Nobelpreis

Literatur aus Fleisch und Blut

»Bob denkt jüdisch, sehr jüdisch. Er wurde ja so erzogen«: Bob Dylan 1983 an der Kotel bei der Barmizwa seines Sohnes Jakob (r.) Foto: dpa

Nein, ans Telefon gegangen ist Bob Dylan immer noch nicht. Auch zwei Wochen nach Erhalt des wichtigsten literarischen Preises hüllt sich der Sänger weiterhin in Schweigen. Inzwischen soll die Schwedische Akademie alle Versuche eingestellt haben, Dylan doch noch persönlich zu erreichen. Anfangs hatte das Nobelpreiskomitee noch Verständnis dafür, dass er sich – ganz Bob Dylan eben – rarmacht. Doch mittlerweile wirft ihm die Schwedische Akademie empört vor, »unhöflich und arrogant« zu sein. Ein solches Verhalten habe das ehrenwerte Gremium bislang noch nie erlebt.

Und so, wie viele Dylan-Fans und -Gegner immer noch aufgeregt darüber diskutieren, ob der Geehrte zur Verleihung am 10. Dezember persönlich in Stockholm anwesend sein wird, sorgt die Vergabe an Dylan nach wie vor auch für hitzige Debatten im Literaturbetrieb. Viele Kritiker hätten den Nobelpreis lieber in den Händen von Haruki Murakami oder Philip Roth gesehen, so wie das deutsche Literatur-Gewissen Denis Scheck, der die Auszeichnung von Bob Dylan durch das Komitee für einen Gag hält (»Gelegentlich erlaubt sich die Akademie ein Späßken«), für eine Notlösung, weil man gerade nicht die Telefonnummer von Donald Duck zur Hand hatte.

Allein diese Einschätzung zeigt, warum es so richtig und wichtig ist, dem Poeten mit der krächzenden Stimme die Auszeichnung zu verleihen. Klar, Denis Scheck und Co. mögen sich als Bewahrer der echten und hehren Literatur verstehen, und der Buchhandel mag beklagen, dass die Leute nun keine neu aufgelegten Murakami-Romane kaufen können (von Dylan selbst gibt es nur drei Bücher).

Lyrics Aber letztlich geht es um etwas anderes: Statt wie so häufig einen alten Romancier zu ehren, der oft schon längst nicht mehr publiziert, würdigt Stockholm diesmal erstmals das Werk eines Grenzüberschreiters, ja, ein Leben als Literatur. Denn Bob Dylan, dem Unnahbaren, kann man wohl am besten beikommen, wenn man ihn selbst als Kunstwerk versteht, als Fleisch gewordene literarische Figur, die zudem auch begnadete wie kunstvoll verdichtete Songtexte und Gedichte geschaffen hat.

»Bob Dylan« ist nur ein Name, den sich Robert Allen Zimmerman im Laufe seines Lebens gegeben hat, er firmierte ebenso als »Jack Frost«, als »Blind Boy Grunt« oder als »Bob Landy«. Die Kunst-Camouflage, das Grenzüberschreitende des Künstlers indes ist mehr als nur ein Spiel. Dylan lässt sich nicht fassen, macht Folk, wenn man von ihm Hippie-Musik erwartet, singt Sinatra, wenn man ihn als Antikapitalisten entlarven will, dann wieder wechselt er seine Religion, wird vom frommen Juden zum exzentrischen Christen – und kehrt immer wieder zurück zum Alten, wenn alle von ihm das Neue erwarten.

judentum Seine Wandlungen sind meist existenziell. Er ändert nicht allein seinen Ton und seine Themen, sondern auch seine Religion: Aufgewachsen in einer jüdischen Mittelstandsfamilie – sein jüdischer Name ist Shabtai Zisl ben Avraham –, beginnt er erst spät, sich mit seiner Jüdischkeit zu beschäftigen. Dylan debattiert mit dem rechtsextremen Rabbiner Meir Kahane von der Jewish Defense League, reist 1971 zum ersten Mal nach Israel und überlegt, mit seiner Frau in einen Kibbuz zu ziehen. Songs wie »Talkin’ Hava Nagilah Blues« oder »With God on Our Side«, in denen er die Schoa thematisiert, nehmen konkret Bezug auf sein Judentum.

