Es ist leichter, über die politische Kontroverse um den dritten Roman der israelischen Schriftstellerin Dorit Rabinyan zu schreiben als über das Buch selbst. Unter dem hebräischen Titel Gader Haya (»Ein lebender Zaun«) erschien 2014 in Israel die Geschichte einer »Liebe mit Deadline« zwischen einer Israelin und einem Palästinenser, die sich in New York abspielt. Auf Englisch wurde das Buch als Borderlife bekannt. Am heutigen Donnerstag erscheint es nun in einer Übersetzung von Helene Seidler bei Kiepenheuer & Witsch als Wir sehen uns am Meer.
Der Roman erzählt eine simple Story, deren Ende von Anfang an feststeht: Die israelische Übersetzerin Liat und der palästinensische Künstler Chilmi beginnen im New Yorker Winter 2002 eine leidenschaftliche Affäre, die bis zum 20. Mai dauern wird – bis Liats Visum abläuft und sie wieder nach Israel reist, während Chilmi ins Westjordanland zurückkehrt. Die patriotische Liat hält die Affäre geheim und wechselt in der New Yorker U-Bahn sogar den Waggon, wenn sie mit Chilmi Bekannten aus Israel begegnet – voller Angst, ihre Eltern könnten von der Affäre mit dem arabischen Mann erfahren.
dramatisch Zurück in der Heimat kommt es nur zu einer Reihe von Telefonaten, aber nie zu einem Treffen. In der deutschen Ausgabe ist das Buch einem Hasan Hourani (1973–2003) gewidmet; Rabinyan selbst unterhielt, wie sie in Interviews sagte, in New York eine kurze Beziehung zu einem Palästinenser. Die Romanfigur Chilmi ertrinkt zum Schluss am Strand von Jaffo – dramatischer Schlusspunkt einer aussichtslosen Beziehung. Der deutsche Titel Wir treffen uns am Meer muss Illusion bleiben.
Gader Haya ist Rabinyans dritter Roman nach einer längeren Pause: Ihre ersten Romane Die Mandelbaumgasse und Unsere Hochzeiten waren 1999 und 2000 auf Deutsch erschienen. Ein erfolgreiches Comeback: Gader Haya wurde unter anderem von Amos Oz hochgelobt und in Israel mit dem renommierten Bernstein-Preis ausgezeichnet. Dennoch überzeugt Rabinyans emotionale, aber auch blumige und adjektivlastige Sprache nicht durchgehend; manche Stellen wirken aufgesetzt.
Doch an anderen Stellen sind Sensibilität und Authentizität zu spüren, die den Leser dafür entschädigen. Klar wird: Auch in einem »neutralen Territorium« können politische und persönliche Begrenztheiten nur teilweise aufgehoben werden. Dann aber umso intensiver, etwa, wenn Chilmi die kranke Liat im eisigen New York hingebungsvoll pflegt.
Kontroverse Eigentlich alles harmlos. Dennoch hat der Roman im vergangenen Winter das israelische Erziehungsministerium auf den Plan gerufen: Das Werk wurde trotz einer anderslautenden Empfehlung eines internen Expertenkomitees nicht in eine Lektüreliste für säkulare Oberschulen aufgenommen. Die Ministerialbeamtin Dalia Fenig berief sich darauf, der Roman ermutige zu Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden, welche die »separate Identität« bedrohten, und fördere die Assimilation. Daher sei er für Schüler ungeeignet.
Außerdem befand Erziehungsminister Naftali Bennett, das Buch würdige israelische Soldaten herab. Die Kritik bezog sich offenbar auf eine Passage, in der Chilmi davon berichtet, wie er als 15-Jähriger während der ersten Intifada wegen propalästinensischer Graffitis in einem israelischen Gefängnis landete, Zeuge von Kollektivstrafen wurde und von Soldaten gezwungen wurde, hebräische Lieder zu singen. Na und, möchte man sagen: War das nicht alles längst bekannt?
Dorit Rabinyan hat der Skandal nicht geschadet. Die Kontroverse um die Schulbuchlektüre war eine optimale Werbung für ihren Roman, nach der Entscheidung des Erziehungsministeriums mussten zusätzliche Auflagen gedruckt werden. Der interne Streit im Ministerium ging unterdessen weiter: Zwei Mitglieder der Kommission, die Rabinyans Werk ursprünglich für Oberschulen empfohlen hatten, legten im Juli aus Protest ihr Amt nieder.
Eine der beiden Pädagoginnen, Sigal Naor-Perelman, sagte, die Abwertung von Rabinyans Buch durch die politische Ebene im Ministerium sei »Rassismus um seiner selbst willen«. Das Ministerium teilte daraufhin mit, man bedauere den Rückzug der langjährigen Mitarbeiterinnen und werde in Kürze neue Kommissionsmitglieder ernennen.
Dorit Rabinyan: »Wir sehen uns am Meer«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016, 384 S., 19,99 €