Venedig, die Mutter aller Filmfestivals, in Italien »La Mostra« genannt, war für israelische und jüdische Filme in den vergangenen Jahren ein gutes Pflaster. 2009 gewann Samuel Maoz’ autobiografisch geprägtes Kriegsdrama Lebanon den Goldenen Löwen, den Hauptpreis im Wettbewerb. Vergangenes Jahr wurde in der Sektion »Venice Days« Yuval Adlers Thriller Bethlehem über einen Shin-Beth-Agenten und seinen palästinensischen Informanten als bester Film ausgezeichnet.
Auch bei der in dieser Woche beginnenden 71. Ausgabe des ältesten Filmfestivals der Welt spielen das israelische Kino und Arbeiten von jüdischen Filmemachern aus aller Welt wieder eine Rolle. Im Wettbewerb kämpft ausnahmsweise ein Dokumentarfilm mit um den Goldenen Löwen: The Look of Silence heißt der Beitrag von Joshua Oppenheimer.
Dokumentarfilm Der 39-jährige Amerikaner, der auch dänische Wurzeln hat und derzeit in Kopenhagen lebt, wurde im vergangenen Jahr mit The Act of Killing berühmt, einem gefeierten und preisgekrönten, aber keineswegs unumstrittenen Dokumentarfilm über die schwierige Bewältigung von Mord und Terror bei dem antikommunistischen Massaker in Indonesien 1965/66, dem Hunderttausende Menschen zum Opfer fielen.
Joshua Oppenheimer ließ die Mörder ihre Taten auf einer Theaterbühne nachspielen und dadurch eine schockierende Katharsis durchleben. Sein neuer Film setzt diese Arbeit fort und beschäftigt sich speziell mit jener Epoche des Militärputsches seit 1965, die schon 1982 durch Peter Weirs großartige Produktion Ein Jahr in der Hölle zu trauriger Berühmtheit kam.
israel Der einzige israelische Film im diesjährigen offiziellen Programm ist Mita Tova (englischer Titel The Farewell Party – Die Abschiedsfeier) von Sharon Maymon und Tal Granit bei Venice Days. Die beiden Filmemacher greifen das ebenso problematische wie facettenreiche Themenpaar Freitod und Euthanasie auf. Sie erzählen mit einer beachtlichen Portion Humor und Heiterkeit von einem Freundeskreis alter Leute, die in wohlhabenden bürgerlichen Verhältnissen in einem Seniorenwohnheim leben.
Einer von ihnen hat in seiner Freizeit eine Maschine konstruiert, die auf perfekte Weise einen sanften Tod ermöglicht. Zunächst freuen sich alle Bewohner über die theoretische Möglichkeit, den Zeitpunkt ihres Todes frei wählen zu können. Doch als eine Frau aus der Gruppe sich tatsächlich anschickt, die Maschine zu benutzen, reagiert nicht nur ihr Ehemann abweisend. Mita Tova ist eine philosophische Komödie, die am Ende vor allem das Leben, aber auch die Freiheit feiert.
Bei der Internationalen Woche der Filmkritik ist Suha Arrafs Villa Touma zu sehen. Erzählt wird von drei unverheirateten arabisch-christlichen Schwestern aus Ramallah. Sie schließen sich in ihrem Haus vor den politischen Verhältnissen ein und suchen doch alle einen Mann. Die Kandidaten kommen aus der jüdischen und der islamischen Community. Diese israelisch-palästinensische Koproduktion ist eine melancholische Tragikomödie mit Tiefgang, aber weit weniger Tschechow-Anspielungen, als man bei diesem Plot vermuten würde.
amerika Zwei alte Bekannte, gleichermaßen dem Aufbruch New Hollywoods verbunden wie den besten Traditionen des klassischen US-Kinos, sind Barry Levinson (72) und Peter Bogdanovich (75). Beide zeigen in Venedig ihre neuen Filme im Hauptwettbewerb außer Konkurrenz. Bogdanovichs She’s funny that way wurde von den New Yorker In-Regisseuren Noah Baumbach und Wes Anderson produziert, die Hauptrolle spielt Andersons Lieblingsstar Owen Wilson. Er verkörpert einen reichen Broadway-Produzenten, der sich in ein Escort-Girl (Imogen Poots) verliebt.
Levinsons The Humbling mit Al Pacino in der Hauptrolle ist die filmische Adaption des vorletzten Romans von Philip Roth. Die Demütigung, so der deutsche Titel des Buchs, handelt von einem alternden Schauspieler, der plötzlich seine künstlerischen Fähigkeiten einbüßt, aber durch die Beziehung mit einer fast 30 Jahre jüngeren Frau einen dritten Frühling erlebt.
Weiß der Himmel – so kann man den Titel Heaven knows what des neuen Films der New Yorker Hipster-Zwillingsbrüder Ben und Joshua Safdie übersetzen. Mit ihren Independent-Komödien für die Intelligenzia unter den jüngeren Kinogängern bewegten sie sich bislang eindeutig in den Fußstapfen von Woody Allen. Diesmal geht es um eine ernsthaftere Geschichte. Nach den Memoiren eines New Yorker Straßenkids erzählt der Film von der Liebe eines obdachlosen Paares im Schatten der Drogensucht.
Und schließlich Words with Gods, ein Episodenfilm, zu dem der in Venedig fast schon unvermeidliche Amos Gitai (neun Filme in elf Jahren liefen hier) einen Beitrag geliefert hat. Er befindet sich da in guter Gesellschaft mit unter anderem Mira Nair und Emir Kusturica. Wie der Titel vielleicht ahnen lässt, behandelt der Film aus diversen kulturellen wie ethnischen Perspektiven die politische Instrumentalisierung der Religion – und deren Eigenständigkeit gegen politische und andere Indienstnahmen.