Forum

Leserbriefe zur documenta

Nach Kritik wegen antisemitischer Motive: Das Wandgemälde »People’s Justice« wird abgedeckt. Foto: IMAGO/Hartenfelser

Kunst
Philipp Peyman Engel: »documenta der Schande. Die zahlreichen Antisemitismusskandale bei der Ausstellung markieren eine Zäsur. Nun müssen harte Konsequenzen folgen« (Jüdische Allgemeine vom 23. Juni)

Ihr Artikel zur documenta erschüttert mich, und ich kann Ihnen nur zustimmen. Die ganze Sache klingt wie aus dem Irrenhaus entsprungen. Was es aber nicht ist: ein amateurhafter Fauxpas! So etwas geschieht, wenn dementsprechende Unterströmungen vorhanden sind. Sonst bezeugte es ja vollkommene Tölpelhaftigkeit der Verantwortlichen bis hin ins Ministerium. So oder so: eine widerliche und schwere Schande! Ich bin gespannt auf die Konsequenzen.
Gunther Erben (per E-Mail)

Herr Engel zeichnet die documenta aus Sicht eines weißen (alten) Mannes, der noch nicht einmal weiß, dass hier eine satirische Arbeit von 2002 gezeigt wird!
Patricia Wolf (per E-Mail)

Sie haben soo recht mit Ihrem Artikel. Claudia Roth müsste wirklich nach so einem Desaster darüber nachdenken, zurücktreten (oder von ihrer Partei zurückgetreten werden). Die Documenta-Chefin Sabine Schormann und auch die hessische (grüne !) Kulturministerin Angela Dorn sind sowieso rücktrittsreif! Zu Claudia Roth: Wer so ein wichtiges Amt hat, muss rechtzeitig eingreifen. Das Gerede hernach ist einfach Gerede, Geplapper. Glaubt kein Mensch. Das  Amt einer Kulturstaatsministerin verlangt mehr. Nämlich Verantwortung! Aber sie kann offenbar nicht anders. Denn wer 2019 gegen den so richtigen BDS-Bundestagsbeschluss gestimmt und argumentiert hat (gemeinsam mit Jürgen Trittin, na klar!), der hat das ja nicht unbedacht getan, sondern aus Überzeugung. So jemand denkt auch weiter so, aus Überzeugung. Und deshalb hat sie nichts gegen dieses widerliche antisemitische Bild unternommen, hätte sie ja auch längst im Vorfeld tun müssen. War doch bekannt! Oder ist ihr nichts in den wochenlangen Diskussionen aufgefallen? Ist ihr nicht in den Wochen vor dieser Documenta aufgefallen, dass niemand aus Israel dazu eingeladen wurde? Wenn ihr so gar nichts aufgefallen ist, ist sie unfähig für dieses Amt. Und wenn ihr etwas aufgefallen ist, und sie dennoch nichts unternommen hat, ist sie nicht tragbar für dieses Amt. Hilft alles nichts: Sie ist und bleibt BDS-nah. Bei allem, was sie jetzt sagt und auch nicht sagt, also unterlässt, wird ihr das anhängen. Für so ein Amt eine zu hohe Bürde. Es war ohnehin ein Fehler der SPD, dieses Amt abzugeben. Man fasste sich an den Kopf!

Lea Rosh, Vorsitzende Förderkreis »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« (per E-Mail)

