Jugendliteratur

Literarisches Wagnis

Jean-Claude Grumbergs Schoa-»Märchen«

von Katrin Diehl  21.10.2021 08:28 Uhr

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Jean-Claude Grumbergs Schoa-»Märchen«

von Katrin Diehl  21.10.2021 08:28 Uhr

Ein Märchen über ein kleines Bündel Mensch, das aus einem Zug nach Auschwitz geworfen wird? Leicht einzuordnen ist das für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2021 der Jugendjury nominierte Buch mit dem Titel Das kostbarste aller Güter nicht, was Teil seiner Stärke sein könnte.

Es nennt sich »Ein Märchen«. Aber dem ist zu misstrauen, zumal, wenn sich dahinter der Schriftsteller, Dramatiker, Drehbuchautor und Schauspieler Jean-Claude Grumberg verbirgt. In Frankreich hat er einen Namen, in Deutschland weniger. Grumberg kam 1939 in Paris zur Welt. Sein Vater wurde von den Nazis deportiert und in Auschwitz ermordet, die Mutter floh mit den Kindern ins unbesetzte Vichy-Frankreich. Damit stand Grumbergs Lebensthema fest, bei dessen literarischer Verarbeitung er immer wieder einen Ausweg im Absurden sucht.

RISIKO Die Schoa auf eine literarische Ebene zu bringen, ist immer ein Risiko. Grumberg entscheidet sich für ein Märchen, das keines ist, dessen literarische Merkmale er aber dennoch übernimmt. Weicht Grumberg punktuell davon ab, wirkt das umso krasser in seiner Eindeutigkeit. Fakten, Zahlen, Orte »für Liebhaber wahrer Geschichten« kommen aber erst am Ende des Buches auf den Tisch: »Der Güterzug, der von der Bürokratie des Todes die Bezeichnung Konvoi 49 erhalten hat und am 2. März 1943 am Bahnhof Bobigny bei Drancy an der Seine abgefahren ist, erreicht am Morgen des 5. März das Herz der Hölle, die Endstation.«

Wo doch alles so ganz anders angefangen hat: »Es lebten einmal in einem großen Wald eine arme Holzfällersfrau und ein armer Holzfäller.« Frau und Mann kämpfen sich durch ihr armseliges, hartes Leben. Ein Kind ist ihnen – wie so oft im Märchen – versagt geblieben. Und dann fliegt der Frau eines zu, wird aus dem Zug geworfen, der immer durch diesen Wald pfeift. Das Mädchen darf existieren, auch, weil der Holzfäller mit seiner eigenen Hand spürt, dass in der Brust dieses »kleinen Guts«, das doch eigentlich zu den »Herzlosen« aus diesen elendigen Zügen gehört, ein Herz schlägt.

Das kostbarste aller Güter provoziert so lange mit seiner vorgespielten Märchenhaftigkeit, bis sich die »Wahrheit« zu erkennen gibt. Das Mädchen überlebt. Eine Geschichte, die sich der Autor so gewünscht haben mag. Denn fast alle Menschen in den Zügen überlebten – wie sein eigener Vater – nicht.

Jean-Claude Grumberg: »Das kostbarste aller Güter«. Ein Märchen. Übersetzt von Edmund Jacoby. Jacoby & Stuart, Berlin 2020, 136 S., 16 €

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