Ralph Giordano

»Lieber Ralph, wir vermissen dich«

Am 20. März wäre der Schriftsteller 100 Jahre alt geworden. Unser Autor Marko Martin erinnert sich an seinen Freund

von Marko Martin  16.03.2023 08:57 Uhr

Unvergessen: Ralph Giordano Foto: Uwe Steinert

Am 20. März wäre der Schriftsteller 100 Jahre alt geworden. Unser Autor Marko Martin erinnert sich an seinen Freund

von Marko Martin  16.03.2023 08:57 Uhr

So manche Gedenk-Routine ist geradezu entwürdigend. Im Fall von Ralph Giordano, der am 20. März 100 Jahre alt geworden wäre, hatte sie bereits bei seinem Tod 2014 eingesetzt. Der damals 91-jährige Schriftsteller, Publizist und Dokumentarfilmer, der den Holocaust überlebt hatte und bis zuletzt auf unvergleichliche Weise die Debattenkultur unseres Landes bereicherte, sei, so war zu hören, »ein unermüdlicher Mahner gegen rechts« gewesen. Erwartbare Satzbausteine für imaginäre Sockel anstatt Genauigkeit und Empathie.

Zum huschig dahin geschriebenen Lob gab es freilich auch dies: »Am Ende seines Lebens war er manchmal auch ein Brandstifter«, rufmörderisch dahin geplappert von der politisch hyperkorrekten damaligen 3sat-Kulturzeit-Moderatorin Tina Mendelsohn, geborene Gertrud Bettina Bausmann.

zweite schuld Gleichzeitig reklamierten konservative Islam-Kritiker, man habe mit Ralph Giordano »einen der unseren« verloren. Jahre und Jahrzehnte zuvor hatte diese »abendländische« Klientel noch den Autor der »Zweiten Schuld«, jener beklemmend präzisen Studie über den großen bundesdeutschen Nachkriegsfrieden mit den NS-Schlächtern, als »Nestbeschmutzer« geschmäht, ganz zu schweigen von den unzähligen Hassbriefen und Todesdrohungen, die er als jüdischer Intellektueller von Alt- und Neonazis erhalten hatte.

Er argumentierte unablässig und mit großer Verve.

Ralph Giordano aber hatte es nie beim bloßen »Mahnen« belassen. Ohne seine unermüdliche publizistische Vorarbeit wäre es wohl kaum zur institutionellen Aufarbeitung der braunen Vergangenheit in Justizministerium und Auswärtigem Amt gekommen, während sein Buch Die Traditionslüge sich als unverzichtbar erwies in der Debatte über dubiose »Traditionsbestände« der Bundeswehr.

Ebenso konkret und detailliert recherchiert waren dann in seinen späten Jahren die Einsprüche gegen die Dominanz- und Unterwanderungsstrategien des politischen Islam: Da sprach und argumentierte ein antitotalitärer Linker, ein Agnostiker und demokratischer Laizist, der Zeit seines Lebens rebelliert hatte gegen jegliche Formen der Repression und Unterwerfung.

versteck Als einer, der zusammen mit seiner in einem Versteck hausenden Familie das Überleben in wortwörtlich letzter Minute dem Eintreffen britischer Panzer am 4. Mai 1945 in Hamburg-Alsterdorf verdankte, konnte und wollte Ralph Giordano auch kein Pazifist sein. Nicht zufällig stand er in den 90er-Jahren mit Wolf Biermann, Dany Cohn-Bendit und André Glucksmann auf Seiten derer, die ein militärisches Eingreifen des Westens forderten, um den tödlich bedrohten bosnischen Muslimen beizustehen.

Gleichzeitig – unter anderem in einem damals Furore machenden Offenen Brief an Kanzler Kohl – wurde er nicht müde, die Ignoranz der Bundesregierung gegenüber den rechtsextremen Mordtaten in Solingen und Mölln anzuklagen.

Überdies war es nicht zuletzt die moralische Autorität Ralph Giordanos, die eine Aufarbeitung des DDR-Unrechts mit in die Wege leitete. Hatte er nicht bereits im Mauerbaujahr 1961 in seinem Buch Die Partei hat immer recht mit eigenen Selbsttäuschungen in Sachen Kommunismus abgerechnet?