Ich habe Ihren Kommentar zu den Ereignissen von Kassel gelesen und bin voll Ihrer Meinung. Frau Roth hat das Ganze meiner Meinung nach bewusst zum Eklat geführt. Wenn man sich den Ablauf anschaut, kann man davon ausgehen, dass das keine naive Haltung von Frau Roth war, das war bewusst und provokant organisiert. Man hat sich nur dabei verschätzt, welche Reaktionen das hervorruft. Dass die Vorkommnisse ein Skandal sind, muss man nicht betonen, das steht außer Frage. Was mich aber viel mehr erschreckt, sind die Umstände und die Reaktionen. Ich bin 1963 in Essen geboren. Ich bin Bürger nichtjüdischen Glaubens. Ich hätte es mir selbst nicht denken können, aber ich schlafe nachts nicht mehr durch, weil mich das Thema nicht ruhen lässt. Was ist mit diesem Land passiert, dass wir im Jahre 2022 mit Steuergeldern Judenhass subventionieren? Dass Politiker in führender Rolle nicht bereit sind, in den Dialog mit Mitbürgern jüdischen Glaubens zu treten? Zwei Jahre nach dem rechtsmotivierten Mord an Walter Lübcke wird in demselben Bundesland die jüdische Kultur von der vielleicht größten Kulturausstellung der Welt ausgeschlossen und Antisemitismus mit Steuergeldern vorangetrieben, und das auf einem öffentlichen Platz, mitten in einer deutschen Großstadt. Dass Frau Roth jetzt erklärt, das alles nicht geahnt zu haben, und auf Vertrauen gesetzt haben will, glaubt doch kein Mensch. Sie hat schon 2019 gegen die BDS-Resolution im Bundestag gestimmt, im Übrigen jetzt auch noch dagegen verstoßen und ihre politische Überzeugung gegen Israel zur Schau gestellt. Wenn wir es ernst meinen, Israel zur Seite zu stehen, dann muss Frau Roth aus allen öffentlichen Ämtern ausscheiden. Dass sie immer noch an ihrem Posten klebt, ist unerträglich für Deutschland und zumindest ein ebenso großer Skandal wie die öffentliche Zurschaustellung antisemitischer Bilder.
Rüdiger Katz (per E-Mail)

In den 1980er-Jahren war Claudia Roth Managerin der Deutschrockgruppe »Ton Steine Scherben«, deren Frontmann bekannterweise Rio Reiser war. Weniger bekannt ist, dass TSS unter Frau Roths Management in die Pleite schlitterte. Trotz dieses Vorlaufs war ich der Meinung, dass der Posten der Kulturstaatsministerin im Grunde eine gute Wahl für sie sei. Ehrlich gesagt, weil ich glaubte, dass sie dort keinen großen Schaden anrichten kann. Außerdem ist sie doch eigentlich ein netter Mensch. Und sie nervt nicht, solange man mit ihr nicht über Politik redet. Insofern glaubte ich, wie gesagt, dass das in Ordnung gehen würde mit ihr als Kulturstaatsministerin. Aber da habe nicht nur ich mich gründlich geirrt. Nach dieser moralischen Pleite der documenta, für die Frau Roth ein gerütteltes Maß an Verantwortung trägt, muss sie zurücktreten. Eine ehrliche Aufarbeitung dieses Skandals würde auch beinhalten, dass ein Teil der demokratischen Linken in Deutschland endlich nicht mehr verdrängt, dass Antisemitismus in der muslimischen Community ein wirkliches Problem ist. Nur glaube ich auch, dass es weder Frau Roths Rücktritt noch solch eine Aufarbeitung geben wird.
Thomas Fuchs, Stuttgart

Respekt für die mutige Berichterstattung zum documenta-Skandal! Klare Worte sind dieser Tage besonders wichtig, und es ist richtig, den Rücktritt von Claudia Roth zu fordern!
Malca Goldstein-Wolf (per E-Mail)

Danke für Ihren Artikel über die documenta. Die Bildsprache entsetzt auch nichtjüdische Deutsche, und es hat einfach der Seele gutgetan, Ihren Artikel zu lesen. Man kann ahnen, wie tief diese furchtbare Kunst jüdische Menschen in Deutschland trifft.
Antje Clasen (per E-Mail)

