würde sie am Abend sehen, und sie müsste einfach begeistert sein. Ich fing schon an, den Brandgeruch zu riechen, der von draußen ins Haus eindrang, egal, wie dicht die Rollos waren.
Schwanken Meine Mutter ging auch zu einem Freudenfeuer, sie würde sicher erst nach mir zurückkommen, vielleicht schwankend. Manchmal, wenn sie schwankte, machte sie alle möglichen unnormalen Sachen, schlief auf dem Schaukelstuhl oder holte alle Kekse aus dem Schrank, fing an, sie zu zertrampeln und auf ihnen herumzuspringen, bis sie alle zerbröselt waren, und dann lächelte sie einfach, ließ das Ganze so und ging ins Bett.
Ich packte die Kartoffeln ein, zog meine Festtagskleidung an, und natürlich nahm ich die Puppe mit. »Gute Idee. Schaff das Ding endlich aus dem Haus, ich will diese schauerliche Puppe nicht mehr sehen«, sagte meine Mutter, doch bevor ich zur Tür hinausging, fügte sie hinzu, »und hab Spaß beim Feuer«.
Mein Herz hämmerte vor Aufregung. Ich ging nach draußen. Der Himmel schimmerte rosa-orangefarben, brennender Rauchgeruch wirbelte umher. Eine bestimmte, elektrisierende Atmosphäre, funkenknisternd. Kinder schleppten Holzpfosten und Papier, eine festliche Stimmung lag in der Luft. Ich trug die Puppe stolz an den Ort, an dem wir unser Feuer haben sollten. Ich hoffte, dass schon Pfosten und andere Kinder da wären und natürlich die Lehrerin Alisa. Aber da waren nur die Feuerstellen von anderen Klassen. Vielleicht bin ich zu früh, dachte ich mir, doch etwas stimmte nicht, man konnte deutlich am Himmel sehen, dass es gleich Nacht würde.
Die Zeit verstrich langsam, dann schnell und wieder langsam, Düsterheit überkam mich, und mit einem Mal begriff ich, was wirklich los war. Sie hatten den Ort verlegt und mir nichts gesagt, denn dafür war Aaron verantwortlich, jeder hatte etwas übernommen, und er hatte die Verantwortung dafür, den Ort auszusuchen. Alles ergab Sinn.
Und in dem Moment, in dem Alisa kommen und fragen würde, was mit der Puppe sei, würde Aaron antworten, man kann sich eben nicht auf ihn verlassen, sehen Sie? Letztendlich hat er überhaupt nichts zustande gebracht. Und wie sollte ich Alisa erklären, dass sie mich einfach in die Irre geführt hatten und ich zum falschen Ort gekommen war? Alisa würde sagen: »Das ist aber gar nicht in Ordnung, wir haben auf diese Puppe gebaut, wie kann man ein Freudenfeuer ohne eine Hitlerpuppe machen? Das ist deine Schuld, und ich bin wirklich sehr enttäuscht, dass du so verantwortungslos bist.«
Feuer Ich glaube, ein paar Tränen glitzerten in meinen Augen. Vielleicht war es auch der Rauch, der inzwischen überall in der Luft hing. Stimmt, ich hätte aufstehen und anfangen können, das Feuer meiner Klasse zu suchen, er hatte es bestimmt auf das Feld neben der Hauptstraße verlegt, oder vielleicht neben sein Haus. Aber irgendwie konnte ich meine Füße nicht bewegen. Sie waren wie festgewurzelt.
Die Feuer neben mir schlugen immer höher, die Funken flogen in alle Richtungen, der Himmel wurde schwarz und rot, märchenhaft. Ich schaute zu den Sandhügeln hinüber, die zum Meer führten, und das ganze Gelände funkelte vor lauter Feuern. Es sah aus, als seien die Sterne auf die Erde herabgestiegen und hätten zu tanzen angefangen. Irgendwann stand ich auf, die Puppe in meinen Armen, und begann, zwischen den Feuern herumzulaufen. Ich wirkte wie ein Schlafwandler. »Hi, was machst du hier?« Es war Uri, der Nachbar aus dem ersten Stock. Er war ein Jahr älter als ich und mit seinen Klassenkameraden bei ihrem Feuer, das beeindruckend groß wirkte.
»Braucht ihr vielleicht eine Hitlerpuppe?« Er klopfte mir auf die Schulter. Wir hatten einen Sonderstatus im Haus, die Nachbarn hatten Mitleid mit uns, weil es keinen Vater gab und eine Mutter, die manchmal leicht schwankte. Er trat einen Moment zu seinen Freunden, redete mit ihnen und kam kurz darauf mit einem Holzpfosten in der Hand zurück. »Mach ihn da fest, und dann stell ihn rein.«
Ich nahm meine Puppe, meine perfekte Hitlerpuppe mit dem so vollkommen echten Blick, und hängte sie an die Spitze des Pfostens. Sie wollte nicht hängen bleiben, ich musste ihr die Lumpen am Rücken ein bisschen zerreißen, aber am Ende klappte es. Ich trat näher an die Flammen heran, spürte die brennende Hitze.
Pfosten Ich setzte den Pfosten mit der Puppe ab. Sie fiel fast zu Boden. Im letzten Moment gelang es mir, sie zu retten. Denn sonst wäre sie sofort verbrannt. Ich machte den Pfosten fest, rammte ihn in den Boden, meine Hände wurden heiß, ich hatte das Gefühl, sie würden jeden Moment verbrennen, bis plötzlich das Gefühl aus ihnen wich. Ich trat ein paar Schritte zurück. Die Puppe baumelte am Pfosten, die Flammen schossen unbeirrbar in ihre Richtung. Uri und seine Kameraden klatschten Beifall, ich glaube, jemand sagte: »Was für eine schöne Puppe, ich hab noch nie eine so schöne Hitlerpuppe gesehen.«
Ich schaute ins Feuer, und auf einmal spürte ich einen unbezwingbaren Drang, sie da herauszuholen, sie zu retten, das war doch meine Puppe, meine perfekte Hitlerpuppe. Und mir wurde schlagartig klar, wie ich das machen würde – ich würde wie aus Versehen den Stützpfosten umwerfen, dann würde die Puppe auf den Boden fallen, und sie wären so beschäftigt damit, das Feuer wieder zu richten, dass ich sie mir holen und mich aus dem Staub machen könnte, ohne dass sie es merkten.
Ich vergewisserte mich, dass sie mit ihrer Unterhaltung beschäftigt waren und nicht in meine Richtung schauten. Ich machte einen Schritt nach vorn, lief auf die Flammen zu.
Der Autor und Lektor, Träger des Prime Minister Award in Israel, veröffentlichte die Romane »Tage des Pop«, »Die Psychiker« und »Dickes Mädchen« (auf Hebräisch) sowie die Anthologie »Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen – Israelische Autoren und deutsche Autoren schreiben über das andere Land« (S. Fischer, 2015).
Übersetzung der Kurzgeschichte aus dem Hebräischen von Barbara Linner.