Alice Brauner

Mein Leben als Tochter

»Schon immer Tachles« – treffender könnte der Titel des neuen Podcasts des Zentralrats der Juden in Deutschland anlässlich seines 70. Bestehens nicht lauten. In der siebenteiligen Sendung wird den Gästen ordentlich auf den Puls gefühlt, diese wiederum nehmen kein Blatt vor den Mund, ohne dabei ihr Ziel aus den Augen zu verlieren. In der zweiten Episode spricht Moderator Philipp Peyman Engel nun mit Alice Brauner, Tochter des legendären Artur Brauner und ihres Zeichens Filmproduzentin.

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Brauner, »krankhaft besessen vom Film, nahezu obsessiv«, macht die Dinge von Anfang an klar: »Ich habe schon immer meinen eigenen Kopf gehabt.« Sie ist keine Frau, die sich mit Etiketten versehen lässt. Tochter? Mit Herzblut, ja, aber auch eigenständige Denkerin, promovierte Historikerin. Feministin? Nicht extrem, sagt sie. Bewusst sei ihr aber, dass das Filmbusiness »sehr hart« für Frauen sei. Männer hätten schlichtweg die besseren Netzwerke.

BEGEGNUNG Film bedeute generell aber auch »Kampf«. Eine Kämpferin ist Brauner zweifelsohne. Allein schon eine eigene Linie gegenüber dem alles geliebten Vater durchzufechten, erforderte Selbstbewusstsein und Risikobereitschaft. Früh lernte sie schon, dass künstlerische und unternehmerische Leistung nicht von der Anerkennung anderer abhängig gemacht werden darf.

»Wir gehen ein wie die Majas und die Inkas, wenn wir nicht unser Judentum und unsere Kultur weiterpflegen«, sagt Alice Brauner.

Für ihren prämierten Film »Crescendo« heimste sie vom Vater ein schmales Lob ein: »Leider gut!« Man mag darin eine gewisse Koketterie erkennen, zumal Artur Brauner ein humorvoller Mensch war, der sich seinen Schwung mit Caterina-Valente-Songs und eigenen Gesangsambitionen bewahrte. Andererseits gab es für ihn »immer nur zwei Meinungen: seine und die falsche«. Alice Brauner wirkt amüsiert, wenn sie über ihren Vater spricht, zugleich aber auch voller Respekt: »Mehr als von ihm kann man nicht lernen.«

ABSCHIED Schwer sei es ihr gefallen, nach dem Tode des Vaters vor einem Jahr wieder einen Fuß in die Grunewalder Villa zu setzen, in der sie ihre Kindheit verbracht habe. Die Familienbande waren sehr stark, der Tod der Mutter, dann des Vaters die schwersten Einschnitte in Alice Brauners Leben. Der Verlust dieser »unbedingten Liebe« könne durch nichts ausgeglichen werden. Sie selbst aber setze diese Liebe nun fort gegenüber »Ben Hur und König David«, wie sie ihre Zwillingssöhne verschmitzt als cinephile Mama nennt.

Von Moderator Philipp Peyman Engel, Redakteur der Jüdischen Allgemeinen, nach dem Bild gefragt, das sie mitgebracht hat, nimmt Brauners Stimme eine ernste Färbung an. Ihr Lieblingsfoto zeige ihre Eltern im »Displaced Persons Camp« im baden-württembergischen Heidenheim. Trotz widrigster Umstände sei dieses sensationelle Foto entstanden. Ihre Mutter ist abgebildet mit gefärbtem blondem Haar, da sie so und mit »arischen Papieren« den Krieg überlebt hatte.

Das Tagebuch ihres Großvaters aus dem »Displaced Persons Camp« im baden-württembergischen Heidenheim eines Tages zu publizieren, ist sie sich als Historikern und der Nachwelt schuldig, so Brauner.

»Maria«, ihren falschen Namen, habe die Mutter beibehalten, als Talisman, der an das Überleben erinnerte. »Atze, die Glatze«, wie Artur Brauner in Berlin genannt wurde, zeigt das Foto mit vollem Haupthaar, allein schon deshalb ein Erinnerungsstück mit Seltenheitswert.

ZEUGNIS Alice Brauners Erzählungen bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Amüsement und Traurigkeit. Sie erinnert an den roten Ausweis, der ihren Vater als »Opfer des Faschismus« auswies und an das Tagebuch ihres Großvaters, dem sie einen mindestens so bedeutsamen historischen Wert zuspricht wie den Büchern Victor Klemperers. Dieses Tagebuch eines Tages zu publizieren, sei sie sich als Historikern und der Nachwelt schuldig.

Alice Brauner sagt das mit einer Bestimmtheit, die ihren Erfolg als Geschäftsfrau zu erklären vermag. Am Ziel sei sie aber noch lange nicht angelangt. Chancen für die Filmindustrie sieht sie trotz Corona durchaus. Die Streamingkanäle hätten die Deutschen zu einer neuen Art des Erzählens angeregt. »Die Deutschen kommen langsam«, wirft Engel ein, und Brauner beginnt zu schwärmen von ihrem Dreh in Israel, bei dem sich palästinensische Musiker und israelische Schauspieler zunächst feindselig gegenübergestanden und am letzten Drehtag weinend in den Armen gelegen hätten.