Ich möchte Ihnen mitteilen, dass eine Vielzahl Menschen, die nicht dem jüdischen Glauben angehört, sich genauso schlecht mit dieser documenta fühlt wie Sie! Dieses schlechte Gefühl bewegt mich persönlich dazu, diese documenta vollständig zu ignorieren, obwohl ich in Kassel wohne. Ich hätte mir auch gewünscht, dass Vertreter der evangelischen Kirchen von sich aus die Kirchen von antisemitischen Kunstwerken bereinigen würden. Das, was zu Zeiten Herrn Luthers schon antisemitisch falsch war, ist heute noch genauso falsch. Da ist Denkmalschutz eher nur zweitrangig.
Norbert Bertel (per E-Mail)

In Ihrem Kommentar fordern Sie den Rücktritt von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Sie habe mit ihrem Koschersiegel für die BDS-Ideologie weder bewiesen, dass sie glaubhaft gegen Judenhass eintrete, noch, dass sie ihr Amt mit Kompetenz und Würde ausüben könne. Als Begründung für die Behauptung, Claudia Roth habe der BDS-Ideologie das Koschersiegel verliehen, wird die Tatsache angeführt, dass sie im Mai 2019 dem mit Mehrheit im Deutschen Bundestag verabschiedeten Anti-BDS-Antrag nicht zugestimmt hat. Claudia Roth hat ihr Abstimmungsverhalten zusammen mit den anderen Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die diesen Antrag abgelehnt haben, in einer persönlichen Erklärung ausführlich begründet. Man muss diese Gründe nicht teilen, aber man sollte diese Erklärung wenigstens zur Kenntnis genommen haben. Dort erklärt Claudia Roth nämlich, dass und warum sie die BDS-Bewegung politisch falsch findet, kritisiert und ablehnt, dass sie es aber gleichzeitig nicht unterstützen kann, diese Bewegung pauschal als antisemitisch zu bezeichnen. Das ist ja wohl etwas anderes, als der BDS-Ideologie ein Koschersiegel zu verleihen, oder?
Jörn Böhme, Berlin

Sie haben hundertprozentig recht. Überrascht zu sein oder die Überraschte zu spielen, wie es Frau Roth macht, ist nicht zu ertragen. Von Verantwortung abzulenken, darf nicht gelingen.
Rudolf Aigner, Freising

Es tut mir unglaublich leid, und ich bitte um Verzeihung für das, was Deutschland jetzt durch die documenta dem israelischen Volk zumutet. Alle Verantwortlichen müssen zurücktreten, das ist völlig klar. Lassen Sie nicht locker, machen Sie weiter, bis dort Konsequenzen gezogen werden. Das wäre auch im Interesse von Deutschland.
Gert Postel, Tübingen

Wann lese ich, Kläger in der Sache »Wittenberger Judensau«, in der JA auf Seite eins die Schlagzeile »Kirche der Schande. Gerichte der Schande«? Solange die Jüdische Allgemeine, der Zentralrat der Juden in Deutschland und sein Präsident Josef Schuster, solange die orthodoxe wie auch die liberale Rabbinerkonferenz in Deutschland zu den antisemitischen »Judensau«-Skulpturen an und in Kirchen schweigen beziehungsweise deren bisher dreimalige gerichtliche Bestätigung als »nachvollziehbar« kommentieren und damit ihrerseits bestätigen, so lange kann ich der Empörungswelle, wie sie jetzt von jüdischer wie israelischer Seite – Botschaft in Berlin – gegen die documenta losgetreten wird, nur mit Verwunderung, ja mit Verachtung begegnen. Wann sprechen Zentralrat und Israel-Botschaft von »Goebbels-Propaganda« an und in Kirchen, katholischen wie evangelischen? Immerhin hat der Antisemitismus der Kirchen maßgeblich und ursächlich zum Holocaust, zum Völkermord an den Juden geführt, was man von der documenta 15, wie schlimm der dort ausgestellte Antisemitismus auch ist, nicht behaupten kann.
Michael D. Düllmann, Bonn

