Vergangenen Sommer entdeckte ich auf Rat eines Kollegen einen Schriftsteller wieder, den ich zuletzt als Jugendlicher gelesen hatte: Georges Simenon (1903–1989). In 40 Jahren produzierte Simenon wie am Fließband rund 200 Kriminalromane, von denen 75 den imposanten Inspektor Jules Maigret zur Hauptfigur haben. Maigret, ein Riese von Mann, der, wenn seine detektivischen Bemühungen scheitern, schon mal die Fäuste einsetzt, war auch der Held zahlreicher Verfilmungen für Kino und Fernsehen, unter anderem in einer viel gesehenen BBC-Serie.
Mit dem Lesen Simenons war es allerdings bei uns in Großbritannien schwierig. Die meisten Maigret-Romane waren nicht mehr lieferbar, antiquarische Exemplare schwer zu bekommen. Umso erfreulicher, dass der Verlag Random Penguin jetzt eine neue Gesamtausgabe in neuer Übersetzung herausbringt. Seit November vorigen Jahres erscheint jeden Monat ein Band, angefangen mit dem ersten, Maigret und Pietr der Lette von 1930.
karikaturen Maigret lohnt, näher untersucht zu werden. Anders als Sherlock Holmes und Hercule Poirot erhebt er keinen Anspruch auf Brillanz. Seine Fälle löst er mit beharrlicher Beobachtung und viel Alkohol. Er ist ein Polizist der Arbeiterschicht, dessen Sympathie mehr den Tätern als den reichen Opfern gilt; er versteht es, sich geschickt in die Mentalität von Verzweifelten hineinzudenken. Noch sympathischer ist Maigret Aura des permanenten Beinahe-Scheiterns. Er ist kinderlos und hat keine engen Freunde, lebt auf seine vorzeitige Pensionierung hin. Seine Reflexionen über Männer in der Mitte des Lebens sind tiefschürfender, als man es in Thrillern erwarten würde. Simenon war ein fesselnder Autor von hoher literarischer Qualität.
Er war auch ein waschechter Antisemit. Seine Vorurteile springen den Leser ohne Vorwarnung von den Seiten an: »Leute wie Samuel waren ihm zu Hunderten in Paris und anderswo begegnet, und stets hatte er sie mit einer gewissen Neugier studiert, in die sich nicht gerade Abscheu, aber doch Unbehagen mischte, als bildeten sie eine Welt für sich.« Das Zitat stammt aus dem 1932 erschienenen Maigret und der Verrückte von Bergerac. Juden erscheinen dort als gefährliche Fremde, als räuberisch und gut organisiert. »Die Familie zählt bei den Juden viel ... Sparsam sind sie auch.« Klassische feindselige Klischees, von denen es eine Menge gibt.
In Maigret und Pietr der Lette ist die Rede von den Juden »als eigener Rasse«, von »gemischtrassigen Juden, die Knoblauch essen und Tiere auf ihre besondere Art schlachten«. Häufig taucht »der Jude« auf oder »die Jüdin«, seine »übergewichtige Frau«, inklusive schlüpfriger Hinweise auf »wogende Brüste« und »einen flüchtigen Blick auf die Unterwäsche«. (Zitate übersetzt nach der englischen Fassung, Anm. d. Red.) Immer wieder benutzt Simenon stereotype Karikaturen von Juden, um beim Leser Misstrauen und Abscheu zu erregen. Ein Simenon-Forscher hat in 13 Maigret-Romanen Juden gefunden, ein unerklärlich hoher Prozentsatz. Zwei von Maigrets Juden sind Mörder. Keiner ist sympathisch.
kollaborateur Da verwundert es nicht, zu erfahren, dass Simenon es mit der extremen Rechten hatte. 1903 in Lüttich geboren, prägten ihn die Not und Entbehrungen seiner Familie im Ersten Weltkrieg. In den 1930er-Jahren war er Mitglied einer Friedensorganisation. Als die Deutschen Frankreich besetzten, wurde er zum Kollaborateur. Wie weit diese Kollaboration ging, darüber streiten die Experten. Zwei Beweisstücke aber sind unstrittig. Während der deutschen Besatzung verkaufte Simenon die Filmrechte von neun seiner Romane an die Continental, eine deutsche Produktionsfirma, die das französische Kino unter Kontrolle des Reichs bringen sollte.
