Interview

»Mehr Künstler als Großvater«

Meret Meyer Foto: dpa

Interview

»Mehr Künstler als Großvater«

Meret Meyer über ihren Großvater Marc Chagall, der vor 125 Jahren, am 6. Juli 1887, geboren wurde

von Brigitte Jähnigen  04.07.2012 13:09 Uhr

Frau Meyer, welche Erinnerungen haben Sie an Marc Chagall?
Er war weniger ein Großvater als ein Künstler, also ging er nicht unbedingt mit seinen Enkeln in den Zirkus, obwohl er in den 20er-Jahren viele Zirkusbilder gemalt hat. Marc Chagall war ein Künstler, der ein Großvater war. Seine hohe Schaffenskraft brachte es auch mit sich, dass wir ihn nicht so oft gesehen haben. Wenn, dann stets in Verbindung mit einem künstlerischem Anlass.

Hat er Sie porträtiert?
Es gibt ein einziges Bild, auf dem die drei Enkel auf dem Sofa sitzen. Ein Meisterwerk ist es nicht unbedingt. Aber das ist nicht so wichtig. Zumal es bei Chagall nie sehr wichtig ist, die Person hinter dem Abgebildeten zu erkennen, da es ihm immer um die tiefen und wahren Werte des Menschen ging.

Auch Sie haben sich ganz der Kunst verschrieben.
Wir Enkel sind in Paris geboren und wuchsen in der Schweiz auf. Unser Vater Franz Meyer war zuerst Direktor der Kunsthalle Bern, später Direktor des Kunstmuseums Basel. Im benachbarten Freiburg im Breisgau studierte ich Germanistik und Philosophie und später zusätzlich Theaterwissenschaft in Köln. Heute bin ich vor allem als Vize-Präsidentin des Comité Marc Chagall, das die Erben Chagalls vertritt, tagtäglich aktiv. Das Comité prüft Werke auf Echtheit, die aus der ganzen Welt zur Begutachtung geschickt werden, wir arbeiten am Archiv, begleiten oder beraten Ausstellungen und kümmern uns um die Reproduktionsanfragen weltweit.

Worin, glauben Sie, liegt der besondere Reiz von Marc Chagalls Werken?
Es gibt viele Gründe, warum Chagall so viele Menschen anspricht. Einer ist auch die Eingebundenheit des Menschen in die Natur, die Verbindung Mensch–Tier. Ich denke, Chagall ist nicht so weit entfernt von der Ökologie.

Vor 1933 hingen in Deutschland 58 Werke Chagalls in privaten und öffentlichen Sammlungen. Dann galt er als »entartet«.
Damit war er ja nicht alleine. Der »Gelbe Rabbiner«, ein Werk, das bis dahin der Kunsthalle Mannheim gehörte, wurde in Berlin als Exponat »entarteter« Kunst präsentiert.

Auch in der Sowjetunion war Chagall selten zu sehen. Jetzt gibt es zum 125. Geburtstag eine große Ausstellung in der Moskauer Tretjakow-Galerie.
Als Chagall Russland 1922 aus politischen Gründen verließ, konnte er zum Glück viele seiner Werke mitnehmen. Andere wurden konfisziert und auf verschiedene Museen verteilt. So finden sich heute Bilder von ihm auch in Astrachan und Kasachstan. Es ist wichtig, sich stets zu vergegenwärtigen, dass der Ankauf oder das Aufbewahren eines Werks in bestimmten politischen Situationen viel Mut fordert. Denken wir nur zum Beispiel an die Arbeit »Das jüdische Theater«, die – dank der Konservatoren – unter einem falschem Label während Jahrzehnten im Depot der Tretjakow-Galerie in Moskau überlebt hat, bis die Enthüllung nach dem Mauerfall möglich war.

Das Gespräch führte Brigitte Jähnigen.

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025