Doch auf eine weitgehend politische Phase folgt dann die Konversion zum Christentum. All das ist nachzuhören in Alben wie Saved und Shot of Love. Es dauert nicht lange, bis auf einen weiteren, weitgehend säkularisierten Abschnitt, die Rückkehr zum Judentum folgt. Für seine Tante Ethel Crystal eine logische Bewegung, sie sagte einmal: »Bob denkt jüdisch, sehr jüdisch. Er wurde ja so erzogen.«

Dylan ist eine dauernde Neu-Selbsterfindungs-Maschine, jemand, der das Wahre kaschiert, für den die Erfindung die bessere Realität darstellt, ein literarischer Charakter, der seine Vorbilder in der Literatur sucht. Dabei geht es nicht um das konkrete Leben, um seine Ehen, seine Zerwürfnisse, seine Drogen oder seine Selbstzerstörung. Es geht vielmehr darum, wie er sein Äußeres, mediales Dasein selbst bestimmt, wie er es seit Jahrzehnten schafft, unter dem Radar jedweder journalistischen Einordnungswut zu fliegen, wie er sowohl den Journalisten des »Rolling Stone« als jetzt auch Literaturkritikern vorführt, dass ihr Kosmos und ihre Kategorien einfach zu klein für ihn sind. Dass es nur einem gelingt, eine literarische Erfindung wie Bob Dylan in Worte zu packen: nämlich Bob Dylan selbst.

gott Das Spiel seines Lebens ist das Spiel mit seinem Ich, und das folgt besonders zwei literarischen Vorbildern: zum einen Rimbaud, der einst »Ich ist ein anderer« schrieb; zum anderen der Bibel, in dem Gott der ewig Unsichtbare, aber in jeder Materie Allgegenwärtige ist – der Schöpfer ohne Angesicht, der Kreative als Vorstellung. Oder wie es bei Dylan heißt: »I and I/ One says to the other, no man sees my face and lives«. Der Gottesbegriff bleibt sowohl in seinen jüdischen als auch in den christlichen Phasen ähnlich – ein Gott, der nicht greifbar ist und von dem man sich kein Bild machen kann.

Klar, dass Denis Scheck und andere Kritiker sofort einwenden, dass Literatur sich durch gedruckte Buchstaben ausdrücken müsse. Bob Dylan hat dieses Denken ein Leben lang widerlegt. Er ersetzt das geschriebene durch das gesungene Wort (wenn man das bei ihm überhaupt so nennen kann) und kehrt damit zur vorschriftlichen Mythen-Überlieferung, zur Erzählung, zurück. Er erhebt das Leben selbst zur eigentlichen Erfindung, zur Literatur. Vor allen Dingen aber: Dylan schafft es in seinen Texten, die wahrhaftige Existenz als Kunstfigur im Ungreifbaren begreiflich werden zu lassen. Auch deshalb, weil er als Künstler längst die Souveränität hat, nichts und niemandem mehr etwas beweisen zu müssen, und weil das Konkrete nie reicht, um das Unsagbare auszuerzählen.

widersprüche All das gelingt ihm nicht wirklich wegen seiner zuweilen großartigen, zum Teil improvisierten Musik – oft sind die Cover-Songs seiner Texte besser als seine eigenen Interpretationen. Es gelingt ihm in der Regel durch die Mittel der Literatur: Sie ist für ihn ein Bergwerk, aus dem er sich bedient, eine Menschheits-Mythologie, mit deren archaischen Besetzungen er jongliert, ganz gleich, ob es sich um die Mythen von Bürgerkrieg, die nordamerikanischen Wanderarbeiter »Hobos«, Outlaws oder religiöse Helden wie Gott, Jesus und Moses handelt oder um die Helden der internationalen Hochliteratur von Ovid und Dante über Verlaine bis hin zu Byron und Brecht. Dylans Texte spielen mit dem Übergroßen, um es klein zu schrumpfen, er schafft es, Lebensopern in Hosentaschenformat zu präsentieren und das Komplexe und Widersprüchliche so zu beschreiben, dass die ganze Welt es mitsingen kann: »The answer, my friend ...«

Das Besondere an Bob Dylan ist, dass er der Literatur weniger als geschriebenes Wort denn als mündliche Überlieferung vertraut. Es ist ihm egal, wenn eine Improvisation nicht für die Ewigkeit aufgenommen wird, er weigert sich, für seinen Produzenten eine geniale Idee zu wiederholen, er quittiert es mit einem Achselzucken, wenn der geniale Augenblick ein für alle Mal verloren geht. Das Vergängliche und der Moment ist, so absurd das klingt, das Bleibende an seiner Poesie. Dass Bob Dylan mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wird, ist deshalb auch eine Auszeichnung für die Urform des Erzählens, die eben nicht auf Schrift, sondern auf der mündlich fixierten Geschichte beruht. (Übrigens: Hat man schon mal bei der Vergabe des Nobelpreises an einen Dramatiker den Einwand gehört, dessen Texte werden bloß gesprochen und nicht gelesen?)

Ob Dylan am 10. Dezember in Stockholm nun aufkreuzen wird oder nicht: Er hat den Nobelpreis längst nicht mehr nötig. Vermutlich profitiert die Ehrung sogar mehr von ihm als umgekehrt. Oder wie Leonard Cohen nach der Bekanntmachung anmerkte: »Dylan den Preis zu geben, ist so, als würde man dem Mount Everest eine Medaille für den höchsten Berg umhängen.«

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