In Gelsenkirchen sollte im kommenden September die Lesung »Nie schweigen« zu Ehren der 2021 verstorbenen Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano stattfinden. Doch die verantwortliche Agentur Lamalo lud Philipp Burger ein, den Frontsänger der umstrittenen Südtiroler Rockband Frei.Wild und sorgte damit für Empörung.
Kritiker werfen dem Musiker eine rechtsextreme Gesinnung vor. Nachdem der Sänger wieder ausgeladen wurde, folgte nun die Absage der gesamten Veranstaltung. Die Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen erklärte auf Anfrage, dass sie die Absage der Bejarano-Lesung zwar bedauere, aber: »Unter den gegebenen Umständen hätte dem Sinn der Veranstaltung nicht Rechnung getragen werden können.«
GEDENKEN Am 10. Juli 2021 starb die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano im Alter von 96 Jahren. Jahrzehntelang und bis zuletzt engagierte sie sich als Zeitzeugin und gab den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus nie auf. Am 22. September sollte in einer Synagoge in Gelsenkirchen der Überlebenden und ihres Vermächtnis gedacht werden.
Zu der Lesung waren eine Reihe bedeutsamer Persönlichkeiten eingeladen, darunter der BKA-Präsident Holger Münch, die Antisemitismusbeauftragte von NRW Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Zentralratsvize Abraham Lehrer sowie der Autor und Psychologe Ahmad Mansour. Dass eine weitere Einladung an den Frei.Wild-Sänger Philipp Burger verschickt wurde, entfachte in den Sozialen Netzwerken eine hitzige Diskussion.
Via Twitter äußerten sich zahlreiche Nutzer verärgert und warfen dem Musiker vor, Songs verfasst zu haben, die nationalistische und antisemitische Bilder reproduzieren. Frei.Wild würde sich damit bewusst an ein entsprechendes Publikum richten, heißt es.
Gemeint sein dürften unter anderem Titel wie »Gutmenschen und Moralapostel.« Das Lied erschien 2012 und enthält unter anderem folgende Passage: »All die Verbrechen, all der Schmerz auf dieser Welt wurde euch so oft zuteil, ihr seid arm und meidet Geld. Komisch, dass es euch so gut geht, dass ihr selbst in Reichtum schwebt.« Zwar richten sich solche Zeilen nicht explizit an Juden, an die typischen, antisemitischen Verschwörungsideologien erinnern dürften sie aber allemal.
In den Liedern von Frei.Wild sind unzählige tendenziöse Zeilen zu finden.
In den Liedern von Frei.Wild sind unzählige weitere tendenziöse Zeilen zu finden. Zudem spielte Burger in seiner Jugend in der Skinhead-Band »Kaiserjäger.« Inzwischen beschreibt sich Burger mehreren Medienberichten zufolge zwar als Aussteiger und erklärte im Jahr 2013 gegenüber dem Spiegel: »Ja, ich hatte diese Zeit, in der ich dieses rechtsextremistische Gedankengut in mir hatte. Mit der Pubertät hat sich das in Luft aufgelöst.«
Doch auf die Frage, welche politischen Werte die Band stattdessen vertrete, antwortete der Musiker im gleichen Gespräch recht ungenau. So sei Frei.Wild »von bestimmten konservativen Werten« überzeugt.
Forderung Kurz nachdem Burgers Einladung bekannt wurde, äußerte sich die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-BdA in einem Statement zu der Angelegenheit. Darin hieß es: »Gegen diese plumpe Vereinnahmung des Andenkens an Esther Bejarano sprechen wir uns als VVN-BdA in aller Deutlichkeit aus.« Es sei »an Dreistigkeit kaum zu übertrumpfen«, dass dieser Abend mit Burger im Namen von Bejarano stattfinde. Sie forderten die sofortige Ausladung des Musikers.
Burger wieder auszuladen, davon hielt der Journalist Sascha Hellen zunächst nichts. Als Co-Autor verfasste er zusammen mit Esther Bejarano das Buch »Nie schweigen«, das im Januar 2022 erschien und Anlass der geplanten Lesung war. Via Twitter erklärte er: »Esther Bejarano war eine Frau, die keiner Diskussion aus dem Weg gegangen ist. Entsprechend freuen wir uns auf das Gespräch, das durchaus kritisch wird. Keine Sorge.«
Eingelenkt haben letztendlich die Veranstalter selbst. Nachdem die Kritik nicht nachgelassen hatte, hieß es: »Nach reiflicher Überlegung und mit Blick auf die öffentliche Kritik, haben wir uns entschlossen, auf die Teilnahme von Philipp Burger an der Diskussion im Nachgang zur Lesung ›Nie schweigen’ in Gelsenkirchen zu verzichten.«
Nun soll die Lesung für Januar 2023 neu geplant werden, erklärte Sascha Hellen gegenüber dieser Zeitung. Dann allerdings ohne anschließende Diskussion.
Lesen Sie mehr dazu in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen.