Heute hätte die Leipziger Buchmesse beginnen sollen; wird sie aber nicht, weil zum dritten Mal in Folge abgesagt. Damit ins Wasser gefallen ist auch das Lese-Festival Leipzig, eine Drehscheibe für die Begegnung von Autoren mit ihrer Leserschaft, von Journalisten und Kritikern mit der schreibenden Zunft, von Buchhandel und Verlagswesen.
Jeder abgesagte Auftritt, jeder geplatzte Auftrag ist schlimm; darüber täuschen auch Lese-Events, an denen einzelne Verlage in diesen Tagen in Leipzig festhalten, nicht hinweg. Anfang Februar hatten die Veranstalter mit Bedauern bekannt gegeben, zu viele Verlage hätten coronabedingt abgesagt.
unwägbarkeiten War es den einen, großen Verlagsflaggschiffen, zu riskant, sich den Unwägbarkeiten einer Pandemie auszusetzen und am Ende viel Geld für wenig Publikum oder eine kurzfristige komplette Stornierung in den Sand zu setzen, betonten andere, dass sie diese Frühjahrs-Bücher-Leistungsschau auf jeden Fall unterstützt hätten. Die Kurt Wolff Stiftung als Interessenvertretung unabhängiger Verlage bekundete, die Leipziger Buchmesse sei von zentraler Bedeutung für die vielfältige deutsche Buch- und Verlagswelt.
»Who cares«, wen interessiert das, wen soll das bewegen in diesen Tagen?
Da ist der berechtigte Wunsch Vater des Gedankens. Die Leipziger Buchmesse kämpft seit dem ersten Tag der Wiedervereinigung um ihren Platz an der Sonne neben der großen Schwester in Frankfurt. Ziemlich in Vergessenheit geraten ist die Historie. Leipzig war einmal aufgrund seiner zentralen Lage der Messestandort schlechthin, blickt zurück auf eine rund 850-jährige Tradition. Berühmt wurde die Stadt als Drehscheibe für den Pelz- und Buchhandel.
Für die deutschsprachige Buchbranche wurde sie vom 17. Jahrhundert an für 400 Jahre zum Zentrum. Mit dem Zweiten Weltkrieg, vor allem der Teilung Deutschlands, kam das Aus. Internationaler Austausch, Begegnung von Buchproduzenten und Bücherliebhabern, entwickelte sich dort, wo man frei zusammenkommen, alles aussprechen, schreiben und drucken durfte, also in Frankfurt am Main.
charme Das wirkt auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nach, muss aber erst einmal kein Nachteil sein. Leipzig entfaltete den Charme eines überschaubaren Bücherfestivals mit rund 2500 Ausstellern im Vergleich zu mehr als 7000 in Frankfurt, blickt man auf die Zahlen von 2019, dem letzten Jahr unter »normalen« Bedingungen.
Man erkennt am Beispiel der Purimgeschichte, wie wirkmächtig Bücher sein können.
Das Projekt »Jüdische Lebenswelten« wurde zu einem Kleinod, das aus Sachsen in die Republik ausstrahlte. Man wurde auf jüdische Themen gebracht, auf Leute, die jüdisch sind oder jüdischer Herkunft, die schreibend verdeutlichen, wie vielfältig jüdische Lebensentwürfe sein können. Die Trennendes und Verbindendes ausdrücken – genau das war und ist heute wichtiger denn je in deutschen Landen, in denen judenfeindliche und antisemitische Einstellungen nicht nur im Stillen überdauerten, sondern inzwischen ganz unverblümt daherkommen.
»Who cares«, wen interessiert das, wen soll das bewegen in diesen Tagen? Wer braucht Bücher und Buchhandel und jüdische Befindlichkeiten, wenn die Welt gerade einen Krieg erlebt, der nicht in fernen Winkeln des Erdballs stattfindet, sondern mitten in Europa. Einen Krieg, der das Potenzial zu einem Weltenbrand hat.
chronisten Wenn er vorbei sein wird, und das hoffentlich bald, dann kommt die Stunde der Chronisten, die dokumentieren, der Historiker, die auswerten, der Zeitzeugen, die kundtun, was geschah. Man denke an das Buch von Timothy Snyder aus dem Jahr 2012 mit dem so furchtbar zutreffenden Titel Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin. Die Region, die während des Zweiten Weltkriegs zu einem Schlachtfeld wurde, ist gerade wieder von so einem Schicksal bedroht.
Der Gedanke ist nicht neu, dass das jüdische Schicksal durch die Zeitläufte ein Lackmustest für (Un-)Menschlichkeit einer Gesellschaft ist. Gerade heute, an Purim, kommt einem die Geschichte von einem anderen Massaker in den Sinn, das Haman, ein machtgieriger Strippenzieher und verbrecherischer Berater am Hofe von König Achaschwerosch, gegen die jüdische Bevölkerung im persischen Reich anzetteln wollte.
Es bleibt wichtig, ja unverzichtbar, Leipzig als Stadt des Buches seine Bedeutung zu belassen.
Damals verhinderten zwei jüdische Menschen, eine mutige junge Frau und ihr Onkel, das Schlimmste. Der Vorfall wurde in der Megillat Esther aufgeschrieben. Es ist an Purim eine Mizwa, eine essenzielle Verpflichtung, diesen Bericht wenigstens einmal zu hören. Es ist bedeutsam, dass es ihn gibt – in Schriftform für alle Zeit überliefert. Man sieht an diesem Beispiel, wie wirkmächtig Bücher sein können.
Übrigens, es bleibt wichtig, ja unverzichtbar, Leipzig als Stadt des Buches seine Bedeutung zu belassen. Es geht darum, mit Sachsen eines der sogenannten neuen Bundesländer, das eben nicht neu ist, als integral zu begreifen. Wenn man Frankfurt ernst nimmt, was 2021 in abgespeckter Form der Fall war und für die Zeit vom 19. bis 23. Oktober 2022 geplant ist, dann hätten die Branchenriesen auch Leipzig nicht im Stich lassen dürfen. Dass man ohne logistischen Überbau etwas auf die Beine bringt, will die Leipziger Pop-up-Buchmesse vom 18. bis 20. März unter Beweis stellen.
Die Autorin leitet das Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde
München und Oberbayern (IKG).