Was kommt nach dem Katzenjammer? Wo bleibt die Entschuldigung all derer, die willig und ungeprüft die Hamas-Propaganda vom »israelischen« Raketenbeschuss des Al-Ahli-Arab-Krankenhauses verbreitet haben? Vor allem aber, wo bleibt die selbstkritische Frage nach der Ursache für dieses »Versagen der Medien«, wie die Stern-Journalistin Miriam Hollstein es im ZDF-Morgenmagazin als erste zerknirscht eingeräumt hatte?
Im Krieg, der immer auch ein Medienkrieg ist, tragen wir Journalisten eine besonders hohe Verantwortung. Wie also kann es sein, dass die Hamas ihre Propaganda so leicht und ungeprüft auch in unseren Medien verbreiten kann?
Jeder weiß: Im Nachrichtengeschäft ist Schnelligkeit entscheidend. Selbst die angesehene »New York Times« titelte in der Nacht des 17. Oktober: »Mindestens 500 Tote« und trug so zur rasanten Verbreitung der Falschmeldung bei, obwohl alle journalistischen Warnlampen hätten aufleuchten müssen. Weder gab es Bilder des zerstörten Krankenhauses noch von massenhaft Verletzten. Stattdessen meldete das israelische Militär nur eine Stunde nach dem Geschehen bereits Zweifel an und kündigte eine sofortige Überprüfung an.
»Mindestens 500 Tote« titelte die New York Times nach dem Raketenangriff auf eine Klinik in Gaza.
Aber da war der übelriechende Geist längst aus der Flasche und nicht wieder einzufangen. Über TikTok und andere soziale Netzwerke rasten die Hamas-News ohnehin ungefiltert um die Welt und trieben Menschen auf die Straße zu »propalästinensischen« Protesten, die teilweise, wie in Berlin, in wüsten Ausschreitungen mündeten. Umso folgenschwerer, dass selbst seriöse Medien die Propaganda ungefiltert, das heißt ohne eigene Recherche, verbreiteten und die Terrororganisation Hamas damit als glaubwürdig adelten, als ob es sich um gleichberechtigte Quellen handelte, als ob ein Mörder mit dem Opfer auf Augenhöhe stünde.
Nachdem durch privat generierte Satellitenbilder eines amerikanischen Unternehmens bestätigt wurde, was das israelische Militär längst veröffentlicht hatte, wagte sich auch der »Spiegel« (zwei Tage später) mit der zaghaften Überschrift: »Das spricht für eine palästinensische Rakete« in die Online-Welt. Zu wenig, zu spät. Insgesamt also ein perfekter Coup der Hamas. Man wird sich in einem der Tunnel unter der Erde auf die blutverschmierten Schultern geklopft haben.
OPFERZAHLEN Dabei ist es beileibe nicht das erste Mal, dass die gegen Israel voreingenommene Öffentlichkeit mit Falschmeldungen gefüttert und aufgewiegelt wird. Da sind ungezählte Fotomanipulationen, und da sind immer wieder aus der Luft gegriffene Opferzahlen, die zudem nicht zwischen Terroristen und Zivilisten unterscheiden. Zu oft werden Nachrichten willig verbreitet, die eher die eigene Sicht auf das Geschehen bestätigen, als die Wahrheit wiedergeben.
So wird immer wieder ungeprüft die Meldung von der »kompletten Abriegelung« des Gazastreifens durch Israel übernommen. Tatsächlich hat selbst das rechtsextreme Regierungsbündnis von Benjamin Netanjahu die Zahl der Arbeitsgenehmigungen erhöht. Über 18.000 Menschen aus Gaza pendelten täglich zur Arbeit nach Israel. Wie wir jetzt wissen, waren darunter auch viele, die so Informationen für die Planung des Pogroms der Hamas sammelten. Warum findet das kaum Eingang in unsere Berichterstattung? Schlechter Journalismus, Fahrlässigkeit oder Vorsatz?
