Ausstellung

Material und Linie

Eva Hesse in ihrem New Yorker Atelier 1967 Foto: Herman Landshoff / The Estate of Eva Hesse

Im Mai 1965 steht die Künstlerin Eva Hesse in der Isestraße 98 in Hamburg-Eppendorf. Sie möchte sich noch einmal in der großen Wohnung umschauen, in der sie als Kleinkind aufwuchs, bevor sie 1938 als knapp Dreijährige gemeinsam mit ihrer Schwester mit einem Kindertransport ins rettende Holland entkam.

An ihrer Seite steht ihr Mann Tom Doyle, ein Bildhauer, den sie im Winter 1961 in New York geheiratet hat – dorthin waren die beiden Kinder mit ihren Eltern, die im Februar Deutschland 1939 in nahezu letzter Minute verlassen konnten, weiter gereist. Mit Doyle lebt Hesse seit fast einem Jahr in Deutschland. Das Fabrikanten- und Sammlerehepaar Scheidt hat sie eingeladen, eine leerstehende Werkshalle ihrer Textilfabrik in Kettwig an der Ruhr als Atelier zu nutzen.

Dieser Aufenthalt zwischen Stoffbahnen, Spindeln, Garn und Seilen wird Hesses Arbeitsweise beeinflussen. Hier entstehen ihre »Materialbilder«; hier löst sie sich von der Malerei und geht in die Fläche, in die Tiefe, eben ins Material. Zwischendurch besuchen Hesse und Doyle die Documenta 3 und fahren eben auch nach Hamburg, von wo aus sie unverrichteter Dinge zurückkehren: Man hat sie nicht in die Wohnung gelassen.

spätwerk Eva Hesse war lange vergessen. Ein Grund dürfte ihr früher Tod sein, starb sie doch 1970 erst 34-jährig an einem Hirntumor, als sie gerade angefangen hatte, sich in der Kunstwelt einen Namen zu machen. Auch fehlt ihrem Werk das Plakativ-Auftrumpfende, das unabhängig von der Qualität anhaltende Aufmerksamkeit herstellt.

Nun ist in Hamburg unter dem Titel One More than One eine große Schau des Spätwerkes von Eva Hesse zu sehen; die Galerie der Gegenwart in der Kunsthalle präsentiert in ihrem obersten Stockwerk in gebotener Schlichtheit wie Prägnanz Hesses oft raumfüllende Arbeiten, aber auch ihre zarten Tagebuchnotizen und Werkskizzen, die entstanden, als sie zurück in New York war und Zeit fand, Eindrücke und Anregungen zu verarbeiten. Und so gibt es jetzt in Hamburg eine Chance, diese erst stille, dann großartige Künstlerin zu entdecken, deren Arbeiten, geschult an den Minimalisten und Serialisten Sol LeWitt, Claes Oldenbourg sowie Donald Judd, eine so eigene Handschrift tragen.

Eva Hesses Schau ist aber nur ein, wenn auch wichtiger, Grund, die Galerie der Gegenwart zu besuchen; der andere ist die erste umfassende Werkschau von Gego: Line as Object der Titel. Auch Gertrud Louise Goldschmidt kam ursprünglich aus Hamburg. Ihr Vater leitet ein eigenes Bankhaus, die Familie lebt in der Heilwigstraße im gutbürgerlichen Winterhude. Sie ist 24 Jahre alt, hat ein Diplom als Architektin in der Tasche, als sie im November 1938 als letztes Familienmitglied Deutschland Richtung Venezuela verlässt. Sie weiß gar nicht genau, wo dieses Caracas liegt, in dessen Hafen das Schiff aus Europa schließlich anlegt.

installationen Dort angekommen, entwirft sie als erstes ein Haus, designt Möbel und Lampen, gründet eine Familie – und findet nach und nach zur Kunst. Die Auseinandersetzung um die Linie ist für sie ein architektonisches Thema, bevor das »Eigenleben« der Linie beginnt, sie immer stärker künstlerisch zu faszinieren. Erste Arbeiten auf Papier entstehen, Holzschnitte etwa, mit denen sie sich 1952 erstmals in einem Museum bewirbt.

Bald drängt es sie ins Skulpturale, kleine Objekte aus Draht und Holz entstehen; später flicht sie haardünnen Draht zu mobileartigen Skulpturen, bei denen der Betrachter nicht immer weiß, ob das, was an Linien und Umrandungen zu sehen ist, oder das, was scheinbar ausgespart wird, den eigentlichen Kern des Werkes bildet: »Ich entdeckte, dass manchmal das, was zwischen den Linien ist, genauso wichtig ist wie die Linie selbst.«

Unter dem Akronym Gego wird sie zu einer der erfolgreichsten Künstlerinnen Südamerikas, ist im New Yorker Museum of Modern Art vertreten. In Europa jedoch wird sie nur selten ausgestellt. Bis ins hohe Alter arbeitet Gego an ihren filigranen und zugleich raumgreifenden Installationen. 1987, sie ist 75 Jahre alt, erhält sie einen Fragebogen aus Hamburg: Man erkundigte sich nach den Umständen ihrer damaligen Emigration. Sie füllt den Bogen Frage für Frage aus – aber schickt ihn nicht zurück.

Eva Hesse: »One More than One«; Gego: »Line as Object«. Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle, bis 2. März 2014

www.hamburger-kunsthalle.de

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025

Bonn

Bonner Museum gibt Gemälde an Erben jüdischer Besitzer zurück

Das Bild »Bäuerliches Frühstück« aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird restituiert

 19.11.2025

Perspektive

Humor hilft

Über alles lachen – obwohl die Realität kein Witz ist? Unsere Autorin, die israelische Psychoanalytikerin Efrat Havron, meint: In einem Land wie Israel ist Ironie sogar überlebenswichtig

von Efrat Havron  19.11.2025

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Süchtig nach Ruhamas Essen oder Zaubern müsste man können

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  18.11.2025