Seit Jahren beschämt uns Deutsche das Verhalten von Claudia Roth im Umgang mit unseren jüdischen Freunden. Warum kommt der Aufschrei erst jetzt – als Ursache der Positionierung von Frau Roth betreffs der skandalösen Ausstellung auf der documenta. Frau Roth hat sich in der Vergangenheit auch immer solidarisch mit der PLO gezeigt. Wie lange wurden wir Deutsche seitens der Regierung ausschließlich für den Antisemitismus verantwortlich gemacht, obwohl dieser zu 90 Prozent sichtbar von intoleranten und gefährlichen Personengruppen »zelebriert« wird. Dies spiegelt in keiner Weise die Ansicht der deutschen Gesellschaft. Leider wie bei vielen anderen kritischen Themen schätzt es der Durchschnittsbürger, unkritisch und gehörig zu sein. Ich würde eine kritischere und klare Berichterstattung mit der sich immer weiter verschlimmernden Situation begrüßen.
Lars Pauschardt (per E-Mail)

Haben Sie herzlichen Dank für Ihre deutlichen Worte! Ich gehe davon aus, dass es nach dem documenta-Skandal noch die notwendigen Konsequenzen geben wird.
Sebastian Cwiklinski (per E-Mail)

Ihr Artikel hat mich berührt. Dass die »christliche Bevölkerung Deutschlands« zu feige ist, auf das Offensichtliche mit dem Finger zu zeigen. Und dass es notwendig sein muss, dass die »jüdische Bevölkerung Deutschlands« sich lauthals zu Wort meldet. Damit hoffentlich jetzt etwas geschieht. Das stimmt mich nachdenklich. Ich gehöre zur »christlichen Bevölkerung Deutschland«. Ich danke Ihnen für die offenen Worte. Nur so ist es offensichtlich möglich, eine grundlegende Diskussion anzustoßen. Und diese muss jetzt geführt werden.
Manfred Kupka, Hamburg

***

Debatte
»Feldjäger: Streit um Motto ›Suum Cuique‹ geht weiter. Der Zentralrat der Juden und die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
unterstützen Felix Kleins Initiative« (Jüdische Allgemeine vom 17. Juni, online)

Die Feldjägertruppe nutzt gerade nicht den Wahlspruch des KZ Buchenwald »Jedem das Seine«, sondern den Wahlspruch »Suum Cuique«. Wie Ihnen sicherlich bewusst ist, kann die Übertragung von Sprichwörtern von einer Sprache in die andere, hier vom Lateinischen ins Deutsche, sehr leicht zu Verzerrungen führen. Auf die »Spezialeinheit« der Feldjägertruppe der Bundeswehr bezogen, wäre die treffendste Übertragung ins Deutsche: Jedem seine Aufgabe/sein Auftrag nach bestem Wissen und Können. Diese Übertragung würde der unter anderem hinter dem Konzept »Suum Cuique« stehenden Idiopragieformel/dem Idiopragieprinzip Platons jedenfalls gerecht werden. Sokrates und Cicero stimmen sicherlich zu. Eine Assoziierung des auch die Gerechtigkeit verhöhnenden Wahlspruchs »Jedem das Seine« über dem Eingang des KZ Buchenwald mit dem Wahlspruch der Feldjäger »Suum Cuique« zeigt eine geradezu abstoßende Unbildung auf!
Wilhelm Eilers, Aschau

***

Sicherheit
Leonard Kaminski: »Einfach mal Danke sagen. Ohne Polizeischutz könnten wir Juden unsere Religion hier nicht frei ausüben. Zeit für eine Würdigung« (Jüdische Allgemeine vom 16. Juni)

