Buddhismus stößt seit den 50er-Jahren auf großes Interesse im Westen. Auch viele, meist amerikanische, Juden wenden sich mehr und mehr dem Buddhismus zu, was zu Wortspielen wie »Jubus«, »Bujus« oder »Jewbus« geführt hat. Zahlen zur Größe des Phänomens gehen in der Wissenschaft auseinander. Mal ist von 2,5 bis sechs Prozent der amerikanischen Juden oder 16 Prozent der amerikanischen Buddhisten die Rede, wobei die große Mehrheit buddhistischer Lehrer in Amerika jüdischer Herkunft sei. Und mal heißt es, diese Zahlen seien übertrieben.
Generell kann aber ein starker Trend oder zumindest ein Interesse vieler Juden am Buddhismus erkannt werden, ähnlich wie in der westlichen Gesellschaft im Allgemeinen. Weitgehend unerkannt bleibt dabei aber Antisemitismus im buddhistischen Kontext, welcher oft als friedlichere Alternative etwa zum Christentum oder zum Islam wahrgenommen wird.
KONSUMARTIKEL Buddhismus wird im Westen oft als Philosophie oder eine Art Wohlfühltechnik präsentiert, was er natürlich nicht ist. Trotz seiner gegenwärtigen Vermarktung als Konsumartikel in westlichen Gesellschaften beruht der Buddhismus auf Glaube, Hingabe, Ritualen, der überirdischen Natur Buddhas sowie himmlischen Wesen. Er ist damit klar eine Religion. Und diese Religion ist, wie andere, in ihrer Geschichte und Gegenwart oft von Gewalt geprägt.
Auch der Buddhismus ist in Geschichte und Gegenwart oft von Gewalt geprägt.
Man denke nur an die nationalistische Gewalt von buddhistischen Mönchen gegen muslimische Minderheiten in Myanmar oder Tamilen in Sri Lanka, buddhistische Mönche in Thailands Armee, buddhistische Kampfmönche im feudalen Japan oder an Pol Pot, der einst buddhistischer Mönch war, genauso wie sein »Schlächter« Ta Mok.
Dazu sind vereinzelte Fälle von Selbstverbrennungen Teil buddhistischer Geschichte sowie Selbstmumifizierungen und religiös motivierte Kriege gegen Andersgläubige, etwa durch die Mongolen oder den 5. Dalai Lama (1617–1682) von Tibet. Und in buddhistischen Texten selbst findet man eine Geschichte über den bewaffneten »Bodyguard« des Buddha, der drohte, dem Gegner den Kopf in zwei Teile zu schlagen, sollte er den Buddha beleidigen. Frühe buddhistische Texte beschreiben auch, wie Buddha um Rat gebeten wurde, wie man ein benachbartes Königreich am besten angreifen könne.
WERTE Auch heute ist eine Auseinandersetzung mit dem Buddhismus nötig, auch wenn es um religiösen Antisemitismus geht. Das World Values Survey hat ergeben, dass Buddhisten antisemitischer sind als Christen oder Menschen ohne Glaubenszugehörigkeit. Erschreckende 33 Prozent der Buddhisten zogen es hier vor, keinen jüdischen Nachbarn zu haben (19,9 Prozent waren es bei Protestanten und 17,7 bei Katholiken). Dies ist zwar weit entfernt von den 83 Prozent der Schiiten, aber dennoch natürlich 33 Prozent zu viel. Die Befragung ergab auch, dass Buddhisten, die ihrer Religion große Bedeutung zumessen, auch tendenziell antisemitischer sind.
Die Anti-Defamation League fand in einer anderen Befragung heraus, dass Südkorea (ein Land, das traditionell vom Buddhismus geprägt ist) eines der antisemitischsten Länder der Welt ist: Südkoreaner sind im Durchschnitt mehr als doppelt so antisemitisch wie der Weltdurchschnitt. (Wobei nach dem World Values Survey Christen und Atheisten dort aber generell antisemitischer sind als Buddhisten.)
Antisemitismus ist auch Teil der buddhistischen Moderne in Japan. Führende Gelehrte wie Hakuun Yasutani (bekannt vor allem durch Philip Kapleaus Klassiker Die drei Pfeiler des Zen) war ein virulenter Antisemit und Kriegstreiber im Zweiten Weltkrieg, der in Juden Verbreiter von »bösen« Ideen wie Freiheit und Gleichheit sah. Nach dem Zweiten Weltkrieg reiste er dann in die Vereinigen Staaten und wurde Lehrer von einflussreichen Buddhisten wie Robert Baker Aitken und Taizan Maezumi.
Der buddhistische Gelehrte und Prediger des Nichiren-Buddhismus, Tanaka Chigaku, hetzte, dass Juden für sozialen Unfrieden in Japan sorgen würden. Vor allem in akademischen Zirkeln würden sie Liberalismus verbreiten und die Moral der Menschen untergraben, um die Weltherrschaft an sich reißen zu können. Genauso war der auch in Deutschland mittlerweile viel gelesene und verehrte D. T. Suzuki Antisemit und im engen Kontakt mit dem Nazi (und späterem Zen-Meister) Karlfried Graf Dürckheim. In den Worten eines seiner eigenen Bücher hatte Suzuki sogar einen »starken Einfluss auf den militärischen Geist der Nazis«.
