Meine erste Begegnung mit Ron Leshem liegt drei Jahre zurück. Sie fand in seinem spärlich eingerichteten, geräumigen Haus statt, im Süden von Tel Aviv, unweit des Safariparks. Der Debütroman des damals 32-Jährigen Wenn es ein Paradies gibt hatte 2005 alle Verkaufsrekorde in Israel gebrochen. Das Buch handelt von den letzten Monaten einer Eliteeinheit der Zahal vor dem israelischen Abzug aus dem Libanon im Mai 2000.
Die Soldaten sind in der ehemaligen Kreuzfahrerfestung Beaufort stationiert. Sie entwickeln eine codierte Sprache und Rituale, um ihre Angst vor dem Tod durch Raketen und Minen zu bändigen. Nach dem Roman entstand der international preisgekrönte Film Beaufort von Joseph Cedar, mit dem Leshem gemeinsam das Drehbuch schrieb.
subkultur Achtzehn Jahre lang hatte israelisches Militär in dem nördlichen Nachbarland gestanden. Ron Leshem beobachtete damals fassungslos, dass keine drei Tage nach dem Abzug das Wort »Libanon« schon aus den Zeitungen verschwunden war. Deshalb schrieb er seinen Roman. Der Erfolg des Buches veränderte Leshems Leben. Er gab seinen Posten als Geschäftsführer des privaten TV-Senders Channel Two auf und begann mit der Arbeit an seinem zweiten Roman, der im Land des politischen Erzfeindes Iran spielt. Der geheime Basar ist im März auf Deutsch erschienen.
Das Buch spielt in Teheran im Jahr 2008. Im Wohnhaus einer alternden Sängerin leben ein Student vom Land, ein homosexueller Beamter und eine alte Frau, die nach der islamischen Revolution im Jahre 1979 aus der Provinz in die Hauptstadt floh, weil sie angeblich als Richterin entlassen wurde. Keiner glaubt ihr diese Geschichte, doch niemand mag ihre Integrität offen infrage stellen.
Abgesehen von den mitleidlosen Schergen des Regimes gibt es in diesem Roman niemanden, der denunziert wird – nicht einmal der alte Schulfreund des Studenten, der plötzlich den Mullahs folgt und damit zu einer potenziellen Bedrohung wird. Pointiert setzt Leshem die Alters- und Erfahrungsunterschiede seiner Protagonisten, ihre Temperamente, ihre Heimlichkeiten, ihre Furcht vor den totalitären Revolutionswächtern und ihren überschäumenden Lebenshunger in Szene.
facebook Seinen Roman über die Teheraner Subkultur, ihre Schlupflöcher und Überlebensstrategien hat Leshem nicht alleine geschrieben. Darauf legt er Wert. Über Facebook suchte der Autor Freunde, die keine sein dürfen, weil die israelfeindliche Rhetorik und Politik ihres Landes dies verbietet. Er startete Anfragen bei hundert Iranern, und erhielt binnen eines Tages von jedem Einzelnen eine Antwort. Sie schrieben Briefe, schickten Musik, stellten viele Fragen.
Mit vier dieser Facebook-Freunde chattete der Schriftsteller zwei Jahre lang jede Nacht und entwickelte mit ihnen gemeinsam das Handlungsgerüst von Der geheime Basar. Nach Abschluss des Manuskriptes hat Leshem seine iranischen Freunde heimlich in einem Drittland getroffen. Der Nahe Osten, davon ist der Schriftsteller überzeugt, sähe anders aus, wenn jeder Israeli drei iranische Freunde im Netz hätte und beide Seiten sich schilderten, wie sie mit den jeweiligen Bedrohungen des Alltags seelisch und praktisch klarkämen.
parallelen Was den 35-Jährigen ärgert, ist, dass israelische Kritiker in seinem Buch nur den Versuch sahen, literarisch eine Lücke zu schließen – es gab zuvor keine Beschreibungen der subkulturellen Szene in Teheran. Natürlich sei er regelrecht besessen gewesen davon, den Alltag im Iran möglichst genau zu schildern. Aber es sei ihm die ganze Zeit auch darum gegangen, zu zeigen, wie einfach es ist, sich an alles zu gewöhnen. Denn Ron Leshem geht es auch um Parallelen zwischen Israel und dem Iran, wie er sie sieht.
Beim Schreiben des Romans, sagt er, während wir auf einer Parkbank in Givatajim sitzen, habe er immerzu daran gedacht, dass auch in seinem Land die Demokratie gefährdet sei. Die weltlich eingestellte, liberale israelische Gesellschaft wolle einfach nicht zur Kenntnis nehmen, dass man in zwanzig Jahren vielleicht selber in einem Gottesstaat leben könne, dass eines Tages liberale Juden und sexuelle Minderheiten durch die Straßen getrieben werden könnten.
Bei allem Pessimismus bleibt Ron Leshem fähig zur Selbstironie. Gefragt, welcher Figur aus seinem neuen Roman er sich verwandt fühle, lacht er: Es sei die alternde Sängerin, die seit der islamischen Revolution nicht mehr auftreten darf, sich in ihrer Wohnung einschließt und hofft, dass die Menschen sich an sie erinnern.
Ron Leshem: »Der geheime Basar«. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Rowohlt Berlin, 2011, 448 S. 22,85 €