Literatur

Lob der Halbinsel

»Nie traf ich einen Menschen, der über sich lachen konnte und dann später zum Fanatiker wurde«: Amos Oz Foto: Getty Images

Der Sinnspruch, niemand sei eine Insel, zählt zweifellos zu jenen Plapper-Weisheiten, die seit jeher gratis zu haben sind. Amos Oz’ neuer Essayband Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers kostet hingegen ein paar Euro, die Investition aber lohnt sich. Denn anders, als Oz’ falsche Freunde und veritable Feinde seit Jahrzehnten verbreiten, ist der israelische Schriftsteller und Intellektuelle keineswegs ein konventioneller Moralist, der seine Umwelt verlässlich mit erwartbaren Mahnpredigten versorgt.

Im Gegenteil. Aus guten Gründen skeptisch gegenüber der wohlfeil kollektivistischen Insel-Metapher, wartet Amos Oz mit dem Vorschlag auf, es doch einmal mit einem mentalen Halbinsel-Status zu versuchen. Will konkret heißen: Sich vom Kontinent der ehernen eigenen Überzeugungen herunterzuwagen und das Gespräch mit anderen Menschen zu suchen – freilich ohne dabei Essentielles einem opportunistischen Werterelativismus zu opfern.

Besatzung Als Mitbegründer der Friedensbewegung »Shalom Achshav/Peace Now« zählt Oz zwar zu den ältesten und vehementesten Kritikern der Westbank-Besatzung, doch teilt er mitnichten die linke Illusion, eine israelisch-palästinensische Zweistaatlichkeit würde automatisch Frieden schaffen. Außerdem: Israels Abschreckungsmacht müsse als Basis der Stabilität selbstverständlich erhalten bleiben.

In jeder Zeile der hier vorliegenden drei Essays wird auf berührende Weise deutlich, mit welch hellsichtiger Leidenschaft dieser liberale Intellektuelle sein Land liebt, das er freilich nicht nur auf »Volk« und »Religion« reduziert sehen möchte. Oz spricht deshalb immer wieder von »israelischer Kultur« und davon, was diese so einmalig macht: »Interpretation, Um-Interpretation, Gegen-Interpretation, die Brücke zwischen Judentum und Demokratie«.

Was jedoch »jüdisches Blut« betrifft, das von den Ideologen der Rechten gern zum Alleinstellungsmerkmal gemacht wird, so erinnert der bibel- und talmudfeste Romancier ganz lakonisch daran, dass nirgendwo in den religiösen Quellen eine solche Bezeichnung zu finden sei, dafür aber in den »Nürnberger Gesetzen«.

Jeschua Außerdem: Nicht »Gebote« hätten über die Jahrhunderte hinweg den verstreut lebenden Juden Identität und Existenz gesichert, sondern im Gegenteil die Entscheidung der Juden, kollektiv und individuell, ihren Texten treu zu bleiben – und sie gleichzeitig Debatten auszusetzen und Grenzen zu überschreiten. Oz’ kontroverse Gewährsleute dabei: Baruch Spinoza, Heinrich Heine – und Rabbi Jeschua aus Nazareth.

Es spricht für den Autor, dass er solche Volten nicht mit der Selbstzufriedenheit eines Zirkusakrobaten präsentiert, sondern sie als Einladung zu Widerspruch und ziviler Debatte versteht. Denn schließlich habe ja auch die Linke ihre Fetische, ihre autistischen Meinungs-Inseln, unter anderem Elemente der Identitätspolitik und des Multikulturalismus, die ebenfalls einer »Realität der beschränkten Horizonte, der Abgeschiedenheit« Vorschub leisten. Ähnlich verhalte es sich mit den zu fanatischer Ideologie geronnenen Überzeugungen mancher Nicht-
raucher, Vegetarier und pazifistischer Friedensfreunde.

Allerdings dient solche Äquidistanz zu rechten wie auch linken Positionen nicht etwa der Selbstbeweihräucherung als verständnisvoll-rationaler Mann der Mitte. Amos Oz will wirklich ein Gespräch und verliert sich nicht in Polemik. So fragt er auch bei gleichbleibender Zimmerlautstärke, ob der unter Moralisten so beliebte Anklagemix – gegen Sexismus, Apartheid, Luftverschmutzung etc. pp. – nicht gewichtige Unterschiede und Abstufungen einebnet und deshalb den Kampf gegen das Böse (von dessen Existenz Oz selbstverständlich überzeugt ist) zu lähmen droht.

Fanatismus Hinzu kommt, dass »soziale oder religiöse Erklärungen für die Existenz das Fanatismus« meist ins Leere laufen, sodass entscheidender ist, gewisse mentale Muster einer Prüfung zu unterziehen. Auffällig sei nämlich, dass Fanatiker jeglicher Couleur, die sich vom jeweils anderen permanent bedroht fühlen, selbst keineswegs Freunde eines guten Lebens sind, sondern häufig Verbitterte, die existenziell nicht einmal wüssten, was genau sie denn verteidigten.

»Der Fanatiker ist ein wandelndes Ausrufezeichen. Der Kampf gegen den Fanatismus sollte deshalb nicht darin bestehen, mit einem Gegen-Ausrufezeichen zu kontern.« Aber mit was dann? »Nie traf ich einen Menschen, der über sich lachen konnte und dann später zum Fanatiker wurde«, schreibt Oz, der damit eine feine Linie zieht zwischen dem harten, im doppelten Wortsinn freud-losen Lachen des Sarkastischen und dem freundlichen Lächeln des Ironikers.

Doch lässt sich solche Gelassenheit, die gleichzeitig nichts mit diffusem Laisser-faire zu tun hat, tatsächlich erlernen? Warum nicht, sagt Amos Oz, der sich daran erinnert, was für ein borniertes, selbstgerechtes Kind er einst gewesen war, ehe er das lebenslange Studienfach der »vergleichenden Fanatismusforschung« entdeckte. Auch deshalb ist dieser schlanke Essayband im allerbesten Sinne dies: erwachsen.

Amos Oz: »Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers«. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Suhrkamp, Berlin 2018, 143 S., 18 €

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025