Die Konkurrenz war hart. Immerhin musste sich David Guterson gegen so gestandene Autoren wie Haruki Murakami oder Stephen King durchsetzen. Aber er schaffte es. Für seinen Roman Ed King erhielt der Amerikaner 2011 den »Bad Sex in Fiction Award«. Mit »klarer Mehrheit«, wie die Zeitschrift Literary Review bekannt gab, die seit 1993 diese »Auszeichnung« für die schlechteste literarische Sexszene verleiht.
Auf der literarischen Bühne erschien David Guterson 1994 mit seinem auch verfilmten Debütroman Schnee, der auf Zedern fällt. Jetzt ist auf Deutsch sein neuestes Buch herausgekommen. Und eines sei vorweg gesagt: Sex gibt es darin keinen. Stattdessen geht es in diesen Geschichten um Menschen, die eine Krise hinter sich haben, sich einsam fühlen.
scheunenviertel Zwischen Menschen heißt der Band, der zehn Erzählungen enthält, von denen vier im jüdischen Milieu angesiedelt sind. Am eindrücklichsten in dem Text »Krasawize«, von dem der 1956 in Seattle geborene Anwaltssohn sagt, dass es die Geschichte sei, die ihm selbst von all seinen Geschichten am besten gefalle.
Ein alter Mann, der die Schoa überlebt hat und nach Amerika ausgewandert ist, kehrt darin zurück nach Berlin, wo er bis zu seinem sechsten Lebensjahr im alten jüdischen Scheunenviertel aufwuchs. Noch einmal will er vor dem Tod die Orte seiner Jugend sehen. Die Knabenschule der jüdischen Gemeinde. Den alten Jüdischen Friedhof. Aber auch das Mahnmal am Bebelplatz und die Topographie des Terrors. Begleitet wird er von seinem Sohn, der bald Mühe hat, den Alten unter Kontrolle zu halten. Randaliert der doch schon im Flugzeug, weil ihn alles an die böse Vergangenheit erinnert: »Lufthansa! Stieß er hervor. Wie Luftwaffe.«
Wohin der alte Mann auch kommt, überall sieht er nur das Deutschland von früher, nicht das von heute. Immer wieder legt er sich mit der jungen Reiseführerin an, die ihn durch die Stätten der Vergangenheit führt. »Tut mir leid, aber nach dem, was die Deutschen getan haben, kann man nicht immer nur über Schuld reden und einfach noch mehr Museen und Gedenkstätten bauen.« Die junge Frau lässt ihn gewähren: »Er hat doch jedes Recht dazu.« Am Ende muss der Alte sich dann doch aber eingestehen, dass doch nicht alles schlecht ist in diesem Deutschland. Auf jeden Fall nicht die »Krasawize – so haben wir früher zu den bildhübschen Jüdinnen gesagt, zu den richtigen Klassefrauen. Unsere Reiseführerin in Berlin war eine Krasawize! Eine Jüdin hat uns Berlin gezeigt!«
selbstironie Guterson nennt sich selbst einen Agnostiker. Seine jüdische Herkunft habe ihn zwar kulturell, weniger aber religiös geprägt. Seinen von einer gewissen Selbstironie geprägten Geschichten merkt man das an. So auch bei der über einen Richter, der zwölf Monate im Jahr ignoriert, Jude zu sein, und im Dezember vor Chanukka aus Seattle flieht.
Dieses Mal verreist er mit seinen Eltern und kehrt mit ihnen in einem Ferienresort in Harrison Hot Springs in British Columbia ein. Eine echte Nervenprobe. Pausenlos sind die Eltern am Streiten. Dem Richter wird nur zu bewusst, dass seine Mutter aussieht und klingt »wie eine Jüdin«. Erst als die Eltern sich gegen andere Feriengäste des Resorts verbünden, verstehen sie sich wie in alten Tagen.
In seinem Aussteiger-Roman Der Andere (2013), mit dem Guterson eine amerikanische Traditionslinie fortschrieb, die von Henry David Thoreaus Walden bis Jon Krakauers Into The Wild reicht, hatte er sich mitunter ein wenig verzettelt. Die Erzählungen sind konzentrierter. Sie sprechen nicht alles aus und lassen Leerstellen, die der Leser selbst füllen muss.
Auch der allzu didaktische Schwanz des Romans fehlt den neuen Texten. Die Hoffnungslosigkeit und die reduzierte Sprache lassen an Raymond Carver denken (auch, wenn der extremer war, sich Guterson dagegen beinahe brav ausnimmt). An Saul Bellow fühlt man sich ebenfalls hin und wieder erinnert. Mit Zwischen Menschen hat David Guterson ganz bestimmt sein bisher reifstes Buch abgeliefert.
David Guterson: »Zwischen Menschen«. Hoffmann und Campe, Hamburg 2014, 208 S., 19,99 €