Der aktuelle Artikel von Leonard Kaminski hat mich an eine Begebenheit vor mehreren Jahren erinnert. Ich war am Freitagabend mit meiner Frau in Zürich vor der Synagoge an der Löwenstraße, und wir wurden beide Zeuge davon, dass die jüdische Gemeinde nur unter großem Polizeiaufgebot die Synagoge betreten konnte. Manche setzten die Kippa gerade noch so kurz vor dem Eintritt auf, nicht nur aus Säkularität, sondern aus Scham und Angst, beschimpft oder erkannt zu werden. Diese Situation beschäftigte mich so sehr, dass ich allen Zürcher Großzeitungen (wie NZZ, Tages-Anzeiger usw.) einen dringlichen Artikel schrieb. Die Antwort überraschte leider nicht. Keine Rückmeldung, keinen Deut von Interesse. Das ist die Situation, die man im Schweizerischen Bundesstaat wohl einfach hinnimmt, und so auch in Deutschland. Es ist beschämend, dass alle Erläuterungen von Regierungen sich immer wieder pro-jüdisch öffentlich offenbaren, doch dass 2022 sich ein jüdischer Mensch in unserer Gesellschaft auf Polizeischutz berufen muss, wenn er sein Jüdischsein öffentlich lebt.
Daniel Wullschleger (per E-Mail)

***

Hof (Saale)
Hans-Ulrich Dillmann: »Wie in einer Familie. Die Gemeinde ist klein, aber fein und hat seit 25 Jahren denselben Rabbiner« (Jüdische Allgemeine vom 9. Juni)

Ich komme aus Hof und habe mich sehr gefreut über den Bericht. Schön, dass Sie immer wieder auch kleinere Gemeinden in den Blick nehmen.
Werner Holter (per E-Mail)

***

Ukraine
Stefan Schocher: »Beten in Babyn Jar. Führende Religionsvertreter aus Europa und Amerika besuchen Schauplätze des Krieges« (Jüdische Allgemeine vom 2. Juni)

Es ist gut, dass auf diese Weise an den Ort der Verbrechen gedacht und dieser auch vielen Menschen der heutigen Generation überhaupt zur Kenntnis gebracht wird. Bemerken möchte ich nur, wie glaubwürdige Historiker belegen, dass bei der Massenvernichtung neben Wehrmacht und mobilen SS-Gruppen auch ukrainische Ultranationalisten mit den Faschisten und sogar Juden beteiligt waren. Die gewaltige Opferzahl in zwei Tagen lässt diese Erklärung zu. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Der Krieg Putins ist ein Verbrechen und durch nichts zu rechtfertigen. Die Welt ist aber nicht nur schwarz oder weiß, sondern hat eben viele Grautöne.
Klaus Illgen, Bergheim

***

Wittenberg
»›Judensau‹ darf hängen bleiben. Landgericht Dessau-Roßlau: Es besteht kein Beseitigungsanspruch seitens des Klägers« (Jüdische Allgemeine vom 24. Mai, online)

