Einspruch I
Philipp Peyman Engel: »Neues aus Kassel. Philipp Peyman Engel ärgert sich darüber, dass die documenta abermals übelsten Judenhass ausstellt«
Jüdische Allgemeine vom 28. Juli
Ich bin komplett bei Ihnen, was die Zukunft dieser sogenannten Kunstausstellung anbelangt. Was ist eigentlich mit der staatlichen Aufsicht namens Claudia Roth, die die antisemitischen Vorgänge in ihrer Zuständigkeit scheinbar von der Zuschauertribüne aus betrachtet? Wie bereits von Ihnen sehr gut dargestellt, scheinen die bisherigen Bauernopfer nichts genutzt zu haben. Ich glaube, dass in der Angelegenheit der Fisch bereits vom Kopf stinkt.
Michael Scholze (per E-Mail)
Als schlichte deutsche Staatsbürgerin bekomme ich das kalte Grausen, was uns die documenta an »freier Kunst« serviert: Wie kommt es, dass ich an Julius Streichers Werke denke, bei »People’s Justice« an Volksgerichtshof und die Schweine mir von unseren Kirchen bekannt vorkommen? Was uns das subventionierte 42 Millionen teure Spektakel (zwölf Millionen sollen durch Eintrittsgelder erwirtschaftet werden) und die hochdotierten Kunstvermittler inklusive der »völlig ahnungslosen« Politiker vorsetzen, ist schlicht und ergreifend an Frechheit und Dreistigkeit nicht zu überbieten. Durch die Kunst-Hintertür tanzen sie uns Bundesbürgern auf der Nase herum.
Ulrike Fäuster (per E-Mail)
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Documenta
Richard C. Schneider: »Der Globale Süden und die Juden. Warum die Kunstschau in Kassel auch an den Eigenheiten des postkolonialen
Denkens scheiterte«
Jüdische Allgemeine vom 21. Juli
Eine grundsätzlich negative Einstellung zum Staat Israel bis hin zu dessen Vernichtungswunsch bildet die Bandbreite des gegenwärtig meistverbreiteten Antisemitismus. Jedoch ohne die Entstehung des jüdischen Staates hätte es niemals ein neues Volk mit der Bezeichnung Palästinenser gegeben. (Bis 1948 hießen deren Vorfahren Araber und wollten auf keinen Fall »Palästinenser« genannt werden, denn so nannten sich die Juden im britischen Mandatsgebiet Palästina.) Wenn nun dieser Staat – wie es zahlreiche Muslime, Rechts- und Linksextreme wünschen – von der Landkarte verschwinden sollte, würde es keinem Araber besser gehen als heute, wahrscheinlich einigen deutlich schlechter. Wäre die Welt dann ein besserer Ort? Behaupten zumindest Antisemiten weltweit. Yehuda Bauer hat dazu einmal in Berlin gesagt, es sei tröstlich, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung (circa acht Milliarden) nicht christlich (2,3 Milliarden) plus muslimisch (1,8 Milliarden), also weder faktisch noch potenziell antisemitisch ist. Hyam Maccoby spricht von der jahrhundertelangen antijüdischen Gehirnwäsche der europäischen Bevölkerung durch die Kirche, ohne die der Holocaust unmöglich gewesen wäre. Jeschajahu Leibowitz zieht einen Vergleich zwischen Hamlet und dem Christentum: So wie jener Prinz – außer dem von Shakespeare konstruierten Ort – nichts mit dänischer Kultur und Geschichte gemeinsam hat, so existiert auch das Christentum ohne Übereinstimmung mit jüdischer Tradition und Religionslehre. »Schon die Existenz des Judentums ist also für das Christentum ein schreckliches Problem – uns dagegen geht das Christentum überhaupt nichts an. Das Schicksal des jüdischen Volkes wäre anders verlaufen, wenn die Welt nicht christlich geworden wäre, aber nicht das Schicksal des Judentums, für das das Christentum überhaupt nicht existiert.« (Gespräche über Gott und die Welt, S. 77f.) Entsteht gerade mit dem Globalen Süden ein neuer mächtiger Feind des Judentums, der die alten, den Betroffenen sehr bekannten Waffen verwendet? Hätte somit Yehuda Bauers optimistische Sicht inzwischen keine Grundlage mehr?
