Was da in der prachtvollen Großen Aula der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) – sie bietet Platz für 700 Menschen und war gut besetzt – stattfand, hatte etwas von einem freudigen Familienfest. Man kennt einander, umarmt sich nach all der Zeit, schätzt sich und will gemeinsam weiter in die Zukunft gehen. Die Gäste kommen aus aller Herren Länder. Internationalität weht also durch den Raum – mit den Schwerpunkten Vereinigte Staaten und Israel –, doch auch Bodenständigkeit ist hier spürbar, der solide Bezug zu München, Bayern und Deutschland.
Der Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität feiert seinen 20. Geburtstag, und es ist an alles gedacht, auch an mehrere Kästen Mineralwasser an diesem wunderschönen schwülen Sommerabend.
Pioniergeist »20 Jahre sind keine besonders lange Zeit«, wird später der Historiker Michael Brenner, Inhaber des Lehrstuhls seit dessen Gründung, in seiner Rede sagen, »dennoch markieren sie einen gewissen Grad des Erwachsenwerdens«. 1997 war Michael Brenner gerade einmal 33 Jahre alt – absolut kein Alter für einen Professor –, und bis heute ist der Lehrstuhl, mittlerweile Abteilung am Historischen Seminar der Universität, von seinem Namen nicht zu trennen.
Michael Brenner wird in den Grußworten höchstes Lob und ausführlichen Dank erfahren. Wie sollte es anders sein an einem Abend wie diesem? Man erinnert an »Vorläufer, Vorbereitungen und Vorkämpfer«, an Momente voller Pioniergeist, an »Unterstützung von breiten Teilen der Münchner Öffentlichkeit« und der jüdischen Gemeinschaft.
Verständnis Und es sind vor allem zwei Dinge, die sich aus allen Reden heraushören lassen, die ganz sicher mit der Person, mit dem Menschen Michael Brenner zu tun haben. Erstens: Die Atmosphäre am Lehrstuhl ist von einem freundlichen, menschlichen Umgang ebenso geprägt wie von dem Verlangen nach größter Wissenschaftlichkeit – etwas, was auch an diesem Abend spürbar wird. Zweitens: Die Abteilung ist eingebunden in die internationale Forschung, schickt seine Absolventen in die Welt, lässt Wissenschaftler zum Austausch von überall her anreisen.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sieht in der Einrichtung des Münchner Lehrstuhls vor 20 Jahren einen »wichtigen und durchaus notwendigen Schritt«, auch weil, wie er in seinem Grußwort betont, der Blickwinkel auf »Juden als Opfer« der Schoa »an Hochschulen und Schulen leider noch viel zu oft ausschließlich gepflegt« werde. »Jüdische Geschichte als Universalgeschichte zu begreifen, das ist das Verdienst dieses Lehrstuhls beziehungsweise dieser Abteilung«, betonte Schuster.
Es müsse »in unserer Einwanderungsgesellschaft gelingen« – und gefordert sei hier jeder –, »das Judentum jenseits von Schoa und Nahostkonflikt zu vermitteln«. Denn ohne Verständnis für das Judentum werde der Antisemitismus in unserer Gesellschaft weiter zunehmen.
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, wendet sich in ihrer Rede direkt an den »geschätzten, lieben Michael Brenner«, dessen Familie die Schoa überlebt hatte, »der, in Deutschland aufgewachsen, selbst Teil der jüdischen Nachkriegsgeschichte war, dessen Familiengeschichte und Biografie mit seinem Forschungsgegenstand und seiner universitären Karriere verschmolzen«. Brenner habe »vom ersten Moment an um die historische Dimension dieses seines Lehrstuhls« gewusst. Aus den Anfängen des Lehrstuhls, in die Charlotte Knobloch eng involviert war, sei eine Institution geworden, »deren Strahlkraft weit über München hinaus« wirke.
Wissen Rachel Salamander, Literaturwissenschaftlerin und Inhaberin der »Literaturhandlung«, mit der es von Beginn an gemeinsame Projekte gegeben hat, wies darauf hin, dass Brenners Abteilung »mit angegliederten Israel Studies« aufklärt und akademisch abgesichertes Wissen über jüdische Geschichte und Kultur präsent hält. Zudem liefere das Studium der jüdischen Geschichte und Kultur Erkenntnisse darüber, wie Integration gelingen könne.
Yfaat Weiss, Direktorin des Franz-Rosenzweig-Minerva-Forschungszentrums in Jerusalem sowie des Simon-Dubnow-Instituts Leipzig, und Mirjam Zadoff, Professorin an der Indiana University in Bloomington, beide ehemalige Wissenschaftliche Assistentinnen des Lehrstuhls, gelingt es, in ihren Reden die Atmosphäre wiederaufleben zu lassen, die in den Anfangsmonaten sowie bei Konferenzen und Tagungen das Forschen zu einer Passion habe werden lassen. Weiss erinnerte an die »drei Prinzipien«, von denen Brenner in seiner Antrittsvorlesung gesprochen habe und die auch 20 Jahre später noch gälten: »Jüdische Geschichte ist nicht nur deutsch-jüdische Geschichte; jüdische Geschichte bedarf jüdischer Sprachen; jüdische Geschichte ordnet sich in allgemeine Geschichte ein.«
Erfahrung Michael Brenner gibt viel Dank zurück, erwähnt dabei noch einmal gesondert den 2016 »viel zu früh verstorbenen« Unternehmer G. Nikolaj Kiessling, der durch seine »großzügige Unterstützung« die Grundfinanzierung des Lehrstuhls ermöglicht habe. Einen Wunsch für die Zukunft gibt es natürlich auch, nämlich die Einrichtung einer Poetik-Gastprofessur für Hebräische Literatur. Und dann richtet Brenner seinen Blick noch nach oben auf die Galerie, wo viele seiner Studenten sitzen, auch Ehemalige, schickt stolz einen Gruß dorthin und damit in die ganze Welt: »Die schönste Belohnung eines Lehrers sind immer die Erfolge seiner Schüler.«
Den Gastvortrag zur Feier des Tages hält der Schriftsteller Navid Kermani, sein Titel: »Auschwitz morgen. Über die Zukunft des Erinnerns«. Kermani weist darauf hin, dass »Gedenkkritik« so alt ist wie das Gedenken selbst und erörtert die Frage, wie die Erinnerung an die Schoa in einer Gesellschaft aufrechterhalten werden könne, deren jüngere Generation keine familiären Bezüge zur Zeit vor 1945 mehr habe und die zudem immer stärker von Einwanderung geprägt sei. Er empfiehlt, sich an Gedenkorten wie Auschwitz der »physischen Erfahrung, ins Schwarze zu sehen«, auszusetzen. Navid Kermani erhält für seinen Festvortrag langen Applaus.