Wie wird über den Aufruf Israels an die palästinensische Zivilbevölkerung berichtet, sich in den Süden Gazas zu retten? Als Vertreibung oder als Versuch, Menschenleben zu retten? »Russischer Angriffskrieg«, so heißt es zum Überfall auf die Ukraine richtigerweise, wieso nicht auch »Israelischer Verteidigungskrieg«? Warum werden Demonstrationen als »propalästinensisch« bezeichnet, was nahelegt, gegen Israel und für die Hamas zu demonstrieren, diene palästinensischen Interessen?
Je größer das öffentliche Interesse, je höher der Druck der Aktualität ist, umso mehr Kolleginnen und Kollegen müssen schreiben und berichten, die wenig Vorwissen für die komplizierte Gemengelage mitbringen. Damit steigt die Gefahr des Nachplapperns, des Einflusses eigener Gefühle auf der Basis weit verbreiteter gesellschaftlicher Stimmung.
Die Entlarvung von Lügen ist eine der wesentlichen Aufgaben des Journalismus.
Die Entlarvung von Lügen ist eine wesentliche Aufgabe des Journalismus. Genauso wichtig aber ist es, das ganze Bild zu zeigen und nicht durch Weglassen und halbe Wahrheiten ganze Lügen zu verbreiten. Wer bekommt welche Sendezeit? Wessen Bilder werden gezeigt? Wer kommt zu Wort?
Es braucht jetzt Bilder und Berichte, die nicht dem Mythos der Hamas als Heilsbringer für die Palästinenser dienen. Nachrichten wie die von der durch die Hamas jüngst zerschossenen Entbindungsstation des Barzilai-Krankenhauses in Aschkelon, einer Klinik, die bis zu 140 Raketenangriffe aus Gaza pro Woche zu überstehen hat, gehören ins Programm. Nicht der palästinensische Arzt, dessen Videobotschaft in eingängigem Deutsch im ARD-Brennpunkt ohne Nachfrage und ohne Einordnung gesendet wird.
Zum Pogrom des 7. Oktober kann es kein »Aber« und kein »beide Seiten« geben. Guter Journalismus darf sich nicht wegducken und ohne Haltung sein. Wer jetzt über das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung berichtet, darf dabei die Ursache nicht ausblenden.
KONTEXT Viel ist jetzt die Rede von »kontextualisieren«, vor allem von jenen, die damit »relativieren« meinen. Ich will glauben, dass Journalistinnen und Journalisten in den seriösen Medien emotional nicht heimisch sind bei denen, die das Massaker zwar unangenehm blutig, aber verständlich angesichts des Leids der Palästinenser finden oder es sogar rechtfertigen als Mittel im Kampf um den eigenen Staat. Ich will es glauben, obwohl ich weiß, dass quer durch die Milieus und leider vielfach gerade unter linken Intellektuellen weltweit, an Universitäten, in Thinktanks und NGOs und auch in manchen Redaktionsstuben eine beklemmende Duldung und teils sogar Billigung des Terrors existiert.
Das größte Massaker an Juden seit dem Ende der Schoa wird in pervertierter Moral umgedeutet zum revolutionären Freiheitskampf. »Free Palestine From German Guilt« ist der Schlachtruf dazu auf den Straßen Berlins, skandiert von jungen, aufgeschlossen wirkenden Menschen. Aber es sind auch hirngewaschene Enkel der Nazigroßväter. Sich dieser Täter-Opfer-Umkehr mit empathischen Berichten über die israelischen Opfer des 7. Oktober entgegenzustellen, das ist die Aufgabe guter journalistischer Kontextualisierung.
Ich warte auf die Berichte über die Ärzte, die um das Leben der israelischen Schwerverletzten kämpfen, und über israelische Sozialarbeiter, die Mitarbeiter betreuen, die Tote identifizieren müssen. Lasst die Pathologen und die Helfer von ZAKA zu Wort kommen, deren Schilderungen deutlich machen, warum »Nie wieder« für Israel bedeuten muss, die terroristische Infrastruktur zu zerstören. Und wer diese »Parteinahme« als unjournalistisch ablehnt, möge sich am 9. November auf die Zunge beißen und »nie wieder« die Worte »nie wieder« in den Mund nehmen.