Itai Böing, Berlin
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Interview
Tal Leder: »›Es geht um die Freiheit Europas‹. Der Philosoph Bernard-Henri Lévy über seinen Dokumentarfilm zum Ukraine-Krieg«
Jüdische Allgemeine vom 21. Juli
Ich habe mit großem Interesse Ihren Artikel gelesen. Nachdem ich den Beitrag von Bernard-Henri Lévy im Kanal Arte in seinem eigenen Dokumentarfilm »Warum Ukraine« gesehen habe, komme ich nicht umhin, eine Diskrepanz zwischen dem von Ihnen geführten Interview mit dem allgemein geschätzten Philosophen und diesem Dokumentarfilm festzustellen. Die Fragen, die im Interview Ihrer Zeitung zur Freiheit Europas aufgeworfen werden, finden sich meines Erachtens nicht in demselben Fernsehbeitrag angemessen wieder. Selbst wenn Lévy einer der intellektuell führenden Zeitgenossen Frankreichs ist, hadere ich vor allem als Frau mit dieser Art von Testosteron beeinflusster, männlicher Selbstdarstellung vor einer Kulisse, die uns alle zutiefst erschüttert. Ich bin nicht nur irritiert über die Qualität des Interviews in der JA, sondern auch über die Selbstdarstellungssucht der Person Lévy in dieser Dokumentation. Ich wünsche mir in Zukunft eine kritischere Auseinandersetzung mit ebensolchen Personen.
Angelika Möbius (per E-Mail)
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Ausstellung
Laura Vollmers: »Literaturpapst in sieben Akten. Die Deutsche Nationalbibliothek zeigt Marcel Reich-Ranicki in seinen unterschiedlichen Rollen«
Jüdische Allgemeine vom 21. Juli
In der Ausgabe vom 21. Juli, Überschrift »Literaturpapst in sieben Akten«› wird über eine Ausstellung in der Deutschen Nationalbibliothek berichtet, die Marcel Reich-Ranicki gewidmet ist. Dabei werden ihm postum ein, zwei oder auch drei Dinge »reingehauen«. Buchstäblich und zwischen den Zeilen, das finde ich bissel »heemtücksch«, wie der Sachse sagen würde, vielleicht hat die Autorin es gar nicht einmal bemerkt – und mancher Leser auch nicht. Erst einmal wird er mit einer abgefrühstückten Fantasielosigkeit »Literaturpapst« genannt. Er selbst mochte das gar nicht. Dann wird in einem Satz sein Verhältnis zur Religion erwähnt, ohne auch auszusprechen, dass er keines hatte, jedenfalls hat er zum Beispiel in einem Gespräch mit Jörg Thadeusz, bei YouTube nachzusehen, gesagt, dass es G’tt (er hat »Gott« gesagt) nicht gibt. Auch werden immer wieder aufkommende Debatten über sein Verhältnis zu Frauen erwähnt. Eine Verbeugung an junge Leserinnen der Jüdischen Allgemeinen, in der Vermutung, dass sie per se mit einem alten weißen Mann aus zeitgeisttypischer »jetztsindwiraberdranverbohrtheit« nichts anfangen können? Er war Kind seiner Zeit, was immer das bedeuten mag. Und: Er war ein Leser, er schätzte die großen Frauengestalten der Literatur, Emma Bovary, Anna Karenina, viele andere auch, weil ja bekanntlich Lesen Ich-Erweiterung ist. Er liebte diese, mehr kann, kann frau ja nicht verlangen. Ein viel weiteres als sein »Ich« konnte man schwerlich haben. Zweimal wird das Wörtchen »aufgebracht« benutzt. Einmal für Reich-Ranicki selbst, dann für Hochhuth, der aber ist eher ganz ruhig, ich erlebte ihn einmal in der Heinrich-Heine-Buchhandlung, er teilte dem Inhaber Hans Brockmann ganz leise mit »Ich bin Rolf Hochhuth!«, weil er sich nicht erkannt glaubte. Und Reich-Ranicki: Ich habe ihn gelesen, seit er bei der FAZ tätig war. In den 70er-Jahren hielt er einen Vortrag im Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße, ich war dabei. Schwarzes Hemd, Thema war, ob es eine speziell jüdische Literatur gibt. Ja, gibt es, durch den Blick des Hinzugekommenen, den Blick von außen. Ich habe etwa 14 Bücher von ihm, inklusive der Texte des Literarischen Quartetts, komplette Fassung und kurze Fassung, habe mir bei YouTube öfters Sendungen angeschaut, aber auf die Idee, dass er »aufgebracht« gewesen sei, bin ich nicht gekommen. Man soll nicht kleinheitswahnsinnig sein, aber zum Schluss des Berichts ist zweimal das Wörtchen »letztendlich« zu lesen. Das ist schon beim ersten Mal nicht so schön. Manchmal aber gingen die Pferde mit ihm durch, das könnte man schon sagen. In der inkriminierten Sendung, die zum Weggang von Sigrid Löffler führte, kann man sehen, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen, das ging zu weit, so mit ihr umzugehen. Hoffentlich finden Sie folgenden Vergleich nicht unpassend: Ich spielte früher gern mit meinem Hund Fritz, einem Schnauzermischling› »An einem Tuch ziehen«, aber irgendwann kippte das über, und er bekam plötzlich Angst, verzog sich unters Sofa. Den richtigen Moment, damit aufzuhören, habe ich leider öfters verpasst. So ist es Ranicki in der Sendung vielleicht auch gegangen. Er hat sich übrigens immer entschuldigt in solchen Fällen, soweit ich das mitbekommen habe. Und, das ist auch eine Kunst, hat nie die Justiz bemüht und diese ihn auch nicht.