Bis dahin hatte Simenon nur die Filmrechte an drei seiner Bücher verkauft. Einem der Continental-Filme, Les inconnus de la Maison (Fremd im eigenen Haus), wurde von dem Regisseur Henri Decoin eine deutlich antisemitische Stoßrichtung gegeben. Verliehen wurde dieser Film zusammen mit dem judenfeindlichen Propagandastreifen Les Corrupteurs (Die Verderber). Simenon, der die Verträge mit der Continental persönlich ausgehandelt hatte, war voll des Lobs für Decoins Arbeit. Und als im September 1942 dem Maigret-Darsteller Raimu vorgeworfen wurde, von der Nazibesatzung zu profitieren, verteidigte Simenon ihn in der Zeitschrift Vedette: »Rechnen die auch in Franc oder Dollar aus, was dieser oder jener Rothschild verdient hat oder dieser oder jener Hai, der an der Börse gegen den Franc spekuliert?«
Klassische Naziklischees zu einer Zeit, als Juden im Velodrom zusammengetrieben und »in den Osten« deportiert wurden. Sie zeigen, dass Simenon Antisemit aus Neigung und Instinkt war, für den Juden die Opfer erster Wahl waren.
exil Nach dem Krieg wanderte Simenon, der Racheakte von Widerstandskämpfern und eine mögliche Anklage durch die Justiz befürchtete, nach Nordamerika aus. Bevor er Frankreich verließ, brachte er noch seinen Bruder, einen belgischen Faschisten, in der Fremdenlegion unter, um ihn vor Strafverfolgung zu schützen. Die nächsten zehn Jahre lebte der Autor in Kanada und in den USA.
In Frankreich verbot derweil ein Gericht Neuauflagen seiner Bücher für einen Zeitraum von fünf Jahren; seine Filme durften nicht öffentlich aufgeführt werden. Simenon kehrte kurzzeitig nach Südfrankreich zurück, ließ sich dann aber in der Schweiz nieder. Sein hervorragender Biograf Patrick Marnham spielt zwar die Rolle Simenons in der Kollaboration herunter. Aber dem Schriftsteller war mulmig genug – wenn er nicht sogar regelrecht Angst hatte –, dass er die Straßen von Paris mied, auf denen Maigret weiter nach Verbrechern jagte.
All das ist wohlbekannt. Deshalb muss man sich fragen, was die Verantwortlichen bei Random Penguin, dem größten englischsprachigen Verlag der Welt, sich dabei denken, in glänzender Neuübersetzung eine Romanserie zu veröffentlichen, die offen rassistische Verunglimpfungen enthält. Haben sie nicht die Möglichkeit bedacht, dass diese Verunglimpfungen dem ohnehin gärenden Antisemitismus noch weiter Nahrung geben könnten?
warnhinweis Apologeten Simenons haben lange argumentiert, sein Rassismus sei ein Produkt seiner Zeit, nicht anders und nicht schlimmer als bei anderen Krimiautoren wie Conan Doyle, G.K. Chesterton und Agatha Christie. Man müsse diesen Rassismus, schreibt ein Fürsprecher, »eher als Symptom intellektueller und moralischer Trägheit sehen denn als bewusste gesellschaftliche oder politische Programmatik«. Mag sein. Aber Simenons Antisemitismus war nachhaltiger als der anderer: Seinen letzten Seitenhieb auf die Juden teilte er noch 1965 in Maigret lässt sich Zeit aus.
Nun kann man natürlich nicht erwarten, dass ein Verlag Bücher unveröffentlicht lässt, die weltweit eine Milliardenauflage haben und bis heute hervorragend lesbar geblieben sind. Auch kann man von den Übersetzern nicht verlangen, den Originaltext dem heutigen Empfinden anzupassen, selbst wenn Simenons Erben das zulassen würden. Das gedruckte Wort steht. Aber eine Distanzierung muss sein.
Random Penguin (und die entsprechenden Verlage in anderen Ländern, im deutschen Sprachraum Diogenes) sollte auf dem Umschlag aller Maigret-Romane, in denen Juden vorkommen, einen Warnhinweis drucken, des Inhalts, dass rassistisch herabwürdigende Begriffe in dem Buch inakzeptabel und in anderen Zusammenhängen strafbar sind. Das schuldet der Verlag den Lesern. Wenigstens das.