Das BGH-Urteil zum Wittenberger Schmährelief überrascht kaum. Neben dem Exemplar an Luthers Predigerkirche sind – so Wikipedia – noch 35 weitere antisemitische Hassbotschaften des Hochmittelalters bekannt. Eine europäische Verbreitung wird oft unzutreffend apostrophiert, denn 33 dieser Darstellungen befinden sich im deutschen Sprachraum, sofern wir Colmar/Elsass und Metz/Lothringen einbeziehen. Jeweils ein Exemplar befindet sich noch in Belgien, Polen und Schweden. Von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen, kann von einem deutschen Phänomen gesprochen werden. Was bewegte gerade die Deutschen zu diesem Hass? Die frühe Neuzeit, der Übergang vom Mittelalter in die Moderne, war vom europäischen Humanismus geprägt. Ein würdiger Vertreter dieser Geisteshaltung war der Pforzheimer Johannes Reuchlin, der die jüdische Kultur hochschätzte und für Verständnis, Ausgleich und Toleranz warb. Der »Wittenberger Reformator« Luther setzte hingegen auf Antisemitismus, Hetze und Demagogie. Seine Predigten und die letzten beiden Schriften geben Zeugnis davon. Reuchlin wurde zu Unrecht nahezu vergessen, während Luthers Popularität bei vielen Deutschen stieg. Im Zuge dieser Entwicklung und durch den 30-jährigen Konfessionskrieg im folgenden Jahrhundert verpasste Deutschland den Anschluss an europäische Entwicklungen weiter. Es suchte nach eigenen Pfaden, die später oft zu Sonderwegen wurden. Die Sprengkraft des Antisemitismus führte im 20. Jahrhundert in die größte Katastrophe der Menschheit. Der Holocaust trägt eine deutsche Handschrift. Es ist nicht erstaunlich, dass international eine klare Sprache gesprochen wird: Das Relief in Wittenberg sei grauenhaft und obszön es fache den Antisemitismus an, die Zurschaustellung sei blanker Rassismus und so weiter. Die deutsche Diskussion ist hingegen schulmeisterlich, akademisch und verschroben: Es sei Erinnerungskultur und ein Stachel im Fleisch, so als sei jetzt Selbstgeißelung angebracht. Der Vergleich mit dem Film Vom Winde verweht wird bemüht, der ja auch nicht in Ordnung sei. Es wird von wundersamer Wandlung gesprochen, wonach das böse Schmährelief sich in ein Mahnmal gewandelt habe mittels einer kaum verständlichen Bodenplatte aus DDR-Zeiten, die als dialektische Antithese verstanden werden soll. Weil viele diesen Weg nicht mitgehen konnten oder wollten, wurde noch mit einem »Schrägaufsteller« nachgebessert. Überlegt wurde auch schon, alle Objekte mit einer Lichterkette zu verbinden. Das ist kein absurdes Theater, es ist deutsche Realität! So ist es vielleicht folgerichtig, dass die UNESCO oder der Europäische Gerichtshof wohl das letzte Wort sprechen werden. Das umstrittene Schmährelief von der Fassade der Wittenberger Schlosskirche zu entfernen und in Yad Vashem auszustellen, würde auf jeden Fall die universelle Erinnerungskultur bereichern.
Lüder Stipulkowski, Dörverden

Die Stellungnahme von Rabbiner Nachama ist zu begrüßen Es hätte möglicherweise ein anderes Urteil des BGH gegeben, wenn Herr Rabbiner Nachama und der Zentralrat der Juden sich vor der Entscheidung des BGH so geäußert hätten. Leider hat in dem ganzen Verfahren die fatale Inschrift nicht die Rolle gespielt, die sie hätte haben müssen.
Wolfgang H. Deuling, Bonn

***

Kirche
»Ökumenischer Rat wegen Judenhass-Vorwürfen in der Kritik. ›Einseitig Stimmung gegen Israel gemacht‹: Der ÖRK vertritt 580 Millionen Christen weltweit« (Jüdische Allgemeine vom 23. Mai, online)

Leider versäumt Ihr Beitrag, der »Initiative gegen Judenfeindschaft im Ökumenischen Rat der Kirchen« wirklich Raum zu geben. Dafür überlässt er dem Generalsekretär Ioan Sauca inhaltlich das Feld. »Natürlich« ist danach der ÖRK gegen Antisemitismus, »natürlich« will er beiden Seiten, Israel und den Palästinensern, Gerechtigkeit widerfahren lassen. Nur: Wie glaubwürdig ist dies, wenn man die Praxis genauer ansieht? Es wäre Ihrer Zeitung angestanden, mehr zur Initiative zu berichten und damit deutlich zu machen, dass der ÖRK alles tut, um Israel zu delegitimieren. Der ÖRK unterstützt mit der EAPPI-Initiative, also mit illegal ins Land gebrachten Freiwilligen, die Verbreitung einseitiger und ausschließlich negativer Bilder über Israel. Und das zum Teil mit Spendengeldern aus den Kirchen. Zuletzt war EAPPI aktiv dabei, als der Zwischenfall mit dem Sarg der getöteten Journalistin Shireen Abu Akleh provoziert wurde. Friedliches, auf Gerechtigkeit zielendes Verhalten sieht anders aus. Es entspricht bislang nicht Ihrer journalistischen Praxis, sich Propaganda zu öffnen, besonders, wenn sie sich gegen Juden und gegen Israel wendet. Als Abonnent wäre ich höchst dankbar, wenn ich darauf weiter vertrauen könnte. Doch Ioan Sauca wird mit seiner affirmativen Zurückweisung der Kritik mit nichts konfrontiert, was seinen Behauptungen widerspricht, zum Beispiel mit der immer wieder praktizierten Unterstützung von Boykottaufrufen gegen Israel. Oder mit der weiter praktizierten Unterstützung des Kairos-Papiers, in dem das palästinensische Märtyrertum verherrlicht wird und in dem die Existenzberechtigung Israels massiv infrage gestellt wird. Das alles ist doch sicher auch der Redaktion bekannt. Hätten Sie dazu doch wenigstens aus unserem Aufruf, getragen von fünf Vereinen und Gruppen mit weit mehr als 1000 Mitgliedern, die sich aktiv für Israel engagieren, zitiert. Oder hätten Sie den in Stuttgart am 14. März und jetzt in Karlsruhe mit einem Vortrag engagierten Volker Beck zu Wort kommen lassen. Oder die in Jerusalem arbeitende evangelische Theologin Dr. Petra Heldt, die über die anti-israelischen Aktivitäten des ÖRK wahrlich gravierende Belege beibringen kann. Ob Sie diesen Stimmen wenigstens nachträglich Raum geben?
Albrecht Lohrbächer, Weinheim