Uwe-Jens Has, Berlin
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Kunst
Eugen El: »Der Maler vom Wannsee. Vor 175 Jahren wurde der Berliner
Impressionist Max Liebermann geboren«
Jüdische Allgemeine vom 14. Juli
Dem gelungenen Artikel über diesen außergewöhnlichen Künstler Liebermann möchte ich eine Anmerkung hinzufügen. Aus der Feder von Lothar Brauner über die Biografie dieses Malers fand ich Folgendes besonders interessant. Sein erstes Bild aus der Münchener Zeit mit zwischenzeitlichem Aufenthalt in Venedig hatte zum Thema: der zwölfjährige Christus im Tempel. Ein Aufschrei im deutschen Kaiserreich, als das Gemälde auf der Internationalen Kunstausstellung in München 1879 gezeigt wurde. Alle Modelle dieses Bildes waren Christen, da jüdische nicht zur Verfügung standen. Der italienische Junge sei der »hässlichste naseweise Judenjunge«, den man sich denken kann, und die Rabbiner »ein Pack der schmierigsten Schacherjuden«. Und Adolf Rosenberg bedauerte, dass das Pasquill des Münchener »Schmutzmalers« nicht allseitig mit Entrüstung zurückgewiesen wurde. Ein Andersgläubiger hatte es gewagt, aus seiner Sicht eine Szene aus dem Leben Christi zu malen. Es gab zwar auch Anerkennung, aber Liebermann entzog für zweieinhalb Jahrzehnte das Bild der deutschen Öffentlichkeit. Es befindet sich wohl in Privatbesitz in Hamburg. Der unsägliche Judenhass aus dieser Zeit sollte im 20. Jahrhundert noch weit übertroffen werden. Und heute? Rassenhass und Antisemitismus sind in einer Art gesellschaftsfähig geworden, dass man sich die Haare raufen kann. Wir sind aber alle aufgerufen, uns mit ganzer Macht dagegen zu stemmen. Möge der Allmächtige dabei helfen.
Klaus Illgen, Bergheim
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Einspruch II
Eugen El: »Wir Ruhestörer. Eugen El stellt angesichts der documenta resigniert fest, dass Marcel Reich-Ranicki recht hatte«
Jüdische Allgemeine vom 14. Juli
Man mag die Medien kaum mehr konsultieren, denn es ist frustrierend, was hinsichtlich documenta-»Aufarbeitung« geschieht – nichts. Eugen Els »Wir Ruhestörer« ist zutiefst deprimierend, zeugt von Resignation – die wir auch an uns beobachten. Unser Beitrag beziehungsweise Leserbrief passt eigentlich zu jedem Artikel. Der Antisemitismus-Skandal der documenta 15 steht im Raum. Antisemitismus steht im Raum, mitten in der Gesellschaft. Er kommt aus der Mitte, aus der linken, progressiven Kulturszene. »Israelkritik« ist normal, ist en vogue, in den letzten Jahren en voguer denn je. Aber der alte Antisemitismus, in »Judensau«- und »Stürmer«-Manier … offenbar auch. Unfassbar, dass ein »Werk« wie »People’s Justice« seinen Platz auf der documenta finden konnte. Unfassbarer, was im Laufe des folgenden Monats geschah. Nichts. Der Antisemitismus steht und schwelt – er rührt sich nicht von der Stelle. Antisemitismus in brutalster Form – ohne jegliche Konsequenz. Man sitzt es aus. Niemand hat damit zu tun, niemand ist verantwortlich – niemand aus der Kulturszene, niemand aus der Politik, aus den documenta-Gremien erst recht niemand. Und die Mitte? Die Kulturszene? Die Bildungselite? Sie schweigt. Sie ignoriert, sie duldet, sie wartet ab. Das große Schweigen lässt einen schaudern. Was für ein Signal an die junge Generation, was für ein Signal an die Welt – ein Signal aus Deutschland, 2022.
