Slata Roschal hat im November 2022 einige Wochen im mare-Künstlerhaus verbracht. Der ehemalige Wohnsitz des Essayisten und Moderators Roger Willemsen nahe Hamburg bietet Künstlern und Künstlerinnen verschiedener Sparten bezahlte Zeit. Gearbeitet hat Roschal in diesem Zeitraum an ihrer Lyrik, die immer wieder alltags- und ortsbezogen ist und sich nicht in wolkige Metaphern-Himmel erhebt. »Wollen wir Valentinstag eigentlich feiern / Fragte eine Stipendiatin im Künstlerhaus Mare / Aber klar sagte ich Das wird ein Spaß.« Wirklich?
Zu finden ist dieses übrigens titellose Gedicht im nunmehr dritten Lyrikband, den Roschal dieser Tage vorlegt. Ich brauche einen Waffenschein ein neues bitteres Parfüm ein Haus in dem mich keiner kennt – so der Titel, entnommen aus einem ihrer Gedichte. Es ist Lyrik von pointierter Präzision, von dichter Alltäglichkeit: »Jemand trägt ein T-Shirt anstelle eines Kleids / Jemand im roten Rollstuhl hält ein Sixpack auf den Knien / Das sind auch deine Kinder sagt eine Frau am Handy / Ich denke dass Männer irgendwo auch Menschen sind.«
Orte sind in diesen Texten oft Schauplatz wie Anlass komprimierter Betrachtungen: die Kunsthalle München, eines der Motel-One-Hotels in Leipzig. Oder eben das Jüdische Museum München. »Die Ausstellung von Originalobjekten ist nicht möglich / Auf einem meiner Schuhe ist ein Messband tätowiert / Ein Spiegel klirrt ein Waschbecken quillt über / Gebrochenes zerhacktes Licht.«
Hartnäckig thematisiert sie auch immer wieder die schwierige Lage schreibender Frauen. »Warum zahlen Leute dir für Lesungen nicht umgekehrt / fragt mein Kind und ich habe darauf keine Antwort.« Derzeit sucht sie übrigens einen Verlag für ein Sachbuch zu den Themenfeldern Macht, Konkurrenz und Geld im Literaturbetrieb, und zwar als Folge einer Poetikvorlesung zu diesem Themenkomplex, wie einer aktuellen Notiz auf ihrer Homepage zu entnehmen ist.
Nun ist Roschal nicht nur eine begnadete Lyrikerin, sondern ebenso eine entschlossene Prosa-Autorin, mit der entsprechenden Vorliebe für die kurze, sogenannte kleine Form, die wiederum auf den Stil-Fundus der Lyrik zurückgreift. 2022 debütierte sie, die 1997 als Tochter russisch-jüdischer Einwanderer aus Sankt Petersburg in Schwerin zur Welt kam, mit 153 Formen des Nichtseins als Romanautorin. Der Band wurde sogleich für den Deutschen Buchpreis nominiert und erschien später in der für Autoren lohnenden Taschenbuchausgabe. Im Herbst 2024 folgte der Roman Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten. Nein, dabei handelt es sich nicht um flotten Zeitgeist-Spaß angesichts globaler Krisen, sondern um das Angebot einer so ernsten wie offenherzigen Innenansicht. Es spricht eine namenlose Autorin, Mutter zweier kleiner Kinder, eines Jungen und eines Mädchens. Und die Ich-Erzählerin hat ein ebenso handfestes wie ideelles Problem: Sie muss und will Geld verdienen, sie will vor allem Anerkennung für ihr schriftstellerisches Schaffen, vielleicht bietet da das Handwerk des literarischen Übersetzens einen finanziellen Ausweg.
Und so sitzt sie in ihrem Hotelzimmer, während der Pausen eines Workshops, der in die nüchterne Kunst des Übersetzens einführen soll; sie fühlt sich fehl an einem Platz, den sie doch so gerne einzunehmen sucht. Und die Gedanken kommen und gehen und damit das Beobachten, das Spüren und das Nachspüren. Hauptsache, sie bleibt am Schreiben, beim Notieren und Beobachten als Stoffsuche. »Ich sage meinem Sohn er soll sich Freunde suchen / Damit ich meine Nägel ungestört lackieren kann / Es liegt was Frühlingshaftes in der Luft und / Aufgetaute Larven legen in Blumenkübeln Marskanäle an«, wechseln wir wieder in die Gedichte-Welt.
Für ihren Waffenschein-Gedichtband gab es schon mal den renommierten Feldkircher Lyrikpreis – vor dem offiziellen Erscheinen. Das wird auf der Buchmesse zu feiern sein, und man wird schauen, wie dieses nächste Werk beim Publikum ankommt. Wobei die Autorin schon mal passend dichtet: »Lyriker sind professionelle Obdachlose und Piraten die / Billige Hotels und Pensionen in Leipzig stürmen.«
Slata Roschal: »Ich brauche einen Waffenschein ein neues bitteres Parfüm ein Haus in dem mich keiner kennt – Gedichte«, Wunderhorn, Heidelberg 2025, 130 S., 24 €