Vom Jüdischen Weltkongress (WJC) kommt harsche Kritik an der Kulturstaatsministerin des Bundes, Claudia Roth (Bündnis90/Die Grünen). Grund dafür ist die Berlinale, das vom Bund mitgeförderte Filmfestival. WJC-Geschäftsführer Maram Stern schrieb Roth jetzt einen Brief, der der Jüdischen Allgemeinen vorliegt und in dem er Missmut über Roths Haltung ausdrückt.
Zuerst hatte »Die Zeit« über den Brief berichtet. Er verstehe nicht, so Maram Stern, wie Roth ihr Amt als Kulturstaatsministerin verstehe. »Glauben Sie, Ihre Aufgabe bestünde darin, großzügig Steuergelder für Filmförderung, Literaturfestivals, Museen und Kunstausstellungen zu verteilen? Nichts gegen Kulturförderung, aber die Verteilung dieser Mittel könnte bequem durch eine nachgeordnete Behörde erfolgen, dafür braucht man keine Spitzenpolitikerin. Eine solche braucht es nur, wenn man nicht nur Kulturförderung, sondern tatsächlich Kulturpolitik betreiben möchte.«
Dazu gehöre, sich mit unangenehmen und strittigen Fragen zu beschäftigen, so auch mit der Frage von Antisemitismus im Kulturbetrieb. Eine Antisemitin, so Stern weiter, sei Roth zwar nicht, und er würde sie »bei aller Frustration über ihre Politik« gegen solche Vorwürfe immer in Schutz nehmen. Auch hält er Roth zugute, dass sie durchaus »den Antisemitismus anderer in der Kulturszene für ein gravierendes Problem« ansehe.
Nur eben, schrieb der WJC-Geschäftsführer, nicht für ihr eigenes. Roth habe sich bereits nach der documenta 2022 geweigert, Verantwortung zu übernehmen. Das Gleiche wiederhole sich aktuell bei der Berlinale. »Ganz so, als wären Sie nur eine ganz normale Besucherin des Festivals und nicht die zuständige Ministerin«, schreibt Stern.
Roth hatte an der abschließenden Preisverleihung der Berlinale Ende Februar teilgenommen, bei der von mehreren Künstlern auf der Bühne scharfe Kritik an Israel geübt und dem jüdischen Staat ein »Völkermord« an den Palästinensern vorgeworfen wurde.
In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« hatte Roth dies vergangene Woche ebenfalls als »bitter« und »unerträglich« kommentiert und gesagt, die »missglückte Preisverleihung« habe »die ganze Berlinale überschattet.« Bis dahin sei das renommierte Filmfestival, das auch Fördergelder aus dem Bundeshaushalt erhält, »so weit insgesamt gut« verlaufen, behauptete Roth.
»Ihr Platz ist an der Seite der Juden«
Stern sieht das anders. Die oberste Kulturpolitikerin des Bundes und andere Verantwortliche hätten schon im Vorfeld der Kasseler Kunstschau documenta vor zwei Jahren »zahlreiche Warnungen in den Wind geschlagen«, obwohl jedem hätte »klar sein müssen, dass Antisemitismus im Kulturbetrieb mehr als eine Randerscheinung ist.«
Nach dem 7. Oktober, so Maram Stern in seinem Schreiben weiter, sei die Zahl judenfeindlicher Straftaten weltweit explodiert, weltweit fühlten Juden sich bedroht. »Und leider haben wir auch erlebt, dass gerade aus Künstler- und Intellektuellenkreisen die Mörder der Hamas in Schutz genommen und deren Gräueltaten als legitimen Akt des Widerstands verteidigt haben.« Stern weiter: »Und dann sind Sie, Frau Roth, erstaunt, dass auf der Bühne der Berlinale vom israelischen ›Völkermord‹ und vom ›Abschlachten der Palästinenser‹ geschwafelt wird? Lesen Sie eigentlich keine Zeitung?«
Zwar sei es legitim, die israelische Kriegsführung zu hinterfragen. Wer aber von einem »Genozid« rede, sei ist an einer sachlichen Diskussion nicht interessiert, sondern nur an der Verteuflung Israels. »Dafür darf es keine öffentliche und staatlich finanzierte Bühne geben, schon gar nicht in Deutschland«, so der deutsche geschäftsführende Vizepräsident des Weltkongresses.
Er erwarte von ihr, schrieb Stern an Roth, »die volle Rückendeckung der deutschen Politik und keine Halbherzigkeiten.« Seinen Brief schloss er mit den Worten: »Wenn Kunst antisemitisch wird, wenn Künstler sich antisemitisch äußern, dann, Frau Roth, ist Ihr Platz nicht an der Seite der Künstler, sondern an der der Juden.«
Nach der Berlinale hatten auch andere jüdische Organisationen Roth und andere Verantwortliche kritisiert. Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) forderte Kulturschaffende zu einer klaren Linie gegen Antisemitismus und israelfeindliche Positionen auf. Wenn in Berlin Ressentiments gegen Juden und den Staat Israel geschürt würden, sei das nicht akzeptabel.
Der ORD-Vorstand erklärte: »Eines sollte klar sein: Die Verbreitung von Hass auf Juden und Israel ist nicht durch die Freiheit der Kunst gedeckt, sondern eine Straftat. Es ist offensichtlich geworden, dass die Selbstregulierung in der Kunst- und Kulturszene nicht mehr funktioniert und etwa bei Förderrichtlinien im Kulturbereich dringend nachgearbeitet werden muss, um hier klare Grenzen gegen Antisemitismus zu setzen.«