Meinung
Sigmount Königsberg: »Zu Helden hochstilisiert. Solidarität mit der Ukraine kann nicht bedeuten, alles zu befürworten, was deren Vertreter verlautbaren« (Jüdische Allgemeine vom 14. April)

Es wurde höchste Zeit, auf diesen Teil der Geschichte hinzuweisen und Herrn Melnyk namentlich zu erwähnen. Es ist nicht die Frage, ob man das darf oder ob man das kann. In meinen Augen muss das angesprochen werden, Sie legitimieren damit keineswegs Putins Überfall auf die Ukraine. Die von Ihnen zitierte Zurückweisung dieser traurigen Tatsachen seitens Herrn Melnyk spricht für sich.
Gerd Schultheis, Dannenfels

Leserbriefe sind keine redaktionelle Meinungsäußerung. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.

Kulturkolumne »Shkoyach!«

Lächeln trotz Unglück?

Tante Jolesch machtʼs möglich: Ein Buchtipp kurz vor Chanukka

von Maria Ossowski  16.12.2024

New York

Billy Crystal fand Uni-Dozenten Scorsese »beängstigend«

Als Dozent sei der heute 82-Jährige Regisseur streng gewesen, sagt der jüdische Darsteller

 16.12.2024

London

Taylor-Johnson unbeeindruckt von James-Bond-Gerüchten

In britischen Medien wird der jüdische Darsteller als nächster James Bond gehandelt. Er hält sich aber weiterhin bedeckt

 16.12.2024

Glosse

Rest der Welt

Fettiges zu Chanukka? Mir wird gleich schlecht ...

von Joshua Schultheis  15.12.2024

Comic

Es lebe der Balagan!

Die israelische Illustratorin Einat Tsarfati legt ein aufgeräumtes Buch über Chaos vor

von Tobias Prüwer  14.12.2024

Düsseldorf

»Seine Prosa ist durchdrungen vom tiefen Verständnis und empathischer Nähe«

Der Schriftsteller David Grossman wurde am Samstag mit dem Heine-Preis ausgezeichnet

 14.12.2024

Alexander Estis

»Ich bin Pessimist – aber das wird bestimmt bald besser«

Der Schriftsteller über die Folgen der Kriege in der Ukraine und Nahost, Resilienz und Schreiben als Protest

von Ayala Goldmann  12.12.2024

Kino

Film-Drama um Freud und den Lieben Gott

»Freud - Jenseits des Glaubens« ist ein kammerspielartiges Dialogdrama über eine Begegnung zwischen Sigmund Freud und dem Schriftsteller C.S. Lewis kurz vor dem Tod des berühmten Psychoanalytikers

von Christian Horn  12.12.2024

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Dezember bis zum 18. Dezember

 12.12.2024