ZEN-NAZITUM Die Nazis waren tatsächlich sehr interessiert am Buddhismus. Heinrich Himmler entsandte eine Expedition, geführt von SS-Sturmbannführer Ernst Schäfer, nach Tibet auf der Suche nach Spuren einer herbeifantasierten arischen Urreligion in buddhistischen Texten. Himmler plante zudem Meditationszentren in Deutschland und ernannte den Sanskrit-Wissenschaftler Walther Wüst zum Direktor der »Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe« sowie zum Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Als einer der einflussreichsten »Wissenschaftler« der Nazis hatte Wüst eine neue Nazireligion im Sinn, die im Hinduismus und Buddhismus ihre Wurzeln haben sollte und sogar eine Linie von Buddha zu Hitler sah. Kein Wunder also, dass der »Völkische Beobachter« am 11. Januar 1942, neun Tage vor der Wannsee-Konferenz, Teile von D. T. Suzukis Buch Zen und die Kultur Japans druckte.
Himmler ließ in Tibet nach einer »arischen Urreligion« suchen.
Der deutsche Philosoph Eugen Herrigel, dem oft zugeschrieben wird, mit seinem Klassiker Zen in der Kunst des Bogenschießens als Erster Zen-Buddhismus in Europa vorgestellt zu haben, war ebenfalls Nazi. Gershom Scholem sprach in diesem Zusammenhang vom »Zen-Nazitum«. Auch frühere Antisemiten wie Richard Wagner zeigten ein großes Interesse am Buddhismus. So plante er die Oper Die Sieger, die buddhistische Mönche zum Thema haben sollte.
TERROR 1995 kam es in Japan zum bisher schlimmsten Terroranschlag des Aum-Shinrikyo-Kultes, heute Aleph genannt. 13 Menschen verloren dabei ihr Leben, 54 weitere wurden stark verletzt, nachdem der Kult einen Gasanschlag auf die U-Bahn in Tokio verübte. Aum Shinrikyo basiert auf Yoga und Buddhismus, wobei der 2018 hingerichtete Sektenführer Asahara sich als Jesus sah. Die Mitglieder können am ehesten als Buddhisten beschrieben werden, die eine Art Armageddon herbeisehnen, um einen ursprünglichen Buddhismus wiederherzustellen. Um dies zu erreichen, versuchen sie, schlechtes Karma der Menschheit mit ihren Morden zu beseitigen.
Antisemitismus ist dabei zentral in der Ideologie des Kultes. Zwei Monate vor dem Giftgasanschlag auf die U-Bahn in Tokio veröffentlichte der Kult ein Traktat, das Juden den Krieg erklärte. Diese hätten Japans Position nach dem Zweiten Weltkrieg ausgenutzt, um ihrem Ziel, die Welt zu dominieren, näherzukommen, nachdem sie die Vereinigten Staaten bereits kontrollieren würden. Seine Gegner bezeichnete der Kult zudem als »jüdische Japaner«.
Die buddhistisch beeinflusste Aum-Sekte bezeichnete ihre Gegner als »jüdische Japaner«.
Buddhistische Meditationstechniken werden zudem von Nichtbuddhisten missbraucht, Gedanken und Emotionen zu beruhigen, bevor sie morden, wie dies 2011 ein norwegischer Rechtsterrorist tat, bevor er acht Menschen mit einer Autobombe und danach 69 weitere in einem Sommercamp ermordete.
KARMA Dennoch wurde der Buddhismus von der Antisemitismusforschung, auch in Deutschland, bisher weitgehend ignoriert. Man fragt sich, warum es nicht mehr Entsetzen in der deutschen Öffentlichkeit gibt, wenn Organisationen wie die »Zen Peacemakers« Meditationstreffen in Auschwitz abhalten, um dort »festgefahrene Gedankenmuster loszulassen«. Dies würde in Auschwitz besonders leichtfallen, so die Gruppe.
Weder Buddha noch buddhistische Schriften nehmen Bezug auf das Judentum. Dennoch ist das Konzept von Karma in Bezug auf den Holocaust sehr verstörend. Hier gibt es nicht genügend Stellungnahmen buddhistischer Geistlicher oder Organisationen, dass Juden dem Holocaust nicht aufgrund ihres schlechten Karmas zum Opfer fielen. Eine friedliebende Religion wäre nur eine solche, wenn sie eine solche Interpretation von Karma offen ablehnt.
Diese Beispiele sind sicherlich nicht repräsentativ für Buddhismus im Allgemeinen. Religiös geprägten Antisemitismus lediglich als ein christliches oder islamisches Problem zu sehen, wäre aber ein Fehler. Buddhismus ist keine Wohlfühlpraxis, sondern eine Religion, die für die schrecklichsten Dinge missbraucht werden kann, eben auch Antisemitismus.
Der Autor ist Jurist und promovierter Politologe. Sein Buch »Zen Judaism: The Case Against a Contemporary American Phenomenon« erschien dieses Jahr bei Palgrave Macmillan.