Kino

Letzte Ausfahrt Weißensee

Kirschblüte vor dem Friedhof: Szene aus dem Film Foto: verleih

Eine lebensfrohe Dokumentation über einen Friedhof zu drehen – das schafft nicht jeder Regisseur. Der 36-jährigen Berlinerin Britta Wauer ist es gelungen: Mit Im Himmel, unter der Erde – der jüdische Friedhof Weißensee hat sie einen kurzweiligen und gleichzeitig berührenden Film produziert, der nicht Tod und Trauer, sondern das Leben in den Mittelpunkt stellt.

»Ich habe versucht, nicht nur tragische Geschichten zu finden, sondern auch schöne – das soll die Möglichkeit geben, sich ein bisschen heiterer oder unbefangener mit dem Thema Friedhof und Tod zu befassen«, sagt Wauer, die für ihre Filme Heldentod – Der Tunnel und die Lüge und Die Rapoports bereits mit dem Deutschen Fernsehpreis beziehungsweise mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Ende Februar erhielt sie für Im Himmel, unter der Erde den Panorama-Publikumspreis der Berlinale 2011 im Bereich Dokumentation.

liebesgeschichte Mit 115.000 Grabstellen ist Weißensee der größte noch benutzte jüdische Friedhof Europas. Im Gegensatz zu anderen jüdischen Bestattungsstellen wurde er von den Nazis nicht zerstört – der Zeitzeuge Harry Kindermann (heute 83) führt das in dem Film darauf zurück, dass sie sich vor einem Golem gefürchtet hätten, der angeblich auf dem Gräberfeld umging.

Wie andere jüdische Kinder aus Berlin fand Kindermann während der NS-Zeit auf dem Friedhof Zuflucht, spielte dort unter Aufsicht eines Rabbiners Fußball. Als 15-Jähriger erlebte er auf dem Gräberfeld auch seine erste Liebe: »Sie ist, wie ich weiß, zuerst nach Litzmannstadt gekommen und von dort nach Auschwitz und ermordet worden. Ja, das war die Freundschaft. Und ansonsten gab es keine jüdischen Mädchen mehr, die man aufreißen konnte.«

Verschneite Grabsteine im Winter und junge Greifvögel in den Baumkronen im Frühling: Der Friedhof Weißensee wirkt in dem Film wie eine idyllische Totenstadt in einem verwunschenen Wald. Doch die Kamera fängt auch den Alltag auf dem Gräberfeld ein: Schüler eines Kunst-Leistungskurses pausen Grabsteine ab und entwerfen danach im Klassenzimmer eigene Inschriften, Friedhofsinspektor Ron Kohls beschwert sich über die Beerdigungen als »Störfaktor« für seine Arbeit, Sargtischler Lev Tabachnik steuert seine Lebensphilosophie bei, und Polizist Reinhard Männe, der den Friedhof bewacht, spricht über seinen Zugang zur jüdischen Beerdigungskultur.

William Wolf, der 1927 in Berlin geborene Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern, erklärt mit koboldartigem Gesichtsausdruck Friedhofsbräuche und bekennt, ihn persönlich interessiere bei einer Beerdigung nur eines: den Sarg so schnell wie möglich unter die Erde zu bringen.

weltkulturerbe Die Dokumentation erzählt ausführlich auch die Geschichte von Weißensee während der DDR-Zeit. Schon damals stand der Friedhof unter Denkmalschutz, wurde aber sträflich vernachlässigt. Die Musik von Karim Sebastian Elias (Walzer im Klesmer-Stil) ist manchmal etwas dick aufgetragen, aber schön anzuhören – alles in allem vergehen die 90 Minuten schnell. Ab dieser Woche ist der Film in mehreren großen Städten in Programmkinos zu sehen.

Gezeigt wurde er auch bei einer Tagung des internationalen Rates für Denkmalpflege ICOMOS und des Berliner Landesdenkmalamtes über jüdische Friedhöfe in Europa, die vergangenen Sonntagabend im Berliner Centrum Judaicum begann. Die Konferenz soll die Nominierung des Friedhofs für das Weltkulturerbe der UNESCO vorbereiten. Das Land Berlin will das Gräberfeld voraussichtlich im kommenden Jahr für die Vorschlagsliste für Welterbe-Nominierungen anmelden.

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