An diesem Donnerstag wurden die Oscar-Shortlists veröffentlicht. In der »Bester fremdsprachiger Film« hätte eine Produktion »made in Israel« unter den Anwärtern auf einen Academy Award sein können: Sheva Brachot oder Seven Blessings von Ayelet Menahemi um eine marokkanisch-jüdische Familie und ihre dunklen Geheimnisse ist eine abgründige Komödie, bei der Lachen und Weinen direkt ineinander übergehen. Kein Wohlfühlfilm, aber oscartauglicher Stoff – doch in Hollywood sah man das offenbar anders.
Sheva Brachot lief im September in Israel an, wurde mit zehn Ophirs (den israelischen Oscars) ausgezeichnet und hatte am vergangenen Sonntagabend eine Deutschlandpremiere – bei einer einmaligen Solidaritätsaufführung des Filmfestivals »Seret« und der Kulturtage der Jüdischen Gemeinde zu Berlin im Cinestar der Kulturbrauerei. Der gesamte Erlös fließt in die Oscar-Kampagne für Sheva Brachot. Das ist nötig, denn wegen des Gaza-Krieges wurden in Israel sämtliche Mittel für die Kulturförderung gestrichen, was natürlich auch die Filmförderung betrifft.
Es war ein besonderer Abend in mehrerlei Hinsicht. Vor dem Kino stand Polizei. Der Saal füllte sich (mit einer Viertelstunde israelischer Verspätung) fast bis auf den letzten Platz. Im Publikum saßen auch Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor, und seine Frau Hadas. Auf der Bühne begrüßten Odelia Haroush von Seret und Danna Stern, die in Berlin lebende Filmproduzentin und Global Content Executive, die Gäste. Letztere kündigte an, in Seven Blessings gehe es um »Familie, Liebe, Opfer und vor allem um Vergebung«. Danach hieß es: Film ab im Cinestar!
Die 94. Oscar-Verleihung findet am 10. März 2024 statt. Sheva Brachot steht nicht auf der Shortlist– dafür aber in der Kategorie bester animierter Kurzfilm Letter To A Pig der Israelin Tal Kantor.
Im Mittelpunkt von Sheva Brachot steht die 40-jährige Marie, gespielt von Raymonde Amsallem, die (wunderschön und ausdrucksstark) den Film trägt. Amsallem ist neben Ayelet Menahemi und Eleanor Sela auch Co-Autorin des Drehbuchs, das sich um ein hochemotionales Thema dreht: Marie kehrt für ihre Hochzeit aus Frankreich nach Israel zurück. Die Probleme beginnen schon bei der Chuppa: Wer soll die Braut unter den Traubaldachin geleiten?
Infrage kommen zwei Frauen, Maries leibliche Mutter Hana (genial: Tikva Dayan), aber auch die Tante Gracia (kongenial: Rivka Bahar), bei der das Mädchen nach ihrem zweiten Geburtstag aufgewachsen ist. Denn weil Gracias Ehe kinderlos blieb, »lieh« Hana ihre kleine Tochter an die Schwester aus – eine Tradition in manchen sefardischen Familien, damit »unfruchtbare« Frauen von ihren Ehemännern nicht verlassen werden.
Aber was macht es mit einem Kind, wenn es von den Eltern weggegeben und als Mittel benutzt wird, um Familienbeziehungen zu kitten? Bei den traditionellen Familienessen, den »Sheva Brachot« nach der Hochzeit, kommen riesige Mahlzeiten, aber auch alle verdrängten Konflikte auf den Tisch – oder (wie bei Marie) das Essen wieder hoch. Die messerscharfen Dialoge wirken spontan und voller Situationskomik, sind aber komponiert bis ins letzte Detail. Wie schmerzhaft das Thema »verliehene Tochter« bis heute sein kann, zeigten die Reaktionen zahlreicher Zuschauerinnen nach dem israelischen Filmstart, die sich in Marie wiedererkannten.
Die 94. Oscar-Verleihung findet am 10. März 2024 statt. Sheva Brachot steht nicht auf der Shortlist– dafür aber in der Kategorie bester animierter Kurzfilm Letter To A Pig der Israelin Tal Kantor. Der 17 Minuten lange Film wurde im Juni 2023 bei der Eröffnung des Jewish Film Festival Berlin Brandenburg gezeigt.