Herr Shoval, vor einem Jahr hatte Ihr Film »Youth« auf der Berlinale Premiere. Jetzt läuft er in den deutschen Kinos. »Youth« spielt in Ihrer Geburtsstadt Petach Tikwa. Warum haben Sie sich diesen Drehort ausgesucht?
Nun, ich bin dort groß geworden, kenne alle Ecken dieser Stadt und weiß, wie die Lebensverhältnisse dort sind. Aber was mich eigentlich daran gereizt hat, war, den Alltag einer Mittelklassefamilie wiederzugeben. Ich wollte zeigen, wie die Menschen leben, welche Spannungen es gibt – gerade seit der Wirtschaftskrise.
Haben Sie solche Spannungen selbst in der Familie erlebt?
Ein bisschen schon. Mein Vater hat 20 Jahre lang in einer Firma gearbeitet, dann wurde ihm ganz plötzlich gekündigt. Es gab viele Verstimmungen in der Familie, und die haben mich natürlich mit beeinflusst.
Also haben Sie in dem Film auch autobiografische Elemente mit eingebracht?
Ja. Mein Bruder und ich – wir sind zwar keine Zwillinge wie David und Eitan, die in dem Film die Hauptrollen der Brüder Yaki und Shaul spielen. Aber wir sehen uns sehr ähnlich und haben eine enge Verbindung zueinander.
David Cunio, Sie sind im Kibbuz aufgewachsen und spielen mit ihrem Bruder Eitan gemeinsam in »Youth«. Wie war es für Sie, in Petach Tikwa zu drehen?
Ich kenne natürlich die Probleme der Stadt und weiß, was im Land geschieht, aber Themen wie die Wirtschaftskrise sind mir etwas fremd gewesen. Im Kibbuz gibt es seltener ökonomische Probleme, und die Teller sind immer gefüllt.
Der Film thematisiert aber die Probleme einer Mittelstandsfamilie, die eigentlich nie genug zum Leben hat. Das ganze spielt drei Jahre nach den Sozialprotesten in Tel Aviv. Wie sehr haben sie Sie beeinflusst?
Im Nachhinein sehr. Ich habe allerdings schon vor den Demonstrationen an einem Film gearbeitet, der soziale Probleme in Israel zum Thema hatte. Meine Generation hat dort protestiert. Wir fühlen alle diesen Druck und zeigen es auf unsere Art. Ich habe mich filmisch damit auseinandergesetzt. Übrigens hat Daphni Leef, eine der Initiatorinnen der Proteste auch Film studiert.
Was hat sich denn seit den Protesten geändert?
Pessimistisch gesagt: nichts. Die Ausmaße der Demonstration haben alle überrascht, und vielleicht gibt es sie eines Tages wieder. Allerdings haben sie auch jetzt schon ihre Spuren hinterlassen, denn ich denke, dass sich die Regierung der Alltagsprobleme nun doch mehr annimmt, als zuvor. Bei den Wahlen im vergangenen Jahr haben viele Bürger ihre Stimme den Parteien gegeben, die einen wirtschaftlichen und gleichzeitig sozialen Schwerpunkt haben. Es ist ein kleiner, kleiner Schritt.
Sie zeigen eine Gesellschaft, die sehr kalt ist: Zum Beispiel mit einer Szene, in der das junge Mädchen entführt wird und sich keiner der Mitreisenden im Bus um sie kümmert.
Diese Szene haben wir übrigens vorher ohne Kamera in einem Bus geprobt. Denn ich wollte, dass alle spüren und erfahren, wie die Menschen um sie herum reagieren. Beim Schreiben habe ich mich gefragt: Kann das funktionieren? Wird wirklich niemand etwas unternehmen? Schließlich steigt dort ein junger Soldat in den Bus. Eine Person, zu der man aufsieht. Keiner würde sich vorstellen, dass er mit seinem Gewehr etwas anderes anstellen würde, als das Land zu beschützen. Und ich wollte eben zeigen, dass es eine gewisse Ignoranz unter den Menschen gibt. Aber das war noch ganz hypothetisch. Dass es dann bei den Proben wirklich so ablief, hat uns alle überrascht. Und es hat mich sehr deprimiert, denn ich dachte, die Menschen würden mehr auf ihr Gegenüber achten. Die israelische Gesellschaft verliert die Solidarität füreinander. Jeder schaut nur noch auf sich allein.
Woher kommt das?
Das hat verschiedene Ursachen: Die Situation im Land, an den Grenzen, in den Gebieten.
Ist das eine verlorene Generation?
Meine Generation ist irgendwie verloren. Denn wir tragen die soziale Situation und die politischen Umstände im Land als Last mit uns herum. Dabei wollen sich die Jugendlichen einfach nur ausleben. Aber wir werden sehr schnell erwachsen. Wir gehen früh zur Armee. In Israel heißt der Film »Ha Noar« – »die Jugend«, zu der man aufschaut. Unsere Zukunft. Aber diese Zukunft ist für mich verloren.
Mit dem Regisseur sprach Katrin Richter.
Lesen Sie dazu auch unsere Filmrezension: www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/18155/