Sie lobt an dieser Stelle die Initiative »Schalom Aleikum« des Zentralrats der Juden in Deutschland, der diese Formen von Gemeinschaft fördere.  Diese Möglichkeiten motivierten sie, regten sie an zum Weitermachen! Darin ist sie ganz die Tochter ihres Vaters, der sich nie vom Zeitgeist erdrücken oder von Gegnern niederringen ließ.

Der Schlüssel zur Verständigung sind für Brauner Foren der Begegnung, wie sie die Initiative »Schalom Aleikum« des Zentralrats der Juden ins Leben gerufen hat.

Warum der grandiose Film »Hitlerjunge Salomon« keinen »Oscar« gewonnen habe, fragt Engel. Alice Brauner spricht scharf, wenn auch nicht ohne Bedauern, von einer« Neid-Diskussion«. Man habe es ihrem Vater einfach nicht gegönnt. Dass der Film von einem Jury-Mitglied, als »Scheißfilm« bezeichnet wurde, habe ihr Vater bis zum Ende seiner Tage nicht verwunden.

Man kann sich vorstellen, warum Brauner seine Tochter zum »Pitchen« in die Redaktionen geschickt hat. Diese Frau ist nicht nur klug, sondern hat auch die nötige Chuzpe und Verve, um seinen Feinden eines Tages eins auszuwischen.

MAZZOT Alice Brauner ist das zuzutrauen, wenn sie auch in erster Linie von Kreativität und Innovationslust getrieben ist. Erst kürzlich habe sie ihren Film »Matze, Kebab, Sauerkraut« abgedreht, eine »Culture Clash«-Komödie, in der sich ein Berliner Jude und ein Berliner Araber in eine bayerische Katholikin verlieben. Es ist ihre Art, des Vaters Lebenswerk fortzusetzen: politisch selten korrekt, ehrgeizig und der eigenen Traditionen bewusst.

Diese Frau ist nicht nur klug, sondern hat auch die nötige Chuzpe und Verve, um seinen Feinden eines Tages eins auszuwischen.

»Er konnte doch nicht die ganzen Opfer vergessen lassen«, sagt sie von ihrem Vater. Engel fügt hinzu, das Lachen habe er den Deutschen wiedergeschenkt, aber auch den Spiegel gnadenlos vorgehalten. Dasselbe ließe sich von Alice sagen. Der Erstarrung in Selbstgerechtigkeit und der Einseitigkeit selbstverliebter Betrachtungen widerspricht sie vehement, auch wenn sie das Sympathien kosten kann.

METOO Furios im wahrsten Sinne des Wortes erzählt sie von Schauspielerinnen, die sich an ihren Vater herangeschmissen, sich ihm auf den Schoss gesetzt hätten, sogar in Anwesenheit ihrer Mutter. Auch diese Sichtweise müsse in der Metoo-Debatte erwähnt werden. Sie selbst sei ziemlich barsch mit diesen Frauen umgegangen, während ihre Mutter Nachsicht habe walten lassen.

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»Ich bin nicht eifersüchtig, denn die anderen Frauen wollen immer alles von ihm und ich gebe ihm immer«, sagte die Mutter. Eine Haltung, die Selbstdisziplin, Größe und Liebe erfordert. »Eine ganz, ganz, ganz große Liebe« sei die Beziehung zwischen ihren Eltern gewesen, angedichtete Techtelmechtel seitens des Vaters hin oder her. Rosa Rosen an Schabbat, handgeschriebene Liebesbrieflein. Von einer »offenen Beziehung« wie sie Marcel Reich-Ranicki und seine Frau Tosia praktizierten, könne nicht die Rede gewesen sein.

LIEBE Auch ihre eigene Ehe klingt nach Romantik und Herzenssache. »Maria, die beste Ehefrau der Welt« sagte Artur von der Gattin, »Ausnahmemensch mit Ausnahmeherz und Ausnahmecharakter« Alice Brauner von ihrem nicht-jüdischen Ehemann.

Wie aber steht es da mit dem Fortleben ihrer Jüdischkeit? Ihr Mann sei aus der katholischen Kirche ausgetreten und so ernsthaft mit dem Judentum befasst, dass der Rabbi ihn in der Synagoge schon für einen besonders »frommen Juden« halte, weil er so still sei, während alle anderen nur quatschten.

Ja, der Glaube sei ihr wichtig, auch praktiziertes jüdisches Leben. 2,2 Milliarden Christen, 1,8 Milliarden Muslime und 900 Millionen Buddhisten gäbe es auf dieser Erde – und nur 14 Millionen Juden. »Wir gehen ein wie die Majas und die Inkas, wenn wir nicht unsere Kultur und unsere Religion weiterpflegen«, sagt Brauner.

Sie hoffe sehr, dass ihre Söhne jüdisch heiraten. Dass Alice Brauner dann mit der Kamera in der Hand diesen Moment für die Nachkommen festhalten wird, steht außer Frage. Plotkes hin oder her.

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