Sprachgeschichte(n)

Macke, Meise und Meschugge

Schwere Macke, komplett meschugge: »Das Tier« aus der Muppet Show Foto: cinetext

»Der Nichtgenormte wird als Verrückter genormt«, schrieb Ludwig Marcuse in seinem Wörter-Buch für Zeitgenossen (1967). Für solche Menschen gibt es im Deutschen etliche Bezeichnungen, bei denen das Jiddische tatsächlich oder vermeintlich Pate stand.

meise So sagt man etwa, dass jemand »eine Meise hat«. Hier schwingt das Bild des Vogels mit, der sich im Kopf des Betroffenen eingenistet hat. Die im Volksglauben verankerte Formulierung »einen Vogel haben« und die Geste des Vogelzeigens stützen den Metaphergebrauch.

Etymologisch allerdings hat der Begriff mit gefiederten Kreaturen nichts zu tun. Hans Peter Althaus schreibt in seinem Buch Chuzpe, Schmus und Tacheles (2004), dass in hessischen Dörfern, in denen Juden und Christen oft eng beieinander lebten, Ausdrücke wie »Mase machen« (Aufhebens machen) und »Maserchen verzähle« (Schnurren erzählen) geläufig waren.

Sie enthalten mit dem jiddischen »maase/maise« ein Wort, das ursprünglich für eine Erzählung stand, bei Juden aber semantisch zu unnützem Gerede und Getue erweitert wurde. Die Übertragung der Dialektformen ins Hochdeutsche als »Meise machen« und »Meiserchen verzählen« führte dann zu der Redewendung »eine Meise haben«.

trübe tasse Weniger eindeutig ist die jüdische Herkunft zweier anderer Phrasen: Ein denkfauler Mensch gilt als »trübe Tasse«, wer nicht bei Verstand ist, hat »nicht alle Tassen im Schrank«. Beim ersten Ausdruck glaubt Heidi Stern im Wörterbuch zum jiddischen Lehnwortschatz in den deutschen Dialekten (2000), die Tasse gehe auf die westjiddische Aussprache des hebräischen »da’as« (Erkenntnis) zurück.

Bei der zweiten Phrase deutet Siegmund A. Wolf im Wörterbuch des Rotwelschen (1985) die Tasse als »verquatschtes oder missverstandenes jiddisches ›toschia‹«. Schon 1956 schrieb er in der Zeitschrift Muttersprache: »Im Jiddischen ist ›toschia‹ = Verstand, Klugheit. Wer nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, hat seine fünf Sinne nicht mehr beisammen.«

Wolf mag an das hebräische »tushiya« für Umsicht im Buch der Sprüche 2,7 und 3,21 gedacht haben. Allerdings ist, worauf auch Heidi Stern hinweist, »toschia« in keinem Jiddisch-Wörterbuch belegt.

macke Nur noch wenig geläufig ist heute »Teekessel«. Sowohl das Grimmsche Wörterbuch (1852) als auch C.F. Trachsels Glossarium der berlinischen Wörter und Redensarten (1873) und Karl Hermann Albrechts Die Leipziger Mundart(1881) nennen »Teekessel« jeweils in der Bedeutung »Dummkopf«. Denken wir uns den Tee weg, sind wir ganz schnell beim jüdischen Ursprung: »kessil« ist im Jiddischen der Narr.

Auch die »Macke«, die einer hat, ist aus dem Jiddischen ins Deutsche importiert worden. Die breitere jiddische Wortsemantik von »macken/mackes« umfasste Schläge, Fehler, Gebrechen oder teure Waren. Werner Weinberg erläutert in Die Reste des Jüdischdeutschen (1969): »Der Plural auf -s wurde hauptsächlich für ›Schläge‹, der auf -n hauptsächlich für ›Fehler‹ usw. gebraucht.«

meschugge Nicht fehlen darf in dieser Aufzählung natürlich der Klassiker »meschugge«. »Der starke Zischlaut in der Mitte und das wuchtige ›ugg‹ bilden eine überzeugende Lautkombination, die das Wort seit dem 19. Jahrhundert (vor allem in Berlin und anderen Großstädten) durchgesetzt haben«, heißt es in Leo Rostens Jiddisch.

Das aus dem jiddischen »meschuggo« und dem hebräischen »meschuggah« stammende Wort für »überspannt, irre« erläutert das Neue Berliner Schimpfwörterbuch (2005) an einem Beispiel: »›Der macht mir janz meschugge mit sein Jequatsche‹ beweist, dass es sich hier meist um einen vorübergehenden Zustand handelt.« Wie tröstlich!

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  18.12.2025

Los Angeles

Rob und Michele Reiner: Todesursache steht fest

Ihre multiplen Verletzungen seien durch Gewalteinwirkung entstanden, so die Gerichtsmedizin

 18.12.2025

Bad Arolsen

Floriane Azoulay scheidet als Direktorin der Arolsen Archives aus

Die Amtszeit der Direktorin der Arolsen Archives endet im Dezember. Unter Floriane Azoulay sammelte das Archiv Auszeichnungen, sie selbst war alles andere als unumstritten

 18.12.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. Dezember bis zum 31. Dezember

 18.12.2025

Interview

»Die Zeit der Exzesse ist vorbei«

In ihrem neuen Buch »Glamour« setzt sich die Berliner Autorin Ute Cohen mit Schönheit und Eleganz auseinander. Dabei spielt auch Magie eine Rolle - und der Mut, sich selbst in einer »Zwischenwelt« inszenieren zu wollen

von Stefan Meetschen  17.12.2025 Aktualisiert

Potsdam

Kontroverse um Anne-Frank-Bild mit Kufiya

Ein Porträt von Anne Frank mit Palästinensertuch in einem Potsdamer Museum entfacht Streit. Während Kritiker darin antisemitische Tendenzen sehen, verteidigt das Museum das Bild. Die Hintergründe

von Monika Wendel  17.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  17.12.2025

Nachruf

Albtraum in der Traumfabrik

Eine Familientragödie hat den Hollywood-Riesen und seine Frau aus dem Leben gerissen. An Rob Reiners Filmen voller Menschenliebe wie »Harry und Sally« ist eine ganze Generation mitgewachsen

von Sophie Albers Ben Chamo  17.12.2025

Theater

Die Krise des Schlemihl

»Sabotage« von Yael Ronen ist ein witziger Abend über einen Juden, der sich ständig für den Gaza-Krieg rechtfertigen muss

von Stephen Tree  17.12.2025