Jürgen Unland und Rita Strauß, Berlin
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Judenhass
Rafael Seligmann:
»Da hilft nur Anstand. Von Wittenberg bis Kassel: Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Krankheitssymptom«
Jüdische Allgemeine vom 30. Juni
Rafael Seligmann wirft in seinem Artikel die Frage auf, wie man zum Antinazismus und damit zur entschiedenen Ablehnung des Antisemitismus gelangt. Er zitiert Marlene Dietrichs Antwort, die nur aus einem Wort besteht: Anstand. Diese Antwort ist jedoch zu kurz gedacht, was bereits daran zu erkennen ist, dass beispielsweise Heinrich Himmler von seiner SS-Mörderbande behauptete, sie sei während der Schoa »anständig« geblieben. Auch heutige Antisemiten würden wohl, sollte man sie danach befragen, sich selbst als anständig beschreiben. Eine zuverlässige Antwort darf also nicht von der Selbstwahrnehmung ausgehen, die – siehe oben – fehlerhaft oder verlogen sein kann. Die gesuchte Antwort beginnt bei der Wahrnehmung des anderen: Ich darf einem anderen Menschen niemals absichtlich Schaden zufügen. Die andere Frage, die Herr Seligmann stellt – wann die Antisemiten und ihre Dulder je die Auswirkungen ihres Tuns verstehen –, möchte ich so beantworten: Sie wissen genau, was sie tun. Die schlechten Folgen nehmen sie bewusst in Kauf, wenn sie diese nicht sogar beabsichtigen. Es trifft ja nicht sie selbst, und sie können sich als wirkmächtig wahrnehmen. Von den wirklichen Problemen des Lebens überfordert und zu schwach oder feige, dies zuzugeben, erfinden sie neue Probleme, an denen sie ihre Menschenfeindlichkeit ausleben. Dass solche Dinge wie der in Stein gehauene Antisemitismus in Wittenberg die Jahrhunderte und Zeitalter überdauern, um auch noch Gegenwart und Zukunft zu vergiften, ist wahrlich kein Anlass zur Hoffnung. Denn was in Wittenberg erlaubt bleibt, macht Kasseler Zustände erst möglich. Nicht, was als Nächstes kommt, ist fraglich, sondern lediglich, wann es kommt.
Martin Petersen, Schleswig
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Dokumentation
Gernot Wolfram: »Unmögliche Wiedergutmachung. Der Film ›Reckonings‹ beleuchtet die Geschichte des Luxemburger Abkommens vor 70 Jahren«
Jüdische Allgemeine vom 25. Mai
Mit großem Interesse las ich den Artikel »Unmögliche Wiedergutmachung«. Die fürchterlichen Verbrechen der Nazis an den europäischen Juden sind nicht mit Geld wiedergutzumachen. Der Begriff »Wiedergutmachung« verbietet sich von selbst. Allerdings fällt mir selbst auch kein passender Begriff ein für die Zahlungen nach dem Luxemburger Abkommen. Wenigstens ein Teil der Überlebenden konnte mit den individuellen Geldleistungen seine finanziellen Spielräume erweitern. Die Zahlungen an den jungen Staat Israel trugen sicherlich zur Stabilisierung bei. Größten Respekt habe ich vor den Überlebenden, die die Zahlungen aus der Bundesrepublik ablehnten. Adenauer hatte nicht nur in seiner engsten Umgebung alte Nazis, wie Globke und Oberländer. Um das Luxemburger Abkommen durch den Bundestag zu bringen, brauchte er die Stimmen der oppositionellen SPD, weil er sich auf seine eigenen Leute nicht verlassen konnte. Die DDR machte es sich mit der Vergangenheitsbewältigung sehr leicht. Nach Meinung der Staats- und Parteiführung kamen alle Täter aus dem Gebiet der Bundesrepublik. Von den wenigen Juden, die in Deutschland blieben, lebten fast alle in der BRD und nur wenige in der DDR. Das Luxemburger Abkommen war wichtig und richtig, auch wenn kein Geld der Welt dieses unvorstellbare Leid, das durch die Schuld der Nazis entstand, wiedergutmachen kann. Gut war, dass Vertreter des jungen Staates Israel und der jungen Bundesrepublik an einem Tisch saßen und sich die Beziehungen immer weiter positiv entwickelten.
Hans Dötsch, Heinersreuth
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