Frau Grjasnowa, kennen Sie die Dating-App Tinder?
Ja, aber ich habe sie noch nie selbst benutzt.
Inwiefern verändern Tinder oder iLove unsere Liebesbeziehungen?
Sie haben großen Einfluss. Viele Menschen in meiner Generation lernen ihre Partner nur noch über solche Internetseiten kennen. Dadurch verändern sich unsere Beziehungen, unser Kennenlernen – und der Zugang zum unverbindlichen Sex.
Ihr neues Buch »Die juristische Unschärfe einer Ehe« erzählt eine rasante Dreiecksgeschichte von Sex, Liebe und Täuschung, in der alles möglich zu sein scheint. Wodurch unterscheiden sich heutige Ehen von denen unserer Großeltern-Generation?
Die Ehen meiner Großeltern waren sehr modern, untypisch für die Zeit – aber sie waren tatsächlich auch gleichberechtigt. Ein Paar meiner Großeltern zog es zum Beispiel trotz der Ehe vor, nicht zusammenzuleben. Aber natürlich gibt es heute extreme Unterschiede im Vergleich zu früher. Man ist heute, zumindest in Europa und Nordamerika, doch viel freier. Eine Ehe erscheint nicht mehr zwingend notwendig.
In Ihrem Roman führen die beiden Hauptfiguren Leyla und Altay eine Zweckehe. Nach der Lektüre fragt man sich: An welchem Punkt endet eigentlich die Liebesheirat – und wo beginnt die Zweckehe?
Das ist natürlich die Gretchenfrage. Ich weiß es nicht und wahrscheinlich weiß es keiner so genau. Aber ich denke, dass die Übergänge in jedem Fall fließend sind, sodass es wahrscheinlich noch nicht mal die Beteiligten selbst genau bestimmen können. So oder so kommt es darauf an, was man sich von einer Ehe erwartet. Wenn die Erwartungen sich tatsächlich decken, wieso nicht?
»Leidenschaftliche Liebe und Ehe ist zweierlei«, befand Hegel. Wie denken Sie über diesen Satz?
Dass er noch immer zuweilen zutrifft. Es gibt glücklicherweise auch Fälle, in denen Leidenschaft und Ehe zusammengehen. Liebe und Leidenschaft sind kein Gegensatz. Zum Glück.
»Die juristische Unschärfe einer Ehe« erzählt auch viel von Eifersucht. Sind Sie eifersüchtig?
Ehrlich gesagt, ja.
Glauben Sie wie viele Ihrer Figuren an die ewige Liebe?
Meine Großeltern haben mir diese vorgelebt.
Heißt das ja oder nein?
Eher ja – wobei sowohl die Liebe als auch jede Beziehung sich im Laufe der Zeit verändert.
Mit der Schriftstellerin sprach Philipp Peyman Engel.
–
Olga Grjasnowa wurde 1984 in Aserbaidschan geboren und wuchs im Kaukasus auf. 1996 übersiedelte die russisch-jüdische Schriftstellerin mit ihrer Familie nach Deutschland. Nach längeren Auslandsaufenthalten in Israel, Polen und Russland studierte sie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2011 erhielt sie das Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung. Für ihren viel beachteten Debütroman »Der Russe ist einer, der Birken liebt« wurde sie zuletzt 2012 mit dem Klaus-Michael Kühne-Preis und Anna Seghers-Preis ausgezeichnet. Olga Grjasnowa lebt in Berlin.