Frau Goldfine, wie kamen Sie und Ihr Regiepartner Daniel Geller auf die Idee, einen Film über einen einzigen Song zu drehen?
Weil es kein Lied gibt, das mich mehr berührt als »Hallelujah«. Den Abend, als ich Leonard Cohen im Konzert gesehen habe und wie er bei dem Song niederkniet, obwohl er schon 75 Jahre alt und schwer krank ist, das werde ich nie vergessen. In seinem Buch »The Holy or the Broken« (2012) setzt sich Alan Light mit dem Song und seinem Einfluss auseinander. Wir waren begeistert und sicherten uns die Rechte, auch wenn wir wussten, Leonard Cohen würde sich nie zu einem Interview bereit erklären. Aber das brauchten wir gar nicht, weil es so viel Archivmaterial gab. Wir baten nur um seinen Segen, den Film zu machen. Und den bekamen wir keine zwei Wochen später. Durch die intensive Recherche und wegen anderer Gründe dauerte es dann noch viele Jahre, bis wir den Film fertigstellen konnten.
Jeder interpretiert den Song anders.
Und er funktioniert in den unterschiedlichsten Musikgenres, ob Folk, Rock, Country oder Gospel. Jeff Buckley bringt mich jedes Mal zum Weinen, weil seine Interpretation so tieftraurig ist, allein der erste Seufzer, bevor er zu singen beginnt. Die Countrysängerin Brandi Carlile macht es zu einem kämpferischen Überlebens-Song. Ich liebe auch die Version von Daniel Kahn, der das Lied ins Jiddische übersetzt hat. Wir hatten zum Beispiel einen Rabbi gefragt, was der Song für ihn bedeutet. Er findet ihn vielschichtig, aber auch sehr zwiespältig. Er setzt »Hallelujah« bei Hochzeiten und Trauerfeiern gleichermaßen ein. Und er erzählte uns von einem Mädchen, das den Song auf seiner Batmizwa sang, und er habe nur gedacht: Ich wünsche dir, dass es noch viele, viele Jahre dauert, bis du verstehst, worum es in diesem Lied wirklich geht.
Glauben Sie, nur ein Jude konnte einen Song wie »Hallelujah« schreiben?
Nur Leonard Cohen konnte ihn schreiben, niemand sonst. Nur mit seinen Interessen, seiner Lebensphilosophie und seiner Weisheit konnte er »Hallelujah« erschaffen. Und dazu gehört selbstverständlich auch, dass er Jude ist. Der Song hat jüdische Elemente, es ist auch eine spirituelle Suche, einige Zeit hat Cohen an einer »King David«-Variante gearbeitet. Aber er wollte das Lied am Ende säkular machen, den Song auf die Erde herunterholen, ihn bodenständiger werden lassen.
Seit den 80er-Jahren wurde »Hallelujah« unzählige Male gecovert.
Leonard selbst war kein Zensor, er freute sich über den Erfolg seiner Komposition und schob dem keinen Riegel vor, selbst wenn manche die Melodie zur Fahrstuhlmusik verhunzten. Ich habe den Song selbst durch Jeff Buckley kennen- und lieben gelernt, aber über Leonards Interpretation lasse ich nichts kommen. Es gab so viele Cohen-Versionen im Laufe seiner langen Karriere und den Konzerttourneen. Für mich ist die ergreifendste von allen, wenn er auf seiner Abschiedstour seine ganze Seele in dieses Lied legt.
Wurden Sie beim Sichten von Hunderten von Stunden Material nie müde, diesen Song zu hören? Wie sehen Sie ihn nach Ihrer langen Auseinandersetzung damit?
»Hallelujah« ist zeitlos. Natürlich haben die Jugendlichen, die das Lied bei Castingshows singen, keine Ahnung, worum es da geht. Aber selbst, wenn heute ein junger Mensch, ohne zu wissen, wer Leonard Cohen ist, zum ersten Mal den Song hört, wird ihn das nicht kaltlassen, da bin ich mir ganz sicher. Am Ende unseres Films zeigen wir die Gedenkzeremonie für die Covid-Opfer, die am Tag vor Bidens Inauguration stattfand. Das Lied, das dort gesungen wurde: »Hallelujah«. Es ist und bleibt relevant und berührt uns. Ich finde den Song optimistisch in dem Sinne, dass er den Kampf und das Leid als Teil des Lebens annimmt. Er leugnet nicht das Dunkle in der Welt. Aber wie Leonard im Film sagt: Man kann die Faust recken. Oder »Hallelujah« singen.
Mit der Regisseurin sprach Thomas Abeltshauser.
Der Film läuft ab dem 17. November in den deutschen Kinos.