Über den Mann und sein berühmtestes Gedicht etwas Schlechtes zu sagen, wirkt fast ungehörig. Man möchte sich nicht mit der Meute gemein machen, die Paul Celan auslachte, als der im Jahr 1952 bei einer Tagung der Gruppe 47 seine »Todesfuge« über das Grauen der Konzentrationslager vortrug. Die anwesenden Trümmerliteraten befanden, der rumänische Dichter, dessen Eltern im KZ ermordet worden waren, lese »wie Goebbels« (Walter Jens) beziehungsweise »wie in einer Synagoge« (Hans Werner Richter). Für die ehemaligen Flakhelfer und Wehrmachtssoldaten schien beides gleich schlimm zu sein.
allerweltsparole Doch es ist kaum möglich, gegenüber den zu Schlagwörtern gewordenen Formulierungen aus der »Todesfuge« – die »Schwarze Milch der Frühe«, das »Grab in den Lüften«, vor allem aber »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland« – nicht inzwischen Überdruss zu empfinden. Dass der Tod ein Meister aus Deutschland ist, wurde zur Allerweltsdemoparole, etwa, wenn es galt, gegen deutsche Rüstungsexporte zu protestieren. Damit erging es Celan ähnlich wie Max Frisch: »Die Biedermänner sind die Brandstifter« (und die »sitzen in Bonn«). Mit den literarischen Werken, die da leichtfertig zitiert wurden, hatten solche Deutungen rein gar nichts mehr zu tun.
Aber auch seriösere Exegeten machten um ihren Gegenstand manchen Nebel. Die Celan-Expertin Marlies Janz beklagte bereits vor über drei Jahrzehnten »die subalterne Verklärung Celans durch den größeren Teil seiner Interpreten«. (Janz selbst pflegte fuchsteufelswild zu werden, wenn ihre Studenten den Namen Celan mit stimmlosem Eingangslaut und Betonung auf der zweiten Silbe aussprachen. Sie war der Überzeugung, es müsse wie »Tschélan« klingen, es sei schließlich ein Anagramm seines Geburtsnamens Antschel.)
Doch sind an der Verkitschung Celans und seiner »Todesfuge« wirklich nur die anderen schuld – die Interpreten, Adepten und Umdeuter? Der amerikanische Germanist John Felstiner bezeichnete die Todesfuge als das »›Guernica‹ der europäischen Nachkriegsliteratur«. Er meinte das anerkennend, doch hier liegt das Problem. Genau wie in Picassos Gemälde, das die Zerstörung der Stadt Guernica durch die Legion Condor zum Gegenstand hat, liegt auch in der Todesfuge die Bedeutung offen zutage. Es gibt keine andere Deutung als die nahe liegende, die Metaphern bedeuten nichts anderes, als was sie offensichtlich bedeuten. Die »Todesfuge« ist frappierend eindeutig (und steht damit im Gegensatz zu Celans übrigem lyrischen Werk). Das macht sie nicht zu einem schlechten Gedicht – ein Kunstwerk muss kein Rätsel sein –, aber durch ihren häufigen Einsatz bei Gedenkveranstaltungen erscheint es fast als Sakrileg, von ihrer Botschaft nicht erschüttert zu sein.
»verflucht ästhetisch« Das weckt auch ästhetische Widerstände. Übrigens nicht erst in jüngster Zeit. »An Kitsch streift für mich auch die berühmte ›Todesfuge‹. Ich bin nicht so beschaffen, dass ich dieses allzu begabte Gedicht für schön halten könnte«, schrieb der Schriftsteller Werner Kraft im März 1964 an seinen Freund Wilhelm Lehmann. »›Der Tod ist ein Meister aus Deutschland‹ hat für mich abgesehen von seinem traurigen Wahrheitsgehalt einen verflucht ästhetischen Klang, vor dem ich die Ohren verschließe, und das habe ich dem Dichter zu seinem Erstaunen auch gesagt.«
Es ist nicht bekannt, ob Celan erst durch den Hinweis von Kraft Bedenken gekommen sind. Doch auch er selbst gelangte irgendwann zu der Ansicht, dass sein Gedicht inzwischen »lesebuchreif gedroschen« sei. Er wollte es auch nicht mehr auf Gedenkfeiern verlesen wissen. Doch man hörte nicht auf ihn.
Für eine ganz besondere Scheußlichkeit ist der Urheber nun aber wirklich nicht haftbar zu machen: Mittlerweile schreiben sich Neonazis, Linksradikale und Islamisten die Parole »Der Tod ist ein Meister aus Israel« auf ihre Demo-Transparente. Wenigstens das muss Paul Celan, der am 23. November 90 Jahre alt geworden wäre, hätte er sich nicht 1970 in der Seine ertränkt, nicht mehr miterleben.