Wer wird Psychologe? Ein jüdischer Junge, der Angst vor Blut hat, aber unbedingt Arzt werden möchte. So will es jedenfalls ein alter Witz. Beim Internationalen Kongress jüdischer Mediziner in Düsseldorf hatten sich Mitte November – zeitgleich mit der weltgrößten Medizinmesse Medica – allerdings nicht nur Psychologen versammelt, sondern Mediziner aller Richtungen, vom Frauenarzt bis zum Herzchirurgen.
Der Kongress, der in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfand, verzeichnete an drei Tagen rund 80 Teilnehmer aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden, England, Israel und den USA. So vielfältig wie die Fachgebiete der Teilnehmer war auch das Kongressprogramm: metabolische sowie Herz- und Gefäßerkrankungen, neue Erkenntnisse zu Leberleiden und Stoffwechsel oder Asthma im Kindesalter. »Ich bin zwar Frauenarzt, aber der Vortrag über die Telemedizin bei kardiovaskulären Erkrankungen interessiert mich trotzdem, da dieses Verfahren auch auf die Gynäkologie übertragbar ist«, sagte Michael Anapolski aus Düsseldorf.
gene Aber gibt es überhaupt medizinische Themen, die einen spezifisch jüdischen Zugang erfordern? »Ja«, meint Simon Reich, Gründer des Landesverbandes Jüdischer Mediziner in NRW und Veranstalter des Kongresses: »Es gibt Krankheiten, die bei der jüdischen Bevölkerung öfter vorkommen, wie etwa Brustkrebs oder Stoffwechselstörungen. Diese sind genetisch bedingt und werden von unseren Ärzten diskutiert«, so Reich. »Und wir nehmen auch Teil am gesellschaftlichen Diskurs über ethische Aspekte der Medizin.«
Zum ersten Mal wurde auf dem Kongress der Leopold-Casper-Preis überreicht. Rainer Engel, der extra aus den USA angereist war, erzählte über das bewegte Leben des deutsch-jüdischen Arztes, der 1859 in Berlin geboren wurde. Der Mitbegründer der modernen Urologie, Erfinder des Ureterenzystoskops und der Nierendiagnostik war Ehrenmitglied der amerikanischen urologischen Gesellschaft. Doch die setzte sich nicht für ihn ein, als er versuchte, während der Nazizeit ein Einreisevisum in die USA zu bekommen. Stattdessen floh er 1940 in die Schweiz und später nach Frankreich. Erst eineinhalb Jahre später gelang es ihm, mit einem Handelsschiff in die USA zu übersiedeln, wo er fast 100-jährig in einer kleinen Wohnung in New York starb. Der nach ihm benannte Ehrenpreis ging an Stefan R. Bornstein, Professor für Innere Medizin am Dresdner Universitätsklinikum. Neben seiner professionellen Tätigkeit setzt er sich für junge jüdische Ärzte aus der Ex-Sowjetunion ein.
pragmatik Mit Spannung wurde der Vortrag von Rabbiner Julian Chaim Soussan zum Thema »Moderne Medizin und alte jüdische Ethik, ein Widerspruch?« erwartet. Der Rabbiner sprach Themen, die gerade in aller Munde sind, wie etwa Sterbehilfe, Leihmutterschaft und Präimplantationsdiagnostik (PID), aus jüdischer Sicht an: Da es keine eindeutige theologische Antwort auf viele der damit verbundenen Fragen gebe, versuche das Judentum, pragmatische Lösungen zu finden. So ist die PID in Israel seit über 20 Jahren erlaubt.
Gesellschaftliches Highlight des Kongresses war der Ball im Maritim-Hotel am Samstagabend. Etwa 300 Gäste – nicht nur Ärzte – tanzten bis in die Morgenstunden mit der Showband Ten Ahead und der Klesmergruppe Dance of Joy.