Sprachgeschichte(n)

Mein Freund, der Haberer

Wie ein hebräischer Begriff in Österreich politische Karriere gemacht hat

von Christoph Gutknecht  23.11.2010 13:11 Uhr

Eine Hand wäscht die andere: Haberer unter sich Foto: imago

Wie ein hebräischer Begriff in Österreich politische Karriere gemacht hat

von Christoph Gutknecht  23.11.2010 13:11 Uhr

Wenn es um ungehörige Beziehungen in und zwischen Wirtschaft und Politik geht, spricht man in Deutschland von Beziehungen, Vitamin B, Seilschaften, Vetternwirtschaft oder, spielt die Geschichte im Rheinland, von Klüngel. Die Österreicher haben für das Phänomen ein eigenes Wort: Bei ihnen ist die Rede vom »Haberertum«. Der Haberer, der auch Hawerer oder Hawara heißt, ist ein Busenfreund, Spezi, Zechbruder, Kumpel (»Er kummt immer mit seine Hawara«).

In zweiter Linie steht er, speziell in der Wiener Mundart, für Liebhaber der Frau (»Olles hob i für di gmocht, meine Haberer hob i für di aufgebm«), seltener für Freier oder Zuhälter (»der reiche Hawara von da Susi«). Die Koseform lautet Habschi, in Vorarlberg Habi oder Hawi. Als Wolfgang Teuschl, Autor eines Wiener Dialektlexikons, 1971 seine Übertragung des Neuen Testaments ins Wienerische vorlegte, nannte er sie: »Da Jesus und seine Hawara«.

Chawer Sprachlich zurück geht der Haberer auf das hebräisch-jiddische cháwer/cháwerte, im Plural cháwejrim. Leo Rosten erklärt in seiner vergnüglichen Enzyklopädie Jiddisch, 2002 bei dtv erschienen, dass »Chawer beziehungsweise Chawerta die Form der Anrede ist, die in manchen jüdischen Bruderschaften, Gewerkschaften und politischen Organisationen gebraucht wird und besonders bei jüdischen Kommunisten und sozialistischen Zionisten die bevorzugte Anrede war«. Bill Clinton etwa rief dem ermordeten Yitzchak Rabin an dessen Grab hinterher: »Schalom, Chawer!« Chawer selbst hat seine Wurzeln im hebräischen chawruta, in dem das hebräisch-aramäische Wort chewra (Gesellschaft) steckt, das man aus der Chewra Kadischa, der Beerdigungsbruderschaft, kennt.

Nicht nur ins Wienerische hat das hebräische Wort Eingang gefunden, sondern auch in den eichstetterischen Dialekt: »Dou isch e scheeni Chavrusse beienand«, sagt man in dem südbadischen Ort am Kaiserstuhl. Sich verchawern (im Sinne von sich verbünden) ist im Rotwelschen seit 1840 belegt; seit 1870 gab es in Böhmen den Chabrus, einen Bund zum Erwerb von Grundbesitz, um so das Wahlrecht zu erhalten.

negativ besetzt Im ursprünglichen Hebräisch und Jiddisch ist der Chawer für Freund, Genosse, Kamerad positiv besetzt. Der österreichische Haberer hingegen samt diverser daraus abgeleiteter, vor allem journalistischer Wortbildungen, ist negativ konnotiert, insbesondere, wenn es um Politik und Wirtschaft geht. »Die Partei ist beleidigt, wenn der Verdacht der Vettern- und Freunderlwirtschaft, also die höflichere Umschreibung für den Hauptzweck des Habererseins, geäußert wird«, verzeichnet das Stenografische Protokoll des Österreichischen Nationalrats am 15. Juli 1999. Als bei der Kärntner Bank Hypo Alpe Adria brisante Details zutage traten, hieß es in der Wiener Tageszeitung Die Presse: »Leider sehen viele Bürger hinter den freundlichen Gesichtern nicht die Fratze der Gier und Haberei.«

Das Konkurrenzblatt Standard erkannte im Zeitungswesen »das Prinzip Verhaberung zwischen Politikern und Journalisten«. Einen Benefizverein nahm sich die Wiener Stadtzeitung Falter vor: »Diesmal haben sich mächtige Wirtschaftsvertreter nicht mit Politikern verhabert, sondern mit Polizisten.« Und die Buchautorin und frühere sozialdemokratische Politikerin Ottilie Matysek betitelte ihre Abrechnung mit dem politischen System der Alpenrepublik »Die Machthaberer«.

München

Münchner Amerikahaus zeigt Bilder der US-Fotografin Lee Miller

Kate Winslet setzte Lee Miller mit »Die Fotografin« ein filmisches Denkmal. Einen Einblick in Millers herausragendes Werk gibt nun eine Münchner Schau.

 05.02.2025

Los Angeles

Adrien Brody: Kim Kardashian jagte mein Internet in die Luft

Adrien Brody kann für seine Rolle in »Der Brutalist« auf einen zweiten Oscar hoffen. Große Aufmerksamkeit bekam er zuletzt auch wegen eines Projekts, in dem er gar nicht mitspielt

 04.02.2025

Kulturkolumne

Die Willkür von Symbolen

Gedanken zu Swastika, Hakenkreuz und roten Dreiecken in Fernost

von Laura Cazés  04.02.2025

Kassel

Documenta-Gesellschaft veröffentlicht Verhaltenskodex

Die Weltkunstschau trete »jeder Form von Antisemitismus, Rassismus und jedweder anderen Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« aktiv entgegen, heißt es darin

 03.02.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Von wegen Laufmaschen: Geschichten aus Strumpfhausen

von Nicole Dreyfus  03.02.2025

Eurovision

Der traurigste Tanz der Welt

Yuval Raphael überlebte den Nova-Rave am 7. Oktober. Nun vertritt sie Israel beim Song Contest

von Sabine Brandes  02.02.2025

Aufgegabelt

Jerusalemer Bagel

Rezepte und Leckeres

 02.02.2025

TV-Tipp

Paul Newman im großen Arte-Themenabend

Spielerdrama »Die Farbe des Geldes« und Doku über den US-Filmstar

 01.02.2025

Kultur

Uraufführung des Oratoriums »Annes Passion«

Über die Darstellung von Anne Frank in veschiedenen Kunstformen streiten Historiker und Autoren seit mindestens 70 Jahren. Das Oratorium von Evgeni Orkin entfacht die Kontroverse neu

von Valentin Schmid  31.01.2025