Mark Twain war kein Freund der deutschen Sprache. »Ein durchschnittlicher Satz besteht hauptsächlich aus zusammengesetzten Wörtern ohne Gelenk und Naht«, klagte der amerikanische Autor 1880. »›Unabhängigkeitserklärungen‹, ›Stadtverordnetenversammlungen‹, ›Altertumswissenschaften‹. Diese langen Dinger sind Wortkombinationen, deren Erfinder man hätte umbringen sollen.«
Der Verfasser der Abenteuer des Tom Sawyer kannte das neueste germanische Wortungetüm noch nicht: »Deutschkenntnisnachweis«. Den will die Bundesregierung künftig von ausländischen Geistlichen verlangen, die zwecks religiöser Betreuung ins Land kommen. Sie hätten in ihren Gemeinden »eine Vorbild- und Beraterfunktion, die für eine erfolgreiche Integration entscheidend« sei, so das Innenministerium. Diese »integrative Wirkung« könnten sie besser entfalten, »wenn sie die deutsche Sprache sprechen«.
Auch in etlichen unserer Gemeinden amtieren Rabbiner, die aus dem Ausland eingereist sind, vor allem aus Brooklyn.
MINISTERIUM Im Auge gehabt haben wird man dabei im Hause Seehofer wahrscheinlich vor allem muslimische Imame. Wegen des Gleichbehandlungsgebots im Grundgesetz beeilte sich jedoch eine Sprecherin des Ministeriums, zu versichern, der Deutschkenntnisnachweis könnte auch von katholischen Priestern aus Drittstaaten verlangt werden. Mutmaßlich ebenso, selbst wenn nicht explizit erwähnt, von hinduistischen Yogis, tibetischen Lamas und animistischen Medizinmännern. Und selbstverständlich auch von jüdischen Rabbinern.
Da kommt etwas auf uns zu. Auch in etlichen unserer Gemeinden amtieren Geistliche, die aus dem Ausland eingereist sind, vor allem aus Brooklyn. Bei denen könnte die Deutschkenntnisnachweispflicht allerdings interessante rechtliche Fragen aufwerfen. Denn diese Rabbiner, leicht zu erkennen an ihrer schwarzen Gewandung mit Bart und Hut, beherrschen die Landessprache eigentlich fließend. Sie sprechen Jiddisch. Und die Mameloschn ist, da sind sich die Sprachwissenschaftler einig, eine Form des Deutschen.
Deutsch ist Deutsch, gleich welcher Mundart.
Zugegebenermaßen ist sie durchsetzt mit vielen hebräischen Wörtern. Die machen aber prozentual wahrscheinlich weniger aus als die Anglizismen im Managersprech. Auch dass des Jiddischen nicht Mächtige nur die Hälfte dessen, was gesagt wird, mitbekommen, kann kein Kriterium sein. Kölsch oder bestimmte bayerische Dialekte sind oft noch unverständlicher, von Platt ganz zu schweigen.
SCHWABEN Deutsch ist Deutsch, gleich welcher Mundart. Von Jiddischsprachigen einen Deutschkenntnisnachweis zu verlangen, wäre linguistische Diskriminierung. »Wir können alles außer Hochdeutsch«, darf kein Privileg der Schwaben sein.
Verständlicher als Bürokratendeutsch ist die Mameloschn übrigens auch. Die Beamten des Innenministeriums können da noch etwas lernen. Zusammengesetzte Wortungetüme wie »Deutschkenntnisnachweis« gibt es in der Sprache der osteuropäischen Juden nicht. Auf Jiddisch würde das »bavajs fun kentschaft fun dajtsch« heißen. Das klingt doch gleich viel freundlicher.