Zu seinem 16. Geburtstag bekam Curt Heilbrun von seinen Eltern eine Heine-Gesamtausgabe geschenkt. Sie wurde von der Gestapo konfisziert, als die Heilbruns 1939 über Hamburg nach England flohen. Inzwischen konnten die Bücher an eine Enkelin Heilbruns zurückgegeben werden. Auch der Rabbiner Dr. Ignatz Isaac Bick emigrierte 1939 mit seiner Familie nach England; sein Umzugsgut wurde gleichfalls im Hamburger Hafen beschlagnahmt, samt seiner Bücher. 70 Jahre später erhielt seine Tochter sie wieder.
recherche Zwei Beispiele aus der Arbeit der Projektgruppe »Restitution von NS-Raubgut« der Hamburger Staatsbibliothek, die bis zum Juli eine Ausstellung ebendort dokumentiert. Gezeigt werden natürlich Bücher, aber auch Familienfotos und Lebensläufe enteigneter jüdischer Bibliophiler. »Wir wollen nicht einfach nur auflisten, welche geraubten Bände wir im Laufe unserer Recherche gefunden haben, sondern über die Bücher erzählen und noch mehr über die Menschen, denen sie einst gehörten«, sagt Ulrike Preuß, Mitarbeiterin des Projektes.
Es hat lange gebraucht, bis die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek begann, sich mit der Frage zu beschäftigen, woher all die Bücher kamen, die ab 1933 in ihren Bestand übergegangen waren. Dabei hatte bereits 1951 der Alilierte Kontrollrat deutsche Museen, Kunsthäuser und auch Bibliotheken aufgefordert, in ihren Beständen nach geraubtem Kunst- und Kulturgut jüdischer Bürger zu suchen. »Die Staatsbibliothek hat sich seinerzeit sehr bedeckt gehalten«, weiß Maria Kesting, Leiterin des Hamburger Restitutionsprojekts: »Es gab ein paar eindeutige, dokumentierte Fälle, wie etwa die Übernahme der Bibliothek des ehemaligen Staatsrats der Finanzbehörde, Leo Lippmann. Diese hat man zugegeben, ansonsten blieben die Aussagen nebulös.«
indizien Recherchen gab es damals nur auf Nachfragen von außen, und die waren selten. »Von 1951 bis 1998 waren es gerade mal elf Einzelanfragen. Vonseiten der Bibliothek wurde jeweils nur reagiert, aber es wurde nicht aktiv geforscht – bis 1998 mit dem Washingtoner Abkommen die Institutionen in die Pflicht genommen werden, selbst zu recherchieren und geraubtes Eigentum von sich aus und nicht erst auf Nachfrage zurückzugeben«, beschreibt der Provenienzforscher Volker Cirsovius-Ratzlaff die Situation.
In Hamburg durchforstete man daraufhin erstmals systematisch die Bestände und wurde in vielen Fällen fündig. Dann ruhte die Sache wieder, um erst erneut Fahrt aufzunehmen, als Kulturstaatsminister Bernd Neumann eine Million Euro für Provienenzforschung bereitstellte. Ende 2005 machte die Hamburger Staatsbibliothek sich endlich daran, systematisch Raubgut zu identifizieren und die Bücher ihren Besitzern oder deren Nachkommen auch zurückzugeben.
Dabei hilft, dass die Zugangsbücher ab 1933 erhalten geblieben sind: »Da gibt es seitenweise Zugänge, wo man unter der Rubrik ›Lieferant‹ den Eintrag ›Geheime Staatspolizei‹ findet, und das ist dann sehr eindeutig«, weiß Cirsovius-Ratzlaff. Aber auch andere Hinweise lassen das dreiköpfige Team hellhörig werden: »Wenn da ›Gerichtsvollzieheramt‹ steht, könnte es sein, dass dieses Buch noch in der zu räumenden Wohnung in der Not unter Preis verkauft wurde und dass es sich keinesfalls um einen freiwilligen Verkauf gehandelt hat.«
identifizierung Ist ein Buch identifiziert, beginnt die eigentliche Arbeit erst. »Dann gucken wir uns die Bücher an, ob es einen Hinweis auf seinen eigentlichen Besitzer gibt«, sagt Maria Kesting. »Wenn da nur die Widmung steht ›Meinem Sohn zum 17. Geburtstag – Dein Dich liebender Vater‹, ist man leider schnell am Ende.« Anders, wenn das Buch ein Ex Libris hat oder vom einstigen Eigentümer gestempelt wurde, womöglich mit Adresse oder auch nur mit Vor- und Nachname. Dann werden Wiedergutmachungsakten studiert, Familienanzeigen und Annoncen in alten Ausgaben der amerikanischen Emigrantenzeitung Aufbau gesichtet, es wird in alten Adressbüchern nachgeschlagen.
Trotz der heutigen, vielfältigen Möglichkeiten, via Internet Datenbanken zu nutzen und über Kontinente hinweg per E-Mail Anfragen zu starten – es bleibt eine mühsame Suche. »Wir finden von den Büchern, die einst unrechtmäßig hierhergekommen sind, nur einen kleinen Teil«, konstatiert Cirsovius-Ratzlaff. »Von diesem Teil wiederum ist nur ein kleiner Teil mit Besitzvermerken versehen. Und wiederum bei diesem Teil sind es nur wenige Bücher, in denen man eine Spur findet, die bis ins Jetzt reicht und bei denen man eventuell Nachfahren und Verwandte auftun kann.«
rückgabe Die reagieren durchaus unterschiedlich. Es gibt herzliche Briefwechsel, wenn sich herausstellt, dass die Hamburger Buchforscher dank ihrer Recherchen mehr über den Lebensweg einer Familie wissen, als deren manchmal entfernte Verwandte. »Oft ist dieses eine Buch, das wir übergeben können, das einzige Erinnerungsstück, das noch geblieben ist«, erzählt Ulrike Preuß. »Aber wir mussten auch erleben, dass Familien aus verständlichen Gründen nicht von der Geschichte ihrer Vorfahren berührt werden wollten.«
Die Bücher, deren Eigentümer trotz aller Mühe nicht ermittelt werden konnten, werden nicht einfach wieder wegsortiert: »Sie kommen in einen eigenen Bestand, wo sie geschützt sind«, erklärt Maria Kesting. »Wir können nicht erlebtes Unrecht lindern, und so ist das, was wir tun, nicht mehr als eine moralische Geste – aber die ist uns wichtig. Und außerdem gilt: Was uns nicht gehört, das können wir nicht behalten.«
»Im Ganzen sehr erwünscht. NS-Raubgut in der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky, Hamburg«. Bis 1. Juli
www.sub.uni-hamburg.de