Bürgerrechtler Nun, als enger Freund von Bürgerrechtlern wie Freya Klier und Jürgen Fuchs, argumentierte Ralph Giordano unablässig und in großer Verve gegen all jene Geschichtsverdreher von links, die mit Verweis auf die NS-Verbrechen den SED-Staat zu relativieren trachteten. Während er im Jahrzehnt zuvor während des »Historikerstreits« mit der gleichen Schärfe Ernst Noltes infamer Umdeutung von Auschwitz in eine »asiatische Tat« entgegengetreten war.

Und natürlich das Engagement für Israel, das für den 1923 in Hamburg als Sohn einer jüdischen Mutter und eines italienischen Vaters Geborenen weder voraussetzungslos war noch kritikfrei.

Immer wieder erinnerte Ralph Giordano daran, dass seine innere Übereinstimmung mit jenem Land, dem er 1991 das bis heute eminent lesenswerte Buch Israel, um Himmels willen, Israel (vielleicht sein schönstes) gewidmet hatte, an Werte und Realitäten gebunden war: Stark und wehrbereit solle Eretz sein, um den Judenhassern in aller Welt, den alten und den neuen, etwas entgegenzusetzen – und gleichzeitig im Inneren liberal und nach Gerechtigkeit strebend, mit reflektierter Machtkritik ganz im Sinne jener biblischen Propheten, die auch den Wahn ihrer eigenen Könige geißelten. Wäre dem irgendwann nicht mehr so, wurde Ralph Giordano nicht müde zu sagen und zu schreiben, würde auch diese Liebe in Gefahr geraten, irgendwann zu erlöschen.

treue Wie solche Treue und ethische Strenge kometenfern war vom Hochfahrenden altlinker Selbstgerechtigkeit – es zeigten nicht nur Ralph Giordanos Talkshow-Streitgespräche mit dem herrisch-unbelehrbaren Grünen-Mitbegründer Hans-Christian Ströbele, der vor Kurzem gestorben ist.

Ein paar Tage vor seinem Tod sprachen wir noch über Putin.

Nicht zuletzt waren es Giordanos Bücher und Fernsehdokumentationen, die ihm Glaubwürdigkeit verliehen. Da er doch tatsächlich der Roman Bertini aus der autobiografischen und später auch verfilmten Familiensaga war. Da er für den WDR nahezu die ganze Welt bereist hatte, schon 1966 (!) in Heia Safari auf die deutschen Kolonialverbrechen aufmerksam gemacht hatte und in seinen literarischen Reportagen die Konflikte in Irland ebenso eindringlich zu schildern wusste wie masurische Landschaften oder Sizilien, die Heimat seines Großvaters väterlicherseits.

Telefon Ralph Giordano war mein ältester Freund. Keine Auslandsreise und keine Buchpublikation, vor und nach der wir nicht miteinander telefoniert hätten. Und kein selbstreferentieller »Mahner« sprach da, sondern einer, der sich noch im hohen Alter eine intellektuelle Weltneugier bewahrt hatte, seine Fähigkeit zum klugen Rat geben, Nachfragen und Mitempfinden. Ein ganz und gar authentisches Gutsein war das, jenseits lediglich gutmenschlicher Plattitüden.

Ein paar Tage vor seinem Tod sprachen wir tatsächlich noch über Putin, die neue, unterschätzte Gefahr … Inzwischen sind – in Hanau und Halle, in der überfallenen Ukraine, mit der AfD und Wagenknecht-Höckescher-Querfront – neue Scheußlichkeiten geschehen. Unschwer vorstellbar, welche Position Ralph Giordano bezogen hätte.

Da uns doch, gegen die Schönredner und Verantwortungs-Verwischer, als punktgenaues Antidot zumindest diese Definition bleibt, glasklar wie alles, was er geschrieben hat: »Wider jene Internationale der Einäugigen, die in einem Teil der Welt das bekämpft, was sie in einem anderen Teil der Welt rechtfertigt.«

Lieber Ralph, wir vermissen dich noch immer.

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