Das Jubiläumsjahr zu 50 Jahren diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel neigt sich dem Ende zu. Die vielfältigen Feiern und Veranstaltungen aus diesem Anlass zeigten, wie komplex und wenig selbstverständlich die deutsch-israelischen Beziehungen immer noch sind. Gleichzeitig waren die Feierlichkeiten von einer Asymmetrie geprägt: Während in Deutschland breite politische und mediale Aufmerksamkeit auf dem Thema lag und liegt, wurde das Jubiläum in Israel, wenn überhaupt, nur sehr am Rande wahrgenommen.
Diese Asymmetrie ist symptomatisch für die, auch historisch, verschiedenen Interessen beider Seiten. So stand am Anfang weniger ein Versöhnungsprojekt, wie es insbesondere von deutscher Seite in Beiträgen zum Jubiläum immer wieder dargestellt wurde. Während der junge jüdische Staat die Partnerschaft der neu entstehenden Wirtschaftsmacht der Bundesrepublik suchte und Gelder für den eigenen Staatsaufbau dringend benötigte, suchte die Bundesregierung nach einem Weg, den deutschen Staat wieder in die internationale Gemeinschaft einzugliedern. Dafür konnte Israel als einziger Akteur moralische Absolution erteilen.
Trotz dieses pragmatischen Hintergrunds sind die politischen und zivilgesellschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland heute unbestritten eine Erfolgsgeschichte und werden vielfach als »normal« bezeichnet. Der außergewöhnliche Hintergrund dieser Beziehungen darf jedoch auch in der vierten Generation nach der Schoa nicht verloren gehen.
Blickwinkel Die Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden wirft in dieser Woche in Berlin ein weiteres Schlaglicht auf die gegenseitige Wahrnehmung von Deutschen und Israelis. Sie lädt, unter Beteiligung des israelischen Botschafters sowie deutscher und israelischer Wissenschaftler, ein, die »Bilder des Anderen« zu diskutieren.
In den vergangenen fünf Jahren hatte eine deutsch-israelische Schulbuchkommission die Darstellung des jeweils »Anderen« in Schulbüchern untersucht. Ein deutliches Ergebnis war, dass in deutschen Schulbüchern in den untersuchten Fächern Geografie, Sozialkunde und Geschichte die Darstellung Israels überwiegend bis ausschließlich unter dem Blickwinkel des Nahostkonflikts stattfindet. Um diesen Blickwinkel pädagogisch zu erweitern, wurde in den vergangenen Monaten von Historikern und Pädagogen eine Lehrerhandreichung zum deutsch-israelischen Verhältnis erarbeitet. Sie wird auf der Tagung vorgestellt.
Mit dieser Handreichung möchten die Auftraggeber – die Kultusministerkonferenz und die Israelische Botschaft – eine Diversifizierung des Lernens über Israel anregen. In einem immer vielfältiger werdenden Klassenraum stehen Lehrer heute in der Verantwortung, ihren Schülern das sensible Thema der deutsch-jüdischen und damit deutsch-israelischen Beziehungen sowie die historische Verantwortung Deutschlands für die Existenz und Sicherheit Israels näherzubringen. Die Handreichung fasst nun erstmals in diesem Rahmen wichtige Informationen zusammen und fokussiert auf geschichtliche Hintergründe in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Neben politischen Zusammenhängen werden auch soziale und kulturelle Aspekte berührt, bisher wenig bekannte Quellen stehen neben zentralen Dokumenten.
Der behandelte Zeitraum schlägt einen Bogen vom Luxemburger Abkommen 1952 bis zur Rede des israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin im Bundestag im Mai 2015, der die Atmosphäre der Verhandlungen damals als frostig und distanziert beschreibt. 1952 war es noch alles andere als selbstverständlich, dass Vertreter des deutschen und des israelischen Staates miteinander sprachen. Gleichzeitig waren alle Mitglieder der israelischen Delegation deutsche Muttersprachler, und die inszenierte Distanz (über die der Historiker Dan Diner kürzlich erste Forschungsergebnisse veröffentlichte) mutete umso seltsamer an.
waffenlieferungen Auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1965 verlief konflikthaft. Der Entschluss der deutschen Regierung zu diesem Schritt schien überraschend, nachdem sie ihn fast ein Jahrzehnt lang mit Verweis auf die Hallstein-Doktrin abgelehnt hatte. Die Wende kam durch das Bekanntwerden der seit 1957 stattfindenden geheimen bundesdeutschen Waffenlieferungen an Israel. Die Kritik der arabischen Staaten hieran führte dazu, dass die deutsche Regierung diese Lieferungen einstellte und Israel gleichsam als Entschädigung endlich diplomatische Beziehungen anbot.
Die zivilgesellschaftliche Entwicklung begleitete die politische, ging ihr sogar voraus. Seit den späten 50er-Jahren gab es Kontakte im Gewerkschaftsbereich, erste von der evangelischen Kirche organisierte Jugendreisen fanden statt, und Mitte der 60er-Jahre wurden die ersten Städtepartnerschaften gegründet. Die deutsche Sprache blieb allerdings lange ein Tabu in der Öffentlichkeit und den Medien, das erst 1983 offiziell abgeschafft wurde.
Heute erfreut sich die deutsche Sprache besonders in der jungen Generation Israels großer Beliebtheit, Reisen in deutsche Großstädte sind an der Tagesordnung. Auch hier gibt es allerdings eine Asymmetrie zu verzeichnen. Nach einer groß angelegten Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2015 ist bei der deutschen Jugend weitgehend Skepsis gegenüber Israel verbreitet. Die Verfasser der Handreichung und die Organisatoren der Tagung hoffen nicht zuletzt, Schüler und Schülerinnen in Deutschland auch neugierig zu machen und Offenheit gegenüber dem »Anderen« zu wecken.
Die Fokussierung der Handreichung auf das Wesentliche in den deutsch-israelischen Beziehungen, nämlich die historische Verantwortung, barg auch eine Herausforderung: So sind die trilateralen Beziehungen zwischen Deutschland, Israel und den Palästinensern bewusst ausgeklammert. In diesem Sinne lässt sich festhalten, dass sich Kontroversen aus Forschung und Politik im pädagogischen Zugang zum Thema widerspiegeln.
Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fritz Bauer Institut in Frankfurt und Mitverfasserin der vorgestellten